… und nach Stuttgart weiter. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 8. Dezember 2022.

[13.39 Uhr, ICE516 München-Stuttgart]
Aus Salzburg prima los, in München prima an, der Folge-ICE stand bereits am Gleis. Ich hinein, den Laptop schon aufgeklappt, als die Ansage tönte: “Verehrte Fahrgäste, wegen eines Defekts am Triebwagen können wir unsere Reise mit diesem ICE leider nicht antreten. Bitte steigen Sie wieder aus und begeben sich zu Gleis 13, wo ein Ersatzzug bereitsteht.” – In dem befinde ich mich nun, und mit sechsundzwanzig Minuten Verspätung haben wir uns in Bewegung gesetzt. Ab 17 Uhr werde ich nun schon das zweite, in spe, Hochzeitspaar treffen, das nächste Gespräch aufnehmen, um es später in ein Typoskript zu transkribieren, auf dessen Grundlage dann der erste Entwurf der Hochzeitsrede formuliert werden wird.

Gestern das Treffen, in Salzburg also, war wunderbar. Was ich aber nie geahnt hätte, ist die Dynamik, daß ein Tattoo, vor allem der, auf der rechten Handoberfläche, sichtbare Bereich des meinen eine ohnedies schon wirkende Sympathie noch einmal signifikant verstärkt; irgendwann krempelte der noch sehr junge Baldbräutigam den linken Hemdsärmel hoch und zeigte mir stolz das seine, die seinen. Schon simpelten wir fach – nachdem ohnedies schon zweieinhalb Stunden erzählt worden war und ich nun eine geradezu hinreißende Grundlage für meine Rede habe. Wobei diese Verbindung durch Tattoos ganz sicher auch eine Generationen-, nun  jà, –frage(?) ist. Schade war nur, daß die Baldbraut nicht dabeisein konnte, kurzfristig in nicht dringender, sehr wohl aber drängender Angelegenheit verhindert. Es wird deshalb ein zweites Treffen geben, diesmal wahrscheinlich in Berlin; ich muß einfach, um wirklich mit Leidenschaft schreiben zu können (was sich über die Rede auf die geladenen Gäste dann immer überträgt) … muß einfach miterleben, wie zweie, die sich lieben, miteinander agieren. Immerhin gingen zwischen der jungen Frau und mir noch paar SMSe hin und her.
Auch meine Unterkunft war an sich prima und wäre sogar hervorragend gewesen, besäße das → COOL MAMA denn Zimmer, in denen die Fenster sich öffnen lassen. So luxuriös-puristisch und wie groß die Zimmer immer auch sind, es sind geschlossene Glaszellen, gestern überdies – für meine Verhältnisse, der ich in Berlin ja immer noch nicht heize – extrem überhitzt, ohne daß es eine Möglichkeit gegeben hätte, die außerdem vernehmlich vor sich hinrauschende Klimaanlage herunterzudimmen. Also war mein Schlaf nicht gut. Wobei ich fast mehr noch, als mir ein kühles Lüften übers Gesicht, wenn ich einschlafen will, wehen zu lassen, die Nachtklänge brauche, um zu schlafen. Ich ertrage ja auch Oropax nicht, will akustisch verbunden bleiben mit der Welt.
Meine Pfeife zu rauchen, überdies, war kompliziert in diesem Hotel; zwar gibt es im sechzehnten Stock eine offene Terrasse, wo es prinzipiell gegangen wäre, doch ist die, erklärte mir der Portier, winters geschlossen. Als Ersatz dient eine Art abermals Käfig, der aber offen ist, wenn auch tatsächlich käfigklein; sommers die sozusagen Schleuse auf die nun zugesperrte Dachterrasse, in  die ich so hilflos wie sehnsuchtsvoll meine begehrlichsten Blicke warf. Als ich nach dem Treffen nachts noch etwas rauchen wollte, drängten sich Gäste aus der Hotelbar dort, ich drängte mit. Es stank, ich abermals mit, erbärmlich. Alternativ blieb nur, und bleibt deswinters denn so, ganz hinabzufahren und vorm Hoteleingang zu rauchen, was bei den jetzige Temperaturen nicht einladend ist. Gerade dies, nicht einladend zu sein, bleibt mir also als Erinnerung an das Hotel zurück; man(n) fühlt sich unaufgehoben, geradezu ein bißchen diskriminiert und sogar – bestraft. Was die Freundlichkeit und Bereitschaft des übrigen Service’ allerdings zwar nicht ganz, aber doch auch nicht wenig wieder gutmacht. Und der Ausblick aus dem Frühstücks-, weniger -raum denn -saal ist grandios.
Eine gute Dreiviertelstunde Fußwegs, übrigens vom Hauptbahnhof dahin, doch die meiste Strecke am befestigten Ufer der Salzach mit himmlischen Blicken hoch auf die stolzen und jetzt schneeweiß strahlenden, nämlich wirklich von Schnee, Gipfel der Salzburger Hausberge; der Fluß allerdings, ich sah ihn schon voller wirklich als Fluß, bedenklich wenig Wasser führend. Hübsch dafür, pittoresk, die Fußgänger-Holzbrücke, die tief und schmal unter der Autobahn auf die andere Uferseite führt; insgesamt seltsam weitgestreckt, diese Stadt, die dauernd auf mich den Eindruck machte, mitten im Flachland zu liegen, was aber ja nicht stimmt. Und doch ist es so, trotz der sie umgebenden, fast rahmenden Berge.

Für die, ich schreibe jetzt mal, “Salzburger” Rede — die ich freilich ganz woanders halten werde — gehen mir schon jetzt permanent Szenen im Kopf herum; so auch, als ich am Rand des Südtiroler Platzes (mit Blick auf den “gegenübrigen” Bahnhofseingang) noch, draußen in der Sonne sitzend, den Abschiedsespresso zur ersten ruhigen Pfeife nahm, die ich seit Berlin genießen konnte. Jedenfalls, was diese, jedenfalls die, ich schreib mal, “Aufschlags”szene anbelangt, müßt’ ich sie nur noch runterschreiben, rein locker aus der Vorderhand — so plastisch bereits fühlt sie sich an. Es wäre aber ungerecht gegenüber der Braut, deren Begeisterungen ich ebenfalls “einfangen” will. Da die Hochzeit erst im Juli stattfinden wird, ist auch noch gut Zeit. Anders als für das Paar heute abend; da ist der März terminiert, und wir werden uns ranhalten müssen

An die Triestbriefe bin ich bei alledem nun doch nicht gekommen, da werd ich ab morgen “nachsitzen” müssen. Aber den dringenden Antrag eines ganz anderen Vorgangs hab ich im Zug fertigbekommen. Muß morgen gleich an die Krankenkasse raus.

Dies alles nur nebenbei; wahrscheinlich, Liebste, interessiert es Sie nicht. Was dann mein ganzes Mitfühlen hätte.
Denn derart unbetrübt:
Ihr ANH

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