Furor und Kollaps

— und höre sie noch zischen: “Verpiß dich!” Höre es wieder und wieder. ‘Krieg’, dachte ich unten auf der Straße, soweit sich’s ‘denken’ nennen läßt. Krieg. Krieg, Krieg, Krieg. Ich dachte es den gesamten Heimweg lang.

Ich hab mich provozieren lassen, nicht von ihr, nein, sie ging “nur” dazwischen, Göttinseidank. Irgendwann hatte mein Blut gekocht, brodelte hoch in die Augen. Da schlug ich zurück, aber physisch. Zielgenau hatte der Typ das Zentrum meines Traumas getroffen, nur so kann ich mir meine Raserei erklären. Welch eine Kraft ich hatte! also immer noch habe —
— hatte ich nicht gestern tags ein Arbeitsjournal begonnen, doch vor meinem Aufbruch nicht mehr zuende schreiben können, in dem ich über den Krieg sann, Putin, die auf uns zukommenden Bedrohungen und daß ich mich kampfbereit mache? Jetzt war’s, im Rückblick, wie eine düstre, grauenvolle Nagelprobe. Goya, Goya – aus der Tiefe, aber meiner eigenen.

Ein letzter solch gewaltiger Raptus erschütterte mich 2002; ich habe gedacht, nein, war mir sicher, daß sowas niemals wiederkehrt. Der Verlust war einfach zu groß. Nun aber, auf dem Rückweg, ich schob das Fahrrad, mischte sich in die Erschütterung, erinner ich mich, auch etwas wahnhaft Triumphales: “Ich kann mich wehren, werde es können, wenn der Krieg kommt, ich werde ein Opfer nicht sein, das einfach hingeschlachtet wird.” Aber klar, klar, ohne gestern den vielen, sehr vielen Alkohol wär dieser Furor nicht wirklich physisches Brennen geworden.

Bis eben lag ich wie im Schock, starrte zur Decke, starrte zur Decke, auch mit geschlossenen Augen. Zweimal versuchte ich aufzustehen, die Übelkeit zwang mich zurück; etwas essen konnt’ ich schon gar nicht. Von einem, der lang vor den Geschehen gegangen war und sie nun erfahren hatte, kam lindernd eine SMS, auf die ich noch nicht antworten konnte. Alle anderen Zeugen, ganz wie die Frau, schweigen bislang.
Leere. Was heilte, ist, fürcht ich, zerbrochen. Frühnacht von gestern auf heute.

Die erste Nahrung, zwei Bananen und vier Zitronen im Eiweißdrink, scheint mein Körper immerhin zu halten. Den Bademantel behalte ich aber wohl an. Dennoch, ich schreibe. Es ist ein Erwachen, auch wenn es bitter weinen möchte.

 

ANH, 16.31 Uhr
Zwitschern von draußen und Gurren der Tauben

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