III, 383 – Auf die Knie!

Ich war ja nun entdeckt in gewisser Weise, denn am Tanzabend des Dienstags hatte ich auch noch jemanden zu mir kommen lassen, der Lust auf Wein hatte, den sie, die Tanzenden, nicht hatten, und goß ihm seine drei Gläser voll mit Rotwein aus Olevano Romano. Traubensaft viel eher als Wein sei das, meinte er, und reichte einer aus Taranto das eine Glas, die aber nicht dazugehörte, sondern hier einfach nur vorübergehend wohnt und einfach so dort stand. Ob ich Taranto kenne. Nein, sagte ich, nur aus Zeitungen (heißt, hauptsächlich verheerende Umweltverschmutzung durch das dortige Stahlwerk, und sie wußte, was ich meinte (so daß ich sie im Grunde indirekt bedauerte, aus jener Stadt zu kommen (ist mittlerweile aus den Krebs-Schlagzeilen verschwunden))). Und den ganzen Tag über umarmten sich die abreisenden Tänzer unten auf dem Platz, während sie auf die Fahrzeuge warteten, die sie zum Bahnhof bringen sollten, sofern sie nicht mit eigenem Auto angereist waren.
Irgendwann am Nachmittag dieses Abschiedssamstags tauchte der Tänzer bei mir auf, der mich am Tanzabend zuerst auf Englisch angesprochen. Ob er hier übernachten könne, das Ostello sei ab der nächsten Nacht nicht mehr zugänglich, und er habe einen Zug am Sonntagmorgen von Rom aus (wie sich herausstellte ein Zug, der die Strecke Rom-Mailand ohne Zwischenhalt in 3 Stunden zurücklegt (weil er wissen wollte, ob die Möglichkeit besteht, sich Orvieto bei einem Zwischenaufenthalt anzuschauen (was natürlich auszuschließen war))). Ich sagte zu.
Die Sache komplizierte sich, als ich mal wieder am Fenster stand und prompt von der einen Baslerin erkannt wurde, die nämlich winkte. – Machte also das Fenster auf. Ob, wenn schon der M. bei mir übernachte (was sich scheinbar herumgesprochen hatte), nicht noch mehr Platz wäre. Ich lud sie ein, vorbeizukommen und sich die Sache anzuschauen. Man hätte auch das arrangieren können, da auch von Matten die Rede war. Aber dann kamen noch Thermalbäder dazwischen, wo scheinbar irgendwer hinzufahren die Absicht hatte (dazu konnte ich nichts sagen: bin da nie gewesen), und ich verstand dann überhaupt nichts mehr von dem, was sie eigentlich wollte bzw. wollten. Tschüß sagen und Fenster zu. Grad jetzt erst wieder am Fenster: geparkte Autos wieder, sich selbst am Nachmittag wieder dort parkende weißhaarige Amerinerinnen.
Dann, noch vor meiner Essenszeit, tauchte der Übernachter wieder auf. Ich hatte ihm mein Klappsofa im Arbeitszimmer für diese eine Nacht angeboten, einen Schlafsack hatte er. Die Entscheidung, wie wo was essen, fiel auf Valdas Pizzeria.
Anfängliches Umherschauen in den Gewölben dort, bis, ich weiß nicht wie, beim Hinabsteigen ich eine Stufe übersprang und den Halt verlor. Tatsächlich lag ich auf allen Vieren auf dem Boden am Ende der Stufen. Ein leichter Schmerz am linken Knie. Das Gefühl der Peinlichkeit. Natürlich sofort überspielt. Später sah ich einen roten Fleck in der Hose. Darauf nicht weiter zu achten, trug merkwürdigerweise die Frau eines australischen Keyboarders bei, den ich vor Jahren mal spielen hörte, aber eher mit der damaligen Jazzsängerin in Verbindung bringe, deren Stimme einfach umwerfend gewesen. Ich, der ich selten spontan Komplimente mache, machte welche. Darauf kamen wir natürlich zu sprechen, denn sie schien einen redseligen Moment zu haben, und dann sprudelte sie auf englisch Termine und Termine von Auftritten ihres Mannes hervor, alles auf Englisch, sie aber, sagte sie, sei eigentlich Französin. Alles sehr merkwürdig: Man sieht sich seit Jahren gelegentlich, ohne sich wirklich mal gesprochen zu haben. Was war dieser eigentlichen Französin passiert? Er, der Aussi, hielt sich da raus.
Mit meinem improvisierten Gast über das gesprochen, was man so macht. Er Sozialpädagogik, Umgang mit schwierigen Menschen. Aber alles doch eher eine Metaebene, zu der ich was zu sagen weiß, aber dennoch immer das Unverständnis meinerseits, wenn es ein paar Mal darum ging, wie Deutsche seien. Mich hatte er ja nun in einer Bemerkung am Tanzabend als “überhaupt nicht deutsch” eingestuft. Oder so ähnlich.
Der Rückweg bescherte wegen des Knies keine Probleme. Nur nachts, da begannen die Schmerzen, und am Sonntagmorgen waren die Arme und die Möbel und alle möglichen Ecken notwendig, um überhaupt ein wenig voranzukommen. Jede ‘falsche’ Beinstellung ließ mich zusammenzucken. Das war gegen halb sieben. Und irgendeine orthostatische Geschichte mußte eingetreten sein, ich fing plötzlich an, Schweiß aus mir herauszutreiben. Ich war obenherum klatschnaß. Das legte sich dann aber. Die Tür zum Arbeitszimmer stand offen, die Haustür nur angelehnt. Niemand da! Er sei schon um 5 wach gewesen, habe, wie er dann bei der Rückkunft sagte, eine große Runde durch den Ort gedreht.
Ich hatte versprochen, ihn nach Orte zum Bahnhof zu bringen, aber daraus wurde dann nichts, und ich rief Tullia vom Bread und Breakfast an, die noch im Bett lag, ob sie nicht… Und so war das gelöst.
Man hatte mir geraten, zum Krankenhaus gegenüber zu gehen. Aber ohne Unterstützung war das nicht zu schaffen. Erst am Nachmittag gelang eine schmerzlose (wenngleich sehr schneckenhafte) Gehtechnik. Andererseits war Arbeit voranzutreiben. Bis acht saß ich. Um zehn ins Bett. Heute schon weiter ausgreifende Schritte. Sogar bis zum Tabaccaio. Ein bißchen dick noch das Knie, aber ich denke, das wird dann schon, auch ohne Krankenhaus.
So endete also die Tanzwoche mit einem ganz tanzunfähigen Bein! Und alles, weil ich mich hinabbegab! Auf eine andere als die Tanzebene, nämlich auf die Ebene des Kopfes des anderen, die nicht meine war, und mir somit das Tanzen verscherzte, weil ich nicht aufgepaßt. Jedenfalls mutatis mutandis. Ihm gefiel ja, was ich ihm erzählte und vorlas.

Hingestreckt auf den Stufen des fernen Hochaltars liegen die Geistlichen und beten ein Gebet ohne Fleisch und Blut wie vor dem nackten Leib des Herrn.

(Joyce: Giacomo Joyce).

III, 382 – Abacadabra of something like Sirens

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