Paris Diary. Der dritte Seminartext. Von Jan Küveler. Zu kommentieren freigegeben.

Paris Diary

Montag, 10. August 2009
Lange geschlafen, leicht verkatert wie immer. Apfelsaft, Marzipanschokolade und Vanillejoghurt zum Frühstück. Einige Stunden auf den Computer gestarrt, Fahrrad gefahren. Truman Capotes Other Voices, Other Rooms sowie Kiplings A Story of Myself bei Shakespeare & Company gekauft. Sonnenschein.
Ach ja: Wim Wenders in wunderschönem kleinen Café auf der Île de la Cité gesehen. Er sah sehr wimwenderisch aus und beschäftigte sich mit einem MacBook Air. Als ich an ihm vorüberfuhr, ging mir durch den Kopf: wo ist Dein Kunstehrgeiz geblieben, Deine Leidenschaft, warum läßt Du Dich so gehen bzw. hängen? Damit meinte ich übrigens mich und nicht Wim. So, jetzt schnell einkaufen.

Dienstag, 11. August 2009
Heute tagsüber arbeiten wollen, aber nur an Schriften herumgedoktort. Ziemlich perfekt jetzt, die »dftype Rialto«, komplett mit Ligaturen und dem ganzen Wauwau. Dafür die Sonne verpaßt. Gräme ich mich? Ja. Habe allerdings auch ein erhebliches Talent zum Selbstgrämen..
Spaziergang zum Supermarkt, Monoprix. Der Lidl gleich um die Ecke ist besser. Shampoo gekauft, Pantene Pro V, das mir dank der Globalisierung rund um die Welt die Haare wäscht.
Tiefkühlkost zum Abendbrot, Battlestar Galactica bis spätnachts.

Freitag, 14. August 2009
Ich lebe von Lidl, Neckarsulm: Perlenbacher Lager und Vanilleeis halten mich am Leben. Draußen saisontypische Hitze. Irre zu denken, daß der Sommer bald wieder vorbei ist. Muß unbedingt sicherstellen, den nächsten, wenn irgend möglich, außerhalb von Städten zu verbringen.
Gleichmäßig unproduktiv. Lese mich langsam durch den Capote. Wohl morgen fertig. Scharfe Gedanken einer zarten Seele. Wie sagt er an einer Stelle: hm, komm gerade nicht drauf.

Freitag, 21. August 2009
Wahnsinnsmeldung. Stellte sich gerade heraus, daß der Investmentbanker Ryan Alexander Jenkins, der in der US-amerikanischen Show »Megan wants a millionaire« den Millionär spielt, seine Ex-Frau, das Playmate Jasmine Fiore, zerstückelt in einer Mülltonne zurückgelassen hat. Of­fi­ziell gilt er als Zeuge, hat sich durch sein promptes und nachhaltiges Verschwinden allerdings erheblich verdächtig gemacht.

[Siehe auch >>>> dort.]

6 thoughts on “Paris Diary. Der dritte Seminartext. Von Jan Küveler. Zu kommentieren freigegeben.

  1. das exponieren einer glaubhaften tagebuchpersönlichkeit, das schwierigste unterfangen überhaupt. das, immerhin, kann man bei goetz lernen.
    man muss davon ausgehen, keiner lebt, was er schreibt, und man möge auch bitte niemanden dazu verpflichten, dann sähen natürlich die texte auch gleich viel mutiger aus. traut sich ja keiner so wirklich, weil man meint, man dürfe nur mit der währung des authentischen auf text wechseln. kappes.
    die beiläufigkeit wirklich beiläufig werden zu lassen im tagebuch, das wäre ne aufgabe, um die ich mich ja auch drücke.

    einen ‘gleichmäßig unproduktiven’ charakter glaubhaft entwickeln, wäre echt große literatur, aber, sehr sehr schwierig.

    1. problem der gattung tagebuch: als öffentliches genre kann es nur simuliert oder inszeniert sein, als wirklich intimes tagebuch bekommen wir es zumeist erst nachher zu sehen. deshalb ist es immer nur “tagebuch” statt tagebuch. Leider ist das tagebuch immer schon von menschen mit räsonierender kompetenz verfasst, und wenn es nur das selbstgespräch ist. Uns fehlen aber die Tagebücher all der nichträsonierenden Menschen. genau die würde man gerne lesen. Deshalb ist das “tagebuch” als genre eben imer in anführungsstrichen irgendwo zwischen notizzettel und arbeitskladde bei professionellen räsonierern zu finden. Was sie dann immer irgendwo zahm macht. henry frederic amiel könnte man heute als den paten und großmeister aller radikalverschriftlichung von Leben auch als ansammlung und aufzeichnung vieler nutzlosen stunden bezeichnen – er wird als “neil-amstrong” der diaristen gehandelt.

  2. Dieser Text stellt für mich einen typischen fragmentarischen Auszug aus einem Tagebuch dar, geschildert wird, was den Erzähler an vier Tagen im August 2009 in Paris anscheinend besonders aufgefallen ist.
    Erstaunlich finde ich, dass nicht die Schönheit dieser Stadt, die flirrende Hitze, das Laiser faire, die Einsamkeit in den Straßen von Paris oder die Stille im Louvre vor einem Bild eines alten Meisters geschildert wird, sondern Alltäglichkeiten, die genau so auch in einem Tagebucheintrag von jemandem stehen könnten, der sich zur gleichen Zeit in Deutschland aufgehalten hat und offensichtlich arbeiten musste. UND vielleicht genau deshalb die Schönheit der französischen Metropole, die Besonderheit des städtischen Lebens im Hochsommer, wenn die meisten im Urlaub sind, nicht wahrgenommen hat… es sei denn (diese Eindrücke) sie werden in jenem Tagebuch bereits an anderer Stelle (zu einem früheren Zeitpunkt) geschildert.

    1. Dem kann ich mich anschließen Es hat eine glouriose Lässigkeit, in der Welthauptstadt der Verführung, der Düfte, der Extravaganzen, einfach ganz frech von Lidl zu schreiben. Das ist so ein Kontrapunkt, der den Schreibenden als ziemlich lässigen Weltbürger ausweist, einfach lässig, wie der da so über Pantene pro V schreibt, das hat sowas unaufgeregtes, und als Leser denkt man sich…boah, der ist in Paris und findets garnicht aufregend…cooler typ irgendwie, das hat so was von globalisierter Zigarette im Mundwinkel, astrein irgendwie, cool halt, und man selbst denkt, wie provinziell ist man eigentlich jetzt zu erwarten, dass er eine schöne Pariserin trifft ala juliett Binoche in Leder – und dann den Polanskiefilm seines Lebens mit ihr erlebt….man warte ja förmlich auf das “Mädchen mit dem Rucksack” – aber er ganz lässig, zeigt uns den lidl, wow.

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