Vater sein (1).

[Wolfgang Rihm, Wölfli-Lieder.]

Ich erinnere mich daran, daß es während meiner späten Jugend junge Eltern vorzogen, sich von ihren Kindern mit Vornamen anreden zu lassen – ähnlich, wie sich allewelt duzen wollte, auch und gerade in der Schule. Es war nicht nur eine peinliche Sitte, die so tat, als hätte man immer und in jedem Fall miteinander zu schaffen – sozusagen „einfach als Mensch“ (Reflexe davon finden sich heute noch in schlechten Grönemeyer-Texten; ich hab das damals die „Ich-find-dich-echt-gut-du“-Verfassung genannt). Sondern es wurde zugleich, sicherlich unbewußt, Verantwortung abgelehnt. Die Auf- und Abgabe von gesellschaftlicher Autorität, die der ideologische Grund dafür war, bedeutete eben auch, sich nicht in die Elternpflicht nehmen zu lassen. Man hatte wohl einfach vergessen, daß einen das Kind anders wahrnimmt als man selbst. „Sag, mein Junge, Jürgen zu mir“ heißt: Ich bin dein Kumpel. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.
Aber, andererseits, was heißt das schon, „Elternpflicht“? Wer zieht die Eltern zur Rechenschaft, wenn das Kind später auf die sogenannte schiefe Bahn gerät oder eines Tages Drogen nimmt, weil sie ihm das vorgelebt haben, und sei es nur, weil sich ihr Charakter veränderte. Ein Kind muß ja nicht mal dabei sein. Denn wie der trockene Alkoholiker nie mehr richtig durchschlafen kann und nachts als Schatten durch Schatten geht, so behält der entzogene Junkie dieses kichernde Lachen und die überspringenden Bewegungen und allerlei anderes lebenslang bei. Die antiautoritären Eltern etwa müssen für ihre Kinder so furchtbar gewesen sein, daß nur noch die Flucht in den bejubelten Hochkapitalismus half. Die Eltern haben die Kinder in ihn hineinerzogen und das „System“ g e s ch m i e r t, das sie doch unterlaufen wollten.

[Mir das immer wieder vor Augen halten.]