Al Qaida. Bush. Otto Schily. Und die Kunst.

Wir müssen darauf eingestellt sein, daß alles, was in naher Zukunft von künstlerischer Bedeutung sein wird, mehr oder minder direkt mit dem K r i e g zu tun haben wird. Einem Krieg der kulturellen Werte, der auch bei uns selber nicht länger sublimiert, sondern r e a l – materiell und mit unseren Organen – ausgefochten werden wird. Also tatsächliche – und viele – Tote “kosten” wird (allein dieses Idiom verrät den Westen). Es wird ein letztlich religiöser Bürgerkrieg sein – und i s t das bereits -, den der Ungeist führt und in dem immer derjenige stärker sein wird, der weder den moralischen noch einen weltanschaulichen Zweifel kennt. Also der Gläubige hie wie dort. Der Nicht-Denker. Lemmy Caution, wie bei Godard, wird ins faktische Recht zurückgesetzt: “Erst schießen, d a n n fragen”, sagt er in Alphaville.

Der Künstler, sofern er überleben will, täte deshalb gut daran, schießen zu lernen. Und das auch seine Kinder zu lehren. Sowie seine Leser.

10 thoughts on “Al Qaida. Bush. Otto Schily. Und die Kunst.

  1. ich will, daß Sie’s metaphorisch meinen… (hatte es erst wörtlich verstehen wollen, wehrte mich aber dagegen mit händen und füßen)…

    ansonsten schrieb ich die letzte halbe stunde an folgender replik:
    als ob es krieg nicht schon immer gegeben hätte, und durchaus bedrohlicher für uns westler als heute – und ich beziehe mich nicht nur auf das vergangene jahrhundert. blind auch tobte die westliche zivilisation über den erdball, die japaner standen dem nicht nach im zweiten weltkrieg. blind schlägt aufeinander ein, was sich nicht versteht und nicht verstehen will. genauso wie dem fremden im dorf niemand eine träne nachweint, wenn er totgeschlagen wird, weil er sich in die geschlossene gemeinschaft einschleichen wollte. geschlossene gemeinschaft: einer solchen gehört der künstler niemals an. er steht draußen. immer. und schaut zu. das war gestern so, das ist heute so. nicht darum muß er schießen lernen, er muß es nicht. und auch nicht seine kinder und seine leser mitnichten. denn sonst besteht die gefahr, daß das schießeisen zum denkersatz wird. siehe abermals die Vereinigten Staaten von Amerika. jeder darf eine schießeisen besitzen und es benutzen. das ist auch ein krieg, mörderisch wie Al Qaeda (aber über diese toten spricht niemand, nur über besonders eklatante fälle). eines ist es, in der fiktion die realität bloßzustellen, ein anderes ist es, sich der realität erwehren zu müssen, ohne sich ihr gleich mit dem schießeisen entgegenzustellen.

    1. Was tun Sie. Wenn Sie konkret von einem tatsächlichen Widerstandskämpfer mit der Waffe bedroht werden? Was tun Sie dann? Ich werde nicht ablassen, diese Frage immer und immer wieder zu stellen. Was tun Sie, wenn “Ihre” Kultur einer anderen Kultur die Identität nimmt bis hin zur Versklavung – und wenn diese Kultur sich dann wehrt – faktisch wehrt? Wenn es keine Möglichkeit gibt, Ihren eigenen Kulturzusammenhang, der Ihre Identität und Ihre Seele verkörpert, zu verlassen… und wenn, sie zu verlassen, für die “richtige” Partei bedeutete, daß Sie ein Verräter werden?
      Das sind angesichts der gegenwärtigen politischen Lage konkrete, materiale Fragen, denen wir uns werden stellen müssen. Es sind tragische Fragen. Dies zu gestalten, gibt es Kunst.

    2. fragen, die mich an diejenigen der kriegsdienstverweigerer-kommission erinnern und auf die ich konkrekt keine antwort weiß. und nicht wissen kann. denn niemand kann wissen, wie er in extrem-situationen handeln wird. denken Sie an den protagonisten von Guantanamo.

      Nachtrag:
      ich fürchte allerdings, daß ich nie auf der richtigen seite werde, weil ich stets beide seiten verurteilen würde. aber ich weiß nicht, ob ich die richtige person bin, um auf solche fragen zu antworten. vielleicht lasse ich mich ja auch einfach erschießen, wenn’s denn soweit kommt, daß nicht nur die begriffe, die waren, und was auch imemr, sondern auch die menschen selbst beliebig werden : nein, sie wurden es immer wieder – von wegen “werden” und konditionales “wenn”.

    3. “denn niemand kann wissen, wie er in extrem-situationen handeln wird” ich habe mir vor angst in die hosen geschissen (entschuldigen sie den ausdruck, er beschreibt aber sehr genau, was tatsächlich geschah). als ich in são paulo auf der strasse überfallen wurde und plötzlich den lauf einer .38er vor dem gesicht hatte, wurde in mir alles flüssig. ich tat und gab, was man von mir wollte. und schiss mir in die hosen. widerstandslos.
      mein leben war mir wichtiger als meine neuen turnschuhe. (ich habe die europäischen touristen nie begriffen, die z.b. in rio überfallen und mit einer waffe bedroht werden und sich dennoch weigern, ihr geld oder ihre designerklamotten herzugeben, nur um dann mit einem verwunderten blick und einer kugel zwischen den augen zu sterben.)

      in letzter zeit aber gibt mir eine entwicklung in den grossstädten brasiliens ernsthaft zu denken: vermehrt werden auch menschen erschossen, die genau das tun, was von ihnen unter androhung von waffengewalt verlangt wird. bin ich bereit, so mir nichts dir nichts über den haufen geschossen zu werden? ganz sicher nicht.

      was aber die frage aufwirft nach geeigneten schutzmassnahmen. in brasilien fahren jene, die es vermögen, in gepanzerten autos herum, engagieren leibwächter, absolvieren selbstverteidigungskurse, schliessen frau und kinder zu hause ein etc. hin und wieder kommt es zu einem showdown. gewinnt der empresario, bedankt sich die polizei bei ihm. gewinnt der kriminelle, bleibt der polizei oft nicht mehr als ein schulterzucken.

      der bessere, schnellere gewinnt.

      das ist nicht gerade das, wovon ich träume. aber für viele menschen ist das ein alptraum, der jederzeit wahr zu werden droht. wie geht man damit um?

      die vielbesungene brasilianische lebensfreude liegt vielleicht auch darin begründet: wo das leben des einzelnen so wenig zählt, gewinnt der augenblick für den einzelnen ungemein an bedeutung: he, ich lebe noch und das will ich feiern!

    4. Man argumentiert immer anders, wenn man ein Kind hat. “Sich einfach erschießen lassen” ist dann nämlich eine f e i g e Option und bedeutet, das Kind alleine lassen. Daß die Fragen an diejenigen der Kriegsdienstverweigerungsprozesse erinnern, ist mir durchaus bewußt. Nur hatten “wir” seinerzeit keine solche reale Bedrohung wie heute. Eine Lösung weiß ich selbstverständlich auch nicht. Der Zusammenhang ist ein im antiken Sinn tragischer. Und deshalb nicht nur kunstfähig, sondern alleine Kunst kann ihn gestalten. Ich halte das unterdessen für eine Verpflichtung von Kunst. Ansonsten wäre sie müßig.

    5. das mit den kindern kann ich nachvollziehen. selber habe ich keine. ob damals die reale bedrohung geringer war, bezweifle ich: kubakrise, stammheim. das kunst das soll, habe ich nicht bezweifelt und tue es auch nicht. was das feiern des lebens betrifft, befinde ich mich in einem zwiespalt (mag aber auch an mir persönlich liegen) und denke auch an eine hoppla-wir-leben-stimmung und andere dekadenz-erscheinungen. auch gäb’s ein wenngleich anders geartetes pendant zu hedigers erlebnis: in meinem fall waren es GIs, die in Vietnam waren, denen ich positives erzählen wollte über diejenigen, die zu bekämpfen sie ausgezogen waren: die flasche zersplitterte mit den worten “look, I’m black, man!”

  2. zu DTs ( 28. Januar 2005 ) , da dort kein Kommentieren möglich ,
    ” Man muß bei Kunst… ” –
    siehe , höre : Wolfgang Rihm.

    1. Kein. Widerspruch.

      Indes noch eine Bemerkung zur beim Tagebuch ausgeschalteten Kommentarfunktion:
      Ich bin mir bewußt, daß unterdessen vieles von dem, was im Tagebuch verzeichnet ist, für Kommentare offen sein müßte; andererseits mag ich nicht Privatisiertes diskutieren. Die Dymanik Der Dschungel haben die Einzelrubriken allerdings sehr verschliffen, so daß Privates eng auf Öffentlichem liegt (was auch der Realität entspricht und einiges über Produktionsbedingungen aussagt) – liefe ich nicht Gefahr, Beileids- oder Glückwunschkommentare zu provozieren, ich hätte die Kommentarfunktion längst geöffnet. Nun gibt es in Den Dschungeln “Das Camp”, das eigens für solche sagen wir Nebenkommentare eingerichtet wurde, aber mittlerweile nach einem etwas ausgelassenen Cyber-Spiel verwaist ist. Vielleicht läßt es sich ja nunmehr nutzen. – Würden Sie Ihre Bemerkung bzgl. Rihm, der gestern abend übrigens in der Uraufführung war, etwas weitergehend erläutern?

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