Abgegeben. Und also wieder an die Triestbriefe, endlich. Das Arbeitsjournal des Montags, den 13. Februar 2023. Darin zum politisch-deutschen Belehrungsgestus sowie mit einem Hinweis auf eine grandiose Eigner-Rezension und einigen Worten zu, vorab, Hendrik Jacksons “sein gelassen”.

[Arbeitswohnung, 11.14 Uhr
Rautavaara, Vigilia op. 53]
Gutes Gefühl, den Text für das Literaturhaus nun wirklich abgegeben zu haben, nachdem es gestern noch eine längere Signalsession mit Benjamin Stein gab, dessen Hinweise und Einwände denn doch noch zu, wenn auch nur in Details, Revisionen führten. Elvira M. Gross hatte ja eh schon durchgeschaut; hinzu kam noch vor allem Ricarda Junge, deren Satz “Da wirfst du den beiden Damen ja ganz schön was hin” noch jetzt in mir nachhallt. Imgrunde bleibe ich aber doch bei dem Thema, das mich in letzter Zeit, vom Ukrainegrauen abgesehen, am meisten beschäftigt, so sehr, daß ich es jetzt sogar auf dem Rücken trage.

Und es kam sogar schon eine, so fast unerwartete Antwort:

Zur Berliner Wahl wiederum nur kurz die Anmerkung, daß mein Bleistift schon gezuckt hat, bei der CDU mein Kreuzchen zu setzen, und zwar, weil ich mir angewöhnen will, tatsächlich nach meinen Interessen die Stimme abzugeben; jahrzehntelang habe ich es nach von mir so betrachtetem Allgemeininteresse getan, also die Grünen gewählt. Doch deren wie der Linken von oben herabdiktierte “Gender”-, ich nenne es mal, –bereinigung der Sprache (die eben mitnichten eine aus sich heraus geschehende Veränderung von Sprache ist, also im Sprachverhalten des Volkes entsteht, das sicher viel eher in der Hereinnahme englischer Wörter und sogar den Austausch deutschsprachiger durch diese kennzeichnen läßt), gefährdet meine Dichtung und damit mich selbst. “Sprachbereinigung” ist ein übles Wort, ich weiß, und schaut auf eine sehr, sehr böse Historie zurück. Doch auch ganz allgemein geht mir der linke und grüne Belehrungsgestus ausgesprochen auf die Nerven; Deutsche haben zu sowas ja sowieso eine ungute nicht nur “Tendenz”. — Aber das, die CDU anzukreuzen, schaffte ich denn doch nicht; es hätte meine gesamte bisherige politische Geschichten durchgekreuzt. Also wieder FDP, womit ich zumindest meiner, mütterlicherseits, Familie treu bleibe, meiner Mutter sogar direkt, die, als Freiberuflerin, bzw. Selbständige, bis zu ihrem Ruhestand i m m e r FDP gewählt hat (danach allerdings, auch das mutterfamilienseits, SPD). So daß ich nun, nachdem es die Liberalen nicht einmal in den Senat geschafft haben, mit zu den Verlierern gehöre, was mir zumindest insofern gefällt, als es mir ein traulich-vertrautes Gefühl gibt.

Unvergleichlich wichtiger ist, daß Lars Hartmanneine grandiose Rezension zu Gerd-Peter Eigners “Der blaue Koffer” geschrieben hat. Einfach nur hinreißend, und, ich schrieb es ihm vorhin privat bei FB, kurz kamen mir sogar mal die Tränen. — Dort bei FB gibt es übrigens eine durchaus → nachlesenswerte Diskussion, nicht auf Hartmanns, doch auf Alexandru Bulucz‘ Site, dem dort zu folgen es sich sowieso lohnt. Es ist nämlich sehr schade, daß manche dieser Diskussionen verloren gehen werden; sie, also auch diese, zu archivieren, habe ich selbst wirklich nicht die Zeit; in Die Dschungel hole ich so etwas nur “rüber”, wenn es direkt mit ihr, Der Dschungel, auch zu tun hat. Ist immer schon Arbeit genug; die Zeiten, in denen hier direkt und heftig diskutiert wurde, ist leider deutlich vorbei. Auch das konzentriert sich unterdessen, von den Teilnehmern selbstgewählt, in den Diensten eines Multis. Nein, ich beklage es nicht, konstatiere nur. Und beobachte es, den, sozusagen, höchst ergebigen Selbstvernichtungsstoff für einen möglicherweise nächsten Roman. Benjamin Stein ist mir da → allerdings voraus. Auch deshalb werde nicht ich selbst ihn schreiben; um so etwas tun zu können, habe ich zu viele noch offene Projekte (zu denen auch – ja, immer noch, wenn auch still – “der  Friedrich” gehört). Vor allem will ich nun endlich den Triestroman fertig bekommen, bin doch schon im Anlauf zum großen Finale, von dem es durch ein enorm nicht “nur” mythisches Aufbrausen der Elemente in einem langem, aber schnellem langem Fall tief hinab ins

ENDE

gehen wird.

Danach die ersten Sappho-Gedichte sowie die Novelle um Yōsei, jene für diaphanes, diese für Elfenbein. Vorher aber muß ich noch mal, sagen wir, “pausieren”; zwei Hochzeiten, zu deren Durchführung ich gebucht bin, stehen an, die erste von Donnerstag bis zum Sonnabend im Ludwigsburger Schloß Monrepos, die zweite zu Ende der zweiten Märzwoche an der Ostsee in Schloß Weißenhaus. Beides wird etwas dringend benötigtes Geld in meine Kasse spülen; beim zweiten Termin werde ich selbst die Traurede halten (die geschrieben nun auch schon und, glaube ich, höchst lebendig geraten ist).


J
etzt aber muß ich die Scalinata delle Medaglie d’Oro zur Santa Maria Maggiore dei Gesuiti hinauf, in deren Kirchenschiff ich endlich Nimuehs so verzweifelte Bitte zu erfüllen habe.

 

 

Ihr, Freundin,
ANH

 

[Hans Werner Henze, Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 (1949)]

 

D o c h noch eines: Wenn ich zum Lesen komme, lese ich zunehmend berückt in Hendrik Jacksons Aufzeichnungen → Sein gelassen von 2016, worin sich etwa folgendes findet:

ohne Güte aber, das ging mir nachts, am offenen Fenster unter einem Dach, nach einem langen Schweigen, dem ein stimmiges Gespräch vorangegangen war, auf, bliebe Schönheit unergründlich, da leer. Schönheit käme eines Tages, wenn sich die Aufregung um sie, die Gier nach ihr gelegt hätten, die Abenteuer sämtlich erzählt wären, mit Güte überein.

Auf ziemlich vertrackte Weise schließt sich das ziemlich eng an meinen Text für das Literaturhaus an, oder umgekehrt. Es gibt hier einen simultanen Herzschlag, der bei Jackson aber warm, weil hoffnungsvoll, bei mir kalt ist, weil jede noch erlösende Wendung vorbei. In jedem Fall werde ich über Jacksons räumlich zwar kleines, im Innern aber unendliches Buch einen eigenen Text verfassen – vielleicht übermorgen im Zug nach Ludwigsburg. Es ist mir schon genauso lieb wie Wolfdietrich Schnurres → Schattenfotograf.

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