III, 287 – Das tote Fleisch lebt wieder auf

TUTTO PER LA MUSICA SERVICE AUDIO E LUCI PER CONCERTI & EVENTI steht auf dem riesigen Transporter, dessen Vorderfront gleichsam ins immer mal wieder Ahndungen hervorrufende Ostello hineinragt. Verlassen wie ein Geisterschiff. Es rührt sich trotz der Klamaukaufschrift: nichts. Also immer mal wieder aufstehen. Versuchen zu dechiffrieren: Interpretationen sind sinnvoller als Panikattacken, selbst wenn sie Unsinn projizieren. Eine Disco-Nacht gab es schon in diesem Frühjahr.
Weiter vorn unter den beiden Bäumen des Platzes stellen nunmehr die Oberstadthexen bei gutem Wetter ein Tischlein auf, um das sie sich, Karten in der Hand, versammeln, auch Zuschauerhexen gesellen sich dazu.
Sie begannen damit am 1. Mai. Da stand der Tisch noch vor der rosafarbenen Mauer des Ostello. Der Tisch wurde zu meinem Rücken. Die aus der Hand auf den Tisch gelegten Karten entschuppten mich, wie es ja in der Walpurgisnacht davor tatsächlich geschehen war. Müßte ich mir also wünschen, daß sie weiterhin Karten spielen. Aber ließ auch schon wirkliche Hände an meinen Rücken. Ich konzentrierte mich auf den kühlen Tropfen Gel, der auf die Haut aufgetragen wurde.
Dabei sitzen die Oberstadthexen ganz unaufgeregt an ihrem Tischchen. Konzentriert, könnte man sagen. Aber sie haben ja auch keinen Kasten Bier neben sich stehen. Wichtiger Umstand das, weil ich gerade an die Zeit zurückdenke, in der ich selber noch Karten spielte im Braunen Hirschen. Zumindest gelegentlich. Eher Doppelkopf als Skat, was ich erst später lernte. Aber es ging laut zu: “Hose runter!”
Nun sind sie verschwunden. Und die Hosen (hoses!) so heruntergelassen: werden zu Sansculotten. Der Platz ist leer. Die Guillotine der Dämmerung, der Jubel der Mauersegler. Und der Druck-er schalt’ sich aus: Timeout.

DIE AHNUNGSLOSE
… cupiditates velut mala ulcera eruperunt.

Wie aus Verwesungssaft die neuen Leben
aufwachsen bis zum wimmelnd-Überreichen
und finstre Pflanzen aus der Tiefe streben,
genährt vom flüssigen Ferment von Leichen,

Kelche sich öffnen, welche Wunden gleichen,
aus deren Blut sich gelb die Stempel heben,
wie Puppen platzen, welche in den Weichen
des fleischig-carneolnen Blattwerks kleben,

so keimen aus dem Herzen mir Gedichte
von einer bösen Art. Die Blätter hauchen
menschlichen Brodem, der wie Trauer trifft.

Und angelockt vom blutigroten Lichte
bückt sich die Ahnungslose; und es tauchen
die Finger in ein ätzendscharfes Gift.

2 thoughts on “III, 287 – Das tote Fleisch lebt wieder auf

  1. Fast schlagend, wie gerade dieses Gedicht D’Annunzios an Baudelaire erinnert! Das ist mir zuvor nie aufgefallen, jedenfalls nicht in >>>> Alcyone:

    D'Annunzio Alcyone

    (…)

    Dies alles reicht nicht an das Wunder frevler Säfte,
    Die deines Mundes Speichel löst
    Der brennt und meine Seele in Vergessen stößt,
    Sie schwindeln macht und ohne Kräfte
    Die Stürzende zum Ufersand des Todes flößt.

    Charles Baudelaire, Das Gift
    dtsch. von Carlo Schmid

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