Sehnsucht des Beisammenspiels. Beide Brahms-Sextette im Konzerthaus Berlin.

Dies ist nicht nur ein weiterer Erfolg der ohnedies längst erfolgreichen Cellistin Sol Gabetta gewesen, sondern, daß der große Saal der Konzerthauses ausgerechnet für ein Kammerkonzert wirklich ausverkauft war, ist noch sehr viel mehr ein Erfolg des Konzerthausorchesters selbst, dem alle anderen fünf Musiker angehören – teils, wie Michael Erxleben und Ferenc Gábor, seit Jahren. Am Sonntag vormittag ließen sie hören, auf welch Können ihr Orchester und damit das Haus nicht nur bei ihnen zurückgreifen kann.
Und auch, wenn die große Menge Hörer sicherlich vor allem von der charmanten, ein wenig engelhaften Erscheinung der Gabetta angelockt worden war und von dem Ruf, der ihr und ihrem schon unanständig teuren Instrument vorauseilt, einer Leihgabe des >>>> Rahn-Kulturfonds, war spätestens nach dem ersten Satz des ersten Sextetts klar, daß sich hier keineswegs nachgeordnete Musiker eingefunden hatten, um für einen Star denTeppich zu geben, sondern, sei’s wegen der möglicherweise bewußt sich gleichberechtigt ins Stimmgewebe einfügenden Virtuosität Gabettas, sei’s, weil Brahms’ Komposition gar nichts anderes zuläßt, es wurde kammermusikalisch im besten Sinn harmonisch vorgeführt, was des Klassizisten Ideal so auch war: Sturm und Drang eingewoben und -gebettet in ein möglichst durchsichtiges Klanggewebe, das zugleich nie das Primat der Form verleugnet. Nicht Gabetta, sondern vor allem Erxleben brach da mitunter ein wenig heraus, aber mit aller nur denkbaren Lässigkeit, die solch ein Drängen haben kann. Dann schneller Blick zu Gábor, ein kaum merkliches Grinsen, und der Bratschist schnitzt im Todeston ein Ungarisches aus der Partitur, das recht eigentlich erst viel später in Brahms Kompositionen durchschlug. Besonders drängend, ja wogend das Zwischenspiel im Andante mit den energischen Auf- und Abbewegungen, über die die Geige ruft.
Zugleich die Gabetta derart exakt, daß man die Kippen ihrer beim Spiel oft auffällig weit gespreizten Finger bis in den Balkon hinauf auf die Cellosaiten regelrecht klopfen hört: Percussion nennen Cellospieler diese Technik, die sich sehr bewußt zur Akzentuierung nicht nur des Tons selbst einsetzen läßt. Es ist nicht zu sagen, wie viele vor allem Jungmännerherzen der Cellistin da zuflogen; das dessen jedenfalls, der neben mir gleich links saß, klopfte heftig mit, und die Haut des linken freien Schulterblatts der elfenartig schlanken Frau glänzte verheißend zu uns hoch.
Ein wenig das Nachsehen hatten im Gefüge Teresa Kammerer, die Mitglied ist des von dem Bratscher Matthias Benker ebenfalls aus dem Konzerthausorchester heraus gegründeten >>>> Horenstein-Ensembles, sowie Justin Caulley; beide verstanden sich deutlich stärker als Begleitung, bzw. continuo-Fundierung der Stücke, nicht aber etwa Gabettas, als die temperamentvolleren Erxleben, Gábor und Gabetta selbst. Bei Erxleben hatte ich überdies den Eindruck, er warte nur darauf – aber das wäre dann nicht mehr Brahms gewesen -, daß ein Feuer wirklich einmal losbricht. Da hätte er dann an der Front ganz vorne gestanden. Was vollends deutlich wurde, als er, knapp vorm Ende des Rondosatzes, die andren alle zur Coda rief, ja sie in sie hineinjagte.
Das zweite Sextett ist raffinierter als das erste, auch bereits gebrochener und dadurch tiefer. Brahms schrieb es fünf bis sechs Jahre später im Alter von 32. Es ist auch ein Lebwohl. Sehr schön darin seiner Geliebten, Agathes, Name als seufzend entrufende Linie, und ein Klang insgesamt, der sich seiner Herkunft aus der Aura der allerspätesten Streichquartette Beethovens wirklich nicht zu schämen braucht – vor allem dann nicht, wenn der zweite Cellist, Stefan Giglberger, der klangschönst spielenden Gabetta so rigoros mit Läufen in den unteren Oktaven dazwischenfuhr, daß ich nicht umhin kann, es männlich zu nennen. So daß da, insgesamt, ein derart geschlossenes Ensemble spielte, wie Brahms’ Sextette es nicht nur brauchen – sondern sie fordern es.
Ach, mögen doch diese und weitere Musiker des Konzerthausorchesters ihre >>>> artist in residence öfter zu solch gemeinsamem Spiel gewinnen: uns allen wär’s zu wünschen.

Konzerthaus Berlin
Sonntag, 11. März 2012
Johannes Brahms
Streichsextette B-Dur op. 18 und G-Dur op. 36
Michael Erxleben – Teresa Kammerer – Ferenc Gábor
Justin Caulley- Sol Gabetta – Stefan Giglberger

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .