III, 328 – Mouches

Was ich neulich aus Eigners ‘Brandig’ über die Verwahrlosung zitiert, war nicht wirklich etwas, was ich mir bewußt vornehme, es geschieht zuweilen. Das ja. Ich empfand die Verwahrlosungsepisode als den Versuch einer Beschreibung von Glück. Eine griechische Remiszenz, ein Matala hallte nach, auch wenn keine Namen genannt werden. Dennoch die sofortige Assoziation: Kreta. Leserverhängnisse. Aber das auch wieder nur: Deine Stiefel? Meine Stiefel.
Mittlerweile hat sich alles geändert. Und es stiefelt weiter. Wie meinethalben im >>>> ‘Tagebuch einer Kammerzofe’ da muß sie, die Kammerzofe, sich hohe Lederschuhe anziehen, auf das Geheiß des alten Patrons und vor diesem auf und ab gehen. Man findet ihn dann tot in seinem Bett mit diesen hohen Lederstiefeln, als umarmte er sie, die sie getragen. Wen? Sie oder sie?
Und wieder eine Dame mit Hündchen. Ich saß während des Films mit ihr allein in einer Reihe vor der Leinwand (die anderen Reihen nicht mitzählend). Was schon aufregend genug war. Eine mit hoher Gestalt, die ihr Gesicht verbarg hinter einer Riesenbrille und aufgebauschtem blondem Haar. Im oberen Gang vor dem Saal über dem Chiostro drehte sie mit ihrem Kommunikationsgerät eine nie enden wollende langsame vollständige Runde, während ich den Versuch eines Small Talks unternahm, der dann an falschverstandenen Wikipedia-Artikeln scheiterte. So ein Quatsch, insomma. Sie aber saß außen rechts. Ich außen links. So daß der Ausgang mir näher war, ich auch einen Vorschlag ausschlug (einen Ausschlag vorschlagen), zu Valda zu gehen. Und schaffte es, den Chiostro zu verlassen, noch bevor Peter Stein aus ihm hervorstürmte, der ebenfalls außen rechts, aber in der ersten Reihe saß, diesmal in Begleitung eines jüngeren Mannes, der eine hübsche Stirn hatte.
Es war auch noch einer weiterer Minihund unter den Zuschauern am Freitag. Der gehörte einem Paar. Im Film begann es zu bellen, und man hörte das Knurren der anwesenden Hündchen. Sie rechts hielt ihres beschwichtigend in ihren Armen.
Es wäre ein hübscher Übergang zum sabbernden Hündchen, daß Eigners Ich-Erzähler bei sich hat, als er da sitzt auf dem Giordano-Bruno-Denkmal auf dem Campo de’ Fiori.
Entre le deux coup de feu qui décidèrent de son destin, il eut le temps d’appeler une mouche: “Madame”. (René Char: Feuillets d’Hypnos)
Auch nur aufgeschlagen wegen “Hypnos”. Fiel mir grad so ein. Dieses Wort.
Denn seiner, des Hypnos vel Brandig, den er, der Ich-Erzähler, nicht erkennt, was sein Aussehen betrifft, wohl aber seine Stimme, wird er da ansichtig, weil von diesem angesprochen. Ich bin noch nicht am Ende. Es beginnt ein unbestimmbares Zugfahren, auf die er, der Ich-Erzähler, auf Brandigs Einladung sich eingelassen. Im Liegewagen. Paris? Immerhin geht’s an Civitavecchia vorbei. Wie aus dem Nichts ein ‘Rouge et Noire’.
Ich wollte auch heute ins Kino gehen. Es gab ‘Die Braut trug schwarz’ von Truffaut (nunja Moreau-Retrospektive, nächste Woche ist sogar Fassbinder dabei), aber schon um achtzehn Uhr, die Arbeit hinkte ihn statt ins Hinab lediglich ans Spülbecken in der Kochecke. Es war schon zu spät. Und auch gar nicht wirklich wichtig.
Morgen weiter in ‘Brandig’. Es ist diese merkwürdige Beziehung, die mich beschäftigt. Die eher als Vorwand dient, doch eigentlich über etwas anderes zu reden als über Brandig. Bei der Wiederbegegnung mit diesem hat er, der Ich-Erzähler auf dem Giordano-Bruno-Denkmal, Bücher unter einem Armen, von denen Brandig erst einen Bruno-Band, dann den Zarathustra hervorfischt und blätternd daraus vorliest.

Brandig hüstelte, er stützte sich mit der freien Hand auf dem Sockelabsatz ab, auf dem ich saß.
Die Zukunft,
fuhr er fort,

und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem Freunde sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben.
Das muß man sich mal vorstellen! Sowas betete Brandig mir vor.

Im Grunde aber suche ich selber nach Worten, die aber nicht hier, sondern ihm zu schreiben und dennoch an mich gerichtet wären. Ich türme Gebäude und schaue in die Luft, bis sich wieder alles verquickt. Es geht, Sie geht, Er aber steht in der Tür, wenn das kurze Gewitter sein strömendes Naß herniederläßt und komische Handlungen bewirkt. Wie gestern abend. Hinterher war ihm wohl.
Und er gedachte der Schwalben, die immer noch hier sind und flatternd den Kirchturm von Sant’Agostino, wahrscheinlich Insekten fressend, haufenweis’ anbeteten.

Wie die Erde, so die Rede — Ein Homotop von Namen (Egger, Herde der Rede, 143)

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