Eine Einschätzung, der ich mich unbedingt anschließe. Camus über Melville. (Melville 2023,2).

 

Als schöpferischer Geist ist er zum Beispiel ein Antipode von Kafka, dessen künstlerische Grenzen er uns bewußt werden läßt. Bei Kafka überragt das – allerdings unersetzliche – geistige Erlebnis das Ausdrucksvermögen und die Erfindungsgabe, die einseitig bleiben. Bei Melville ist dies alles ausgewogen, und das Geistige schöpft aus den andern beiden Gaben ständig Kraft und Nahrung. Wie die größten Künstler hat auch Melville seine Symbole auf konkrete Tatsachen und nicht auf Traummaterial aufgebaut. Der Mythenschöpfer hat am Genie nur insofern teil, als er die Mythen in einer soliden Realität und nicht in den flüchtigen Wolkengebilden der Phantasie entstehen läßt. Bei Kafka wird die Realität, die er schildert, durch das Symbol heraufbeschworen, die Tatsache wächst aus dem Bilde heraus; bei Melville entspringt das Symbol der Realität, das Bild wird von der Wahrnehmung geboren. Aus diesem Grund hat sich Melville weder von Sinnlichen noch von der Natur je entfernt, die im kafkaschen Werk verschliert sind. Melvilles Lyrik, die an die von Shakespeare erinnert, schöpft vielmehr aus den vier Elementen. Sie vereinigt die Bibel mit dem Meer, die Melodie der Fluten mit der Musik der Sphären, die Poesie der Tage mit der Großartigkeit des Atlantiks. (…) Diese hinreißenden Bücher, in denen der Mensch zu Boden gedrückt, das Leben aber auf jeder Seite gepriesen wird, sind unerschöpfliche Quellen von Kraft und Mitleid. Man findet darin Auflehnung und Zustimmung, unbezähmbare und grenzenlose LIebe, Leidenschaft und Schönheit, erhabenste Sprache, kurz: Genialität. “Um den eigenen Namen zu verewigen,” sagte Melville, “muß man ihn in einen schweren Stein eingravieren und auf den Grund des Meeres versenken. Die Abgründe überdauern die Höhen.”
(Deutsch von Lislott Pfaff, Hervorh. von  mir, ANH.)

Es erscheint mir natürlich, wenn Melville alttestamentarisch, biblisch wird. Und wenn er barbarisch wird, so erscheint mir das ebenfalls natürlich. Ich hatte bei der Lektüre keine Zeit zur Frage gehabt: wo hört jetzt das Biblische auf und wo beginnt das Barbarische?
William Faulkner (zitiert nach dem Klappentext der Diogenes-Ausgabe)

 

Wobei eben auch er, Melville, die öffentlich angemessene Wahrnehmung seines Werkes als das, was es ist, nicht erleben durfte, zeit seines Lebens eher belächelt, zumindest als marginal abgetan worden ist. Naiv, unkundig, dumm (oftmals beisammen, diese drei) oder absichtsvoll ignorant, ignorierend, wer meint, so etwas habe sich unterdessen geändert — umso schlimmer, als wir nicht wissen und wissen nicht können, wer alles zu Unrecht so sehr untergegangen, daß selbst der Name weggespült ist, hinausgesogen aufs Meer des Vergessens. Nicht Melville, aber wir hatten, und haben es noch, mit seinem Werk Glück.
ANH, Ostermontag

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