Shoa zum Kuscheln ODER ein Musikalischer Ablaß. Zur Uraufführung von Harald Weiss’ „Vor dem Verstummen“ im Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Es ist nicht zu fassen, aber die deutsche BewältigungsSchuldIndustrie setzt der Verlogenheit immer noch eins drauf. Nach der florierenden Verdinglichung, die nach wie vor prosperiert, sind wir nunmehr beim beauftragten Kitsch angelangt. Ganz offen, quasi* überm verdeckten Führerbunker. Man könnte ihn einen begrabenen nennen.
Dabei war die Idee so gut wie es das Denkmal selber – bis in seine Ausführung – i s t, für die man sich freilich nicht loben lassen sollte und schon gar nicht solch ein Lob noch beklatschen. Doch da sich unter den auf dem Programm-Flyer genannten Sponsoren auch eine „CityClean“ befindet, lag ein My Own’s Country Cleaner offenbar nahe. Dabei hatte der Moderator, ausgerechnet!, der gelackter nicht hätte sein können – eine replikante Form Dieter Thomas Hecks bei neuer Hitparade – – dabei hatte ausgerechnet e r ein „richtiges“ Gefühl: „Sagen Sie mal, bei diesem Strahlewetter… ist das eigentlich dem Anlaß angemessen?“ fragte er Lea Rosh. Die praktikablerweise sich über das Wetter sehr freute, denn wer, so fragte sie – das ist für die Trauer um Ermordete wichtig -, wäre andernfalls gekommen? Doch sicher nicht so viele wie heute abend. Sondern man wäre unter sich dagestanden, sie und der Herr Thierse, im Regen, und Lothar Zagrosek und Harald Weiss und paar Honoratioren der Stadt… – Ecco.Doch lassen wir den Pragmatismus beiseite, noch war ja gar nichts verloren. Auch Tatjana Blachers Moderation von Texten Selma Meerbaum-Eisingers kapitulierte noch keinen. Und die Musiker, zwischen den Stelen, nahmen ihre Plätze ein, während es sich causierte in der gediegnen Betroffenheit draußen, die dieser sonnige Anlaß für Trauer verausgab. „Ein Land, das ein solches Denkmal errichtet, ist zu ehren“, sagte Frau Rosh und reichte den Deutschen, die, anstelle zu klatschen, hätten schweigen sollen, zum Klatschen die Hand. So ward das Unrecht, das dieses Denkmal bekennt, zum Anlaß der sich selbst applaudierenden Ehre. Wen eigentlich schaudert so etwas nicht?
Das Volk. Dem Volk schaudert nie was. Das Volk möchte Spiele, wenn es zum Brot die Ehre noch draufkriegt. Und hat es die Spiele, dann möchte es kuscheln. Anstatt aber nun >>>> Katja Ebstein zu rufen und g l e i c h D. T. Heck, oder ge>>>>blahat nach >>>> Brink, Alles auf Sieg, auch >>>> Jambas Schnuffel hätte sich sicher erboten … anstatt also ehrlich aufs gesunde Geschmacksempfinden zu setzen, wollt’ man was Seriöses, ohne daß aber das Ergebnis ein anderes wär. Bloß bitte nicht zu anspruchsvoll, lautet die Devise. Nachher rennen die Leute aus der Gedenkstadt noch raus und sind von dem Elend, dessen gedacht wird, geschockt… wer, Leser, dann – wählt einen noch? – Wer will hier Demokratie riskieren? Also beauftragte man Harald Weiss, der für volksnahen Ton vielleicht sehr bekannt ist, zu Anlaß und Ort etwas tonzusetzen, das allem Bedürfnis ästhetopolitisch gerecht wird und keinem Trauernden in die Privatsphäre tritt.So klang das denn auch. Als hätte es nicht die großen Arbeiten Pendereckis gegeben, nicht Detlef Heusingers Vertonung der Todesfuge und diese-selbst überhaupt. Sondern die Betroffenheit durfte sich in den Dreiklang schmiegen. Fassungslos stand ich drin, umschwärmt, trotz der Enge, von einer Art Mensch, die die Musik an Fühllosigkeit noch gar übertraf: Reporter, die permanent klackten, das war eine Art Feuern von Zeitgeist, der Journaille Maschinengewehre, ich wurde so sauer, daß ich einem Reporter die Hand vors Objektiv hielt, mehrfach, wir waren nahe daran, aufeinander loszugehen – erst als ich nun i h n fotografierte, mit meinem geräuschlosen Mobilchen, ergriff er seiner inneren Hasen Panier… aber das ganze Ausmaß der Geschmacklosigkeiten wurde nun wieder von dieser… man scheut sich, „Musik“ dafür zu schreiben, abermals und ihrerseits übertroffen… so viel Marmelade wurde über die Opfer, und lauwarm, und zähe, ausgegossen, und eine in weiß gewandete, rückendecolletierte Mezzosopranistin watete darin noch herum…Ich schätze >>>> Lothar Zagrosek, das ist bekannt. Was mag den Mann bewogen haben, solch ein Stück zur Uraufführung zu bringen, an solch einem Ort, was hat die Verantwortlichen geritten, die ermordeten Juden Europas posthum in diesen Kitsch zu verschmieren? Imgrunde muß man von Totenschändung sprechen.
Und doch, die Idee war gut, das Denkmal i s t gut, ja hätte sich nicht eine Musik finden lassen, die Ort und Anlaß gerecht wird, die hätte trauern lassen können oder, zumindest, bedenken, die einen in sich selbst geführt hätte: nicht zu orten zwischen den Stelen, ungefähr, drohend vielleicht, oder einfach ein Kaddish der Stille, und hätte auch den strahlenden Sonnenschein durchaus zum Tag des Gedenkens erlaubt? Und wäre nachgeklungen in einem, auf der Fahrt und dem Gang heim, auf dem Gang ins Hotel und dort noch, bevor einer einschläft? Allers doch immer ein Wäre und Hätte. Denk ich an Deutschland in der Nacht.

[*: “quasi” nachträglich eingefügt aufgrund >>>> dieser Kritik. ANH, 12.5.]

4 thoughts on “Shoa zum Kuscheln ODER ein Musikalischer Ablaß. Zur Uraufführung von Harald Weiss’ „Vor dem Verstummen“ im Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

  1. wie kann es denn sein … lieber herbst, dass Sie stets andere der mangelhaften recherche zeihen,
    aber selbst schludern, wenn Sie in die realität hinübergleiten, ist
    wenig verzeihlich …

    das holocaust-mahnmal liegt keinesfalls über den resten des führerbunkers,
    wie Sie suggerieren, diese sind zwischen vossstraße und gertrud-kolmar-straße,
    sondern über den resten der villa goebbels.

    nicht mehr, nicht weniger …

    1. @rostschleifer. Es liegt quasi über den Resten des Führerbunkers, wie Sie >>>> hier sehr anschaulich sehen können; daß man die Gedenkstadt nicht auf und über die Straße gebaut hat, scheint mir unmittelbar einsichtig zu sein. Im übrigen gibt meine Bemerkung wider, was an dem Abend gesagt worden ist. Tatsächlich habe ich danach aber g a r nicht recherchiert. Ein Versäumnis, das sich mit dem genannten “quasi” revidieren läßt. Was ich auch sofort tun werde.
      Da Sie aber offenbar >>>> darauf anspielen, so sind beide Versäumnisse wohl wenig vergleichbar, da es im dortigen Fall darum ging, per übler Nachrede etwas ganz anderes zu insinuieren als “bloß” eine Herkunft. Denn recherchiert wurde ja etwas Richtiges, daß ich nämlich ein Ribbentrop-Enkel bin; das läßt sich kaum bestreiten; nur bin ich eben keines d e s Ribbentrops, auf den suggestiv angespielt wird. (Einmal abgesehen davon, daß, w ä r e ich es, auch das kein gerechtfertigter Grund für Nachreden wäre; es sei denn, man wollte Schuld als etwas unterstellen, das sich persönlich vererbt.)

  2. korrekt gut, genehmigt! *g*

    ich wollte nur verhindern, dass milliarden von
    beckmessern über Sie herfallen – frei nach
    dem motto “braucht doch nur seinen
    großonkel zu fragen”.

    dieses zynische bild dient lediglich
    der pointierung.

    das denkmal als solches stellt
    adäquate steine des anstoßes im
    gewissen der deutschen her.

    die frage, warum es zusätzlich
    mit aufgepfropfter bedeutung
    aufgeladen werden müsse, stellt
    sich mir allerdings auch.

    andererseits wird seine wirkung
    dadurch wohl nicht beschädigt –
    nämlich die menschen zum
    nachdenken und reden zu bringen.

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