Das Grobe, das Zarte. (Mit zweiter Version, 19.12.).

[Erste, skizzierte Fassung (16.12.):]
das Schrein einer Frau nach der Rute
das Gute, Böse

die fallenden Tropfen Schweißes
klaren, daß der Schädel lebt

der Körper bebt bis
durch den Geist, des wahren

Augenblicks kaum inne
der erlöse (doch er weiß es

und man ist gewollt
wenn sie sich aufbäumt aufgespreizt)

und rollt – ein Bulle, der brüllte
selber – zitternd zur Seite am Boden

– beidseits Bücher wändehoch, und Bilder
Nässe, nahes Stuhlbein, Noten

und Nippes, gesammelt in Jahren
die aufgeheizt von Welten waren:

Horden von Dingen blicken
fern von den hundert Borden herab

fremd wie die hohe Decke des Zimmers
mit der kaputten, elternlosen Lampe

auf Tücher, dich nun abzutupfen
und auf die warmen Hoden

schwere, im Nachhall deines
Gewimmers, und leere von Verlangen

doch die vom Tier noch duften
deinem, meinem groben, zarten

und von dem Harten, Bangen.

[Bin mir sehr unsicher mit den letzten beiden Zeilen. (16.12., 10.58 Uhr).]

[Zweite Fassung nach den Diskussionen, 19.12.:]
Das Schrein einer Frau nach der Rute
das Gute, Böse

die fallenden Tropfen Schweißes
vom Schädel,

klar wie Wasser, das lebt
Der Körper, ungewahr

des Augenblickes, bebt,
der ihn erlöse

(denn er ist gemeint, gewollt
und weiß es

da sie sich hochbäumt aufgespreizt
und er sich, Bulle, der aufbrüllt

zur Seite rollt am Boden
und minutenlang nachzuckt)

– beidseits Bücher wändehoch, und Bilder
nahes Stuhlbein, Noten

und Nippes, gesammelt in Jahren
die aufgeheizt von Welten waren:

Horden von Dingen blicken
von den hundert Borden herab

fern wie die Decke des Zimmers
mit der kaputten, spitzen Lampe

auf Tücher, dich nun abzutupfen
und auf die warmen Hoden

schwere, im Nachhall deines
Wimmers, und leere von Verlangen

doch duften noch nach dir
der bangen, und dem Tier

dem groben, zarten – mir.

12 thoughts on “Das Grobe, das Zarte. (Mit zweiter Version, 19.12.).

  1. Famos, soweit (finde ich). Nur vielleicht: “Deines/ Wimmerns” statt des leicht ge-nervt klingenden Ge-wimmers. Und irgendwie halte ich das Gedicht prinzipiell für unabschließbar, in der Intimität, die es wunderbar heraufbeschwört – schon das Selbstzitat mit dem Tier, also der Verweis auf eine auch anderswo vertretene philosophische Position ANHs, mindert diese Intimität ein wenig und scheint mir eher aus der Not geboren, also nocht notwendig. Gibt es Gedichte ohne Ende? Ich würde bei diesem, wegen seiner Qualitäten, es auch hinnehmen, wenn das Ende bloß so irgendwie verläppert. Ja, durchaus.

  2. Der letzten beiden Zeilen sind Sie sich zu Recht unsicher. Ich ließe die vorletzte Zeile fort.

    Das hier aber:

    Horden von Dingen blicken
    fern von den hundert Borden herab

    fremd wie die hohe Decke des Zimmers
    mit der kaputten, elternlosen Lampe

    stört mich sehr.

    Die Horden blicken fremd herab, das soll nun weiter erläutert werden, aber es kommt zu diesem Behufe ein Bild, das sich nur wenig vom zu Erläuternden unterscheidet: eine hohe Decke, die auch fremd herunter schaue. Das bringt weder Neues noch erhellt es das bereits Gesagte.

    Und dann klingt die Folge ‘kaputten, elternlosen Lampe’ mir nicht angenehm, ganz zu schweigen, daß sie mir – in Ihrem Gedicht – wenig bis gar nichts sagt. Natürlich kann ich meine Phantasie anwerfen und aus einer solchen Lampe mehr machen. Aber das kann ich aus einem Päckchen Filtertüten ebenfalls. Und im Zusammenhang Ihres Gedichts fällt mir wenig ein, das hinein passen könnte. In den meisten Zeilen klingt sehr schön eine doch erwachsene und herbe Sinnlichkeit heraus, zu denen der Anklang an Kindheitsmomente (die ich aus der Lampe machte) mir nicht zu passen scheint.

    Ein Wort, das ich nicht mag, ist ‘Schädel’, weil es für mein Empfinden leider seit vielen Jahren bei alternden Männern Mode geworden ist, das Wort ‘Kopf’ damit zu ersetzen, wenn sie sich bewußt einmal nicht kopflastig, sondern viril-irdisch geben wollen. Mir leuchtet der Gebrauch dieses Wortes dort, wo nicht etwa Tod und Vergreisung angesprochen werden sollen, nicht ein. Hier paßt es wenigstens klanglich, eine Alternative aber wäre mir lieber.

    Hier:

    und rollt – ein Bulle, der brüllte
    selber – zitternd zur Seite am Boden

    – beidseits Bücher wändehoch, und Bilder
    Nässe, nahes Stuhlbein, Noten

    komme ich mit den Gedankenstrichen in Tüdder.

    1. @Sumuze. Danke für Ihr neuerliches Engagement. Es hilft mir immer sehr, die nötige Distanz zum Werkstück herzustellen.

      Im einzelnen:

      1) „Ich ließe die vorletzte Zeile fort.“ – Das reicht nicht; auch die letzte Zeile ist noch zu abstrakt. Ich stelle seit gestern immer wieder Varianten her, die das Sinnliche auch hier hineinbringen.

      2) „Horden von Dingen blicken
      fern von den hundert Borden herab

      fremd wie die hohe Decke des Zimmers
      mit der kaputten, elternlosen Lampe

      stört mich sehr.“ Mich auch. Ich denke, es liegt an der Verdopplung von „fern“, „fremd“, dann noch „hohe Decke“. Momentan bin ich hier:

      Horden von Dingen blicken
      von den hundert Borden herab

      fern wie die Decke des Zimmers
      mit der kaputten, elternlosen Lampe

      Da will ich aber auch noch etwas anderes ausdrücken, eigentlich. Ich meinte, das mit dem „elternlos“ zu tun; es war, was mir als erstes einfiel, um „mutterlos“ zu vermeiden, was weniger ungenau gewesen wäre. Möglicherweise reicht „mit der kaputten Lampe“, dann geht hier aber etwas Entscheidendes verloren; außerdem wird der Vers dann weder durch eine Alliteration noch einen Reim „aufgefangen“ – vielleicht sollte er das aber auch gar nicht. Ich könnte allerdings statt kaputt das freilich wieder zu abstrakte Wort defekt setzen.
      Ist Gegenstand meines Nachdenkens und Probierens. Sie werden mir allerdings, jetzt muß ich lachen, recht geben, daß ein Kaffeefilter unter der Decke s c h o n berechtigter Gegenstand einer Meditation wäre und sicher weniger sinnfällig als eine Lampe.

      3) Bei dem Schädel mag ich Ihnen nicht folgen. Ob der Begriff bei alternden Männern Mode geworden ist, weiß ich nicht zu sagen; wenn, mag das weniger mit Mode als mit beginnender Kahlköpfigkeit zusammenhängen, die in der Tat den Begriff des Schädels genau macht: auf eben das spielt er bei mir auch an. Ich habe von „Schädel“ zum ersten Mal bei Dr. Lipom aus dem >>>> WOLPERTINGER gesprochen, und auch da schon war Kahlköpfigkeit gemeint. Ein zweites Mal wird >>>> Fichtes Kopf so genannt. Und nun abermals einer hier. Es geht überhaupt nicht um Tod und Vergreisung, das zeigt das Gedicht ziemlich deutlich; es geht auch nicht ums Altern, sondern schlichtweg um Glatze im Zusammenhang mit kantigen Gesichtern. Kein anderer Begriff eignet sich so sehr, dieses Bild zu evozieren. Vielleicht ist es zu Ihrer etwas anderen Assoziation >>>> deshalb gekommen.

      4) Ja, dieser Gedankenstricheinschub ist wirklich nicht die Lösung, auch wenn er eine Zweideutigkeit behebt. Ich bleib da selber ständig hängen.

    2. Zum Thema ‘Schädel’ bin ich ein wenig in mich gegangen. Nein, die von Ihnen verlinkte Diskussion berührt mich leider wenig, da ist mir zu viel herausgeholtes Schulbuchwissen drin, als daß sie irgendwoanders hin führen könnte als dorthin, wo alle anderen bereits schon waren. Ein Problem sicherlich, wenn ‘zu viel’ an (Allgemein- oder Spezial-)Wissen Anwendung findet.

      Was Sie aber schrieben zur ‘beginnenden Kahlköpfigkeit’ leuchtet mir ein. Das Bild eines hautlosen Schädels stünde dann für die haarlose Kopfhaut (denn die Enthaarung enthäutet ja an sich noch nicht), und Nacktheit wäre hier das Ergebnis einer Häutung. Zufrieden damit bin ich jedoch (allgemein) nicht ganz, vor allem bleibt meine – zugegeben sehr private – Konnotation. Im Gedicht allerdings paßte es vielleicht hinein: ‘der Schädel lebt‘ hieße dann für mich, er lebe noch – trotz Vergreisung usw., falls Sie darauf zielen wollten – und zwar unter der Haut, die doch so wichtiges erotische Sinnesorgan ist und auf der sich (siehe Schweiß und Rute) alles andere abspielt. Einen Kontakt von Knochen auf Knochen stelle ich mir dagegen eher abschreckend und scheußlich vor, ich würde in diesem Zusammenhang liebend gern die Haut dazwischen haben!

    3. Knochen an Knochen, das ist doch das erotischste, der erotische Moment, das ist, als würde man auf eine Türe zugehen. Natürlich das ist es doch, der inbegriff von allen und Jesus.
      Ja wir stehen, aber wo und wenn wir stehen, wo und wie und wann, wir das sind
      doch Knochen und Reibungen und alles.
      Nun, ich sage es ehrlich, ich arbeitete einst in einem Sozialdemokratisch geführten Spezialgeschäft für Acryllack. Wir hatten dort einen pensionierten Schaffner, der sich immer die neusten Zeitschriften ansah.
      Damals gab es noch dieses Knochenmagazin und wann immer ich ihn betrachtete, hatte ich das Gefühl, da ist ein Mensch glücklich,

  3. Ich frage mich seid längerem schon warum das Arbeitsjournal und generell das die Arbeit begleitende Denken und was und wie da herumformuliert wird, mir tausendmal interessanter scheint und lieber ist, ja b e s s e r ist in jeder Hinsicht, als die Ergebnisse der Arbeit selbst. Die fallen regelrecht ab. Wie das sein kann, woher das kommt.

    1. @The Lunts. 1) Woher beziehen Sie die Annahme, Sie würden in Der Dschungel mit “Ergebnissen” konfrontiert? In aller Regel, wenige >>>> Findungen ausgenommen (aber selbst in diesem Fall ist das Gedicht fürs Buch noch einmal revidiert worden), bekommen die Leser hier Proben aus Arbeitsvorgängen zu lesen, also Skizzen, zum Teil ihre Weiterarbeit usw., nicht jedoch fertige Texte. Solche selbst, also fertige Texte finden Sie in meinen Büchern, deren Entstehung man seit fünf Jahren in Der Dschungel mitbekommen kann, etwa >>>> Die Niedertracht der Musik, etwa die >>>> AEOLIA und, wenn der Roman denn herausgekommen sein wird, auch >>>> ARGO. Ich stelle in Die Dschungel oft Tagesergebnisse ein, die eben nicht fertige Ergebnisse sind, oft revidiere ich vor den Augen des Lesers, diskutiere Ansätze durch usw. Diesen Ansatz Der Dschungel scheinen Sie noch nicht verstanden zu haben.
      2) Im Arbeitsjournal gibt es eigentlich kein die Arbeit begleitendes Denken, das die Arbeit d i r e k t betrifft; sondern da werden die Umstände bedacht, unter denen eine Arbeit geschieht. Sehr selten halte ich das im Arbeitsjournal anders, das wiederum vom Tagebuch, soweit ich’s wieder führe, unterschieden ist, als dieses “rein”-Persönliches behandelt. Überlegungen zur Arbeit selbst werden in anderen Rubriken, und dann auf der Haupt-Site Der Dschungel angestellt: in den >>>> Paralipomena, den >>>> Notizen, den >>>> Segmenten zum Kybernetischen Realismus usw., übrigens auch in meinen >>>> Opernkritiken, weil ich ich sie als Teil meiner Ästhetik verstehe, die ohne ein Denken zur Musik nicht auskäme.

    2. Ich fürchte ich bin geistig zu schwerfällig und auch zu unsachlich, um Ihnen so differenziert zu antworten, wie Sie es getan haben. Wenn ich etwas „Gedicht“ nenne ist es jedenfalls schon eher in der Nähe eines Ergebnisses, als noch im Nichts zu sein. Ich nenne auch ein unfertiges Gedicht ein Ergebnis.

      Mein Empfinden ist: Sobald etwas bei Ihnen zur Endgestalt sich neigt, Titel bekommt, eingeordnet wird usw., rückt es ab ins Schlechtere, fallen die falschen Entscheidungen. Kippt es oft ins, entschuldigung, Lächerliche, Pompöse, Schwulstige, gepaart mit so einem komischen Respekt vor der sogenannten Hochkultur. Auf der anderen Seite scheinen Sie ganz genau zu wissen, was Sie sagen, die Hölderlin-Kritik war so überzeugend, da sitzt alles. In der Dichtung haut merkwürdigerweise nicht soviel hin.

      Ich meine nicht die Richtung die Skizze ist schöner, weil freier, wilder als das Ölbild, ich meine Sie wünschen etwas Falsches zu erfüllen, sind irgendwie gebunden, ich weiß nicht, was das ist. Ich kenne auch Ihr Werk zu wenig und weiß nichts darüber, worum es Ihnen LETZTLICH geht.

    3. zu lesen, The lunts, hilft. Dazu sind die Bücher ja da. Und Argumente, was Sie unter “pompös”, “schwulstig” usw. verstehen, fehlen. Das scheint mir oft eine reine Geschmackssache zu sein. Schon das Wort vom komischen Respekt vor der Hochkultur zeigt das an. Was hielten denn Sie für ein “Richtiges”? Vielleicht sind wir genau da uneins; das läßt sich ja auch drehen, so daß ich Ihre Position für eine falsche hielte (wüßte ich mehr von ihr oder überhaupt etwas von Ihren Vorlieben).
      Es gibt bis heute Leute, die etwa Wagners Musik als schwülstig mißverstehen, andere meinen, damit Stockhausen zu verstehen usw. Dieses nur als Beispiele, für die es Tausende gibt. Ich meinerseits empfinde so gut wie alles im Pop als schwülstig. Auch dafür gibt es – begründete und begeisterte – Gegenstimmen.

  4. vielleicht liegt es einfach daran, dass literaten leider wissen, was ein werk ist und sein soll.
    was ist die ablenkung, was ist der trick. es ist gar nicht so einfach, vom anderen ende der werkvorstellung zu schreiben.
    nicht selten sind die skizzen zu gemälden viel ‘freier’ als die gemälde selbst für die sie angefertigt wurden, dennoch hätte es sie vermutlich ohne werk in ihrer gestaltung so nicht gegeben und man hätte ihr ‘freier’ sein gar nicht erkannt. es ist vielleicht noch nötig in einem fertig und vorläufig zu denken und zu produzieren, um genau diesen zwischenraum zu eröffnen, in dem dann etwas neues entstehen kann? die dschungel markieren dieses dazwischen (in ihren unstrukturierten momenten) und geben einen einblick in das zwischengeschoss, von dem viele autoren und leser kaum was wissen (wollen), noch ihm einen wert beimessen. das ist schon viel. zumindest mehr als man bei vielem sonst erwarten kann.
    äußerst schwierig. bei vielen schreibern frag ich mich, wie hielten sie ihr buch eigentlich durch, oder warum enthält es nichts von der langeweile und dem ekel, der sie beim schreiben befallen haben muss. über die prüderie des buchstaben ausmalens wird meist wenig gesagt.
    (kind, du hast so prüde augen.
    ach, es ist nur, weil ich wieder gelesen statt gevögelt habe.) just kidding, so brincadeira…

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