Arbeitsjournal. Leipziger Buchmesse 2008. Aufzeichnungen (3). Rückblick. Sonntag, der 16. März 2008.

5.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Purcell, Odes.]
Um halb fünf zwar klingelte Mobilchens Wecker, aber ich kam nicht gleich hoch; das schaffte ich erst eine Minute vor fünf und sitz nun bei latte macchiato und Purcells Oden hier, um meinen kleinen Messe-Rückblick zu schreiben, der – anders als >>> die zwei vorhergegangenen >>>> kleinen Impressionen vorher – rein-persönlich gehalten sein soll und wird.
Es war ein schönes Wiedersehen mit meinem alten Lektor Delf Schmidt, der noch deutliche Spuren der nahezu einjährigen Anstrengungen mit >>>> Littell trug. „Ich bin doch zum Zeitgeschichtler geworden, aber das… das war es nicht. Sondern daß ich mich DEM aussetzen mußte. Ich war doch sonst immer ausgewichen, auf meine Art… nun ging das nicht mehr. Wem sag ich das? Bei dir ging das das ja schon familiengeschichtlich ein Leben lang nicht… Wenn jetzt, wie Radisch getan hat, auf dieses Buch auf eine solche Weise draufgeschlagen wird, dann… es ist schon eine starke persönliche Kränkung.“ >>>> Isolde Ohlbaum stand dabei. „Das erleben manche Autoren ständig“, sagte sie, „ist das nicht so?“ Ich lächelte, man kann sagen: abgeklärt, – was selbstverständlich zu diesem Thema gar nicht paßt. Aber was will man tun, wenn einem plötzlich „der Rechte“ anhängt, was man ja meines Familiennamens wegen sowieso schon immer eigentlich gewußt hat… Nein nein, das ist keine Klage, lediglich eine Feststellung. „Laß uns telefonieren und nächste Woche mal wieder essen gehen,“ sagte ich zu DS, um den vorher und ständig Maria Gazzetti, die Leiterin des Frankfurtmainer Literaturhauses, herumwuselte, die ihn jedenfalls von mir ebenso ständig und auf durchaus impertinente Art abzuschirmen versuchte. Ich kann nicht mehr sagen, daß ich sie noch sonderlich mag, als solch eine betriebskonforme Person hat sie sich über die Jahre herausgestellt. Jetzt, mit dem Littell, hat sie freilich ein programmatisches Problem. Das ich ihr völlig gönne.
Angenehm dann wieder die Begegnung mit Bernd Rauschenbach, dem Leiter der >>>> Arno-Schmidt-Stiftung, der zugleich ein begnadeter Rezitator der >>>> Ursonate ist, und tags drauf mit seinem, man kann sagen: genialen Gestalter >>>> Friedrich Forssman. Er saß gerade über der Konzeption einer neuen Ausstellung im Gespräch mit seinem Lichtgestalter überm Laptop, als ich gestern abermals an den Stand kam, um ein Glas Rotweins zu trinken. Hier zu sitzen, ist immer von einem leisen gegenseitigen Einverständnis getragen, das mir sehr guttut. Als ich ihm >>>> die Geschichte mit dem Sprachfaschisten erzählte, rief er aus: „Sie haben völlig falsch reagiert! Ich hätte das angenommen, hätte erwidert: Sprache und Demokratie verstehen sich nicht.“
Wiederum Barbara Stang, die jahrelang Pressesprecherin des Aufbau Verlags gewesen ist und ohne die ich mir ihn immer noch nicht vorstellen kann, hat etwas sehr Eigenes vor und sogar einen Ruf zu dtv dafür ausgeschlagen; sie wird demnächst in Berlin-Mitte residieren, ich hab so eine Ahnung, was sie vorhat, auch wenn sie noch nicht konkret darüber spricht. Jedenfalls nahm sie mich in den Arm, „jetzt m ü s s e n wir aber mal essen gehen!“ Zweidreimal trafen wir uns noch, einmal bei Rainer Weiss, >>>> mit dem ich ein Büchlein besprach, das wir zusammen machen könnten und wohl werden. Er möchte gerne eine kleine Streitschrift haben, „die darf ganz unbedingt provozieren“, er schätzt mich da schon richtig ein. Dann saß ich noch etwas am >>>> „Stand der Begegnung“ der deutschen Literaturbüros herum und machte lose eine Lesung aus, wobei >>>> Monika Edel und ich ein wenig nächsten Weines tranken. „Dich lad ich immer wieder ein. Es ist mir völlig schnuppe, ob es dann voll wird oder nicht.“ Der offenbar unvermeidliche Michael Kumpfmüller kam vorbei, aber wir hatten einander gar nichts zu sagen, was angesichts seines neuen Romanes so auch völlig richtig ist. Er ist alles in allem eine Erscheinung des Literaturbetriebs, dessen SPDigkeit ihn ziemlich schnell nach Günter Grassens Tod wieder vergessen lassen wird; er sollte deshalb zusehen, daß er sich bis dahin eine gutdotierte Position mit Rentenanspruch erkniebeugt hat. Ich hege keinerlei Zweifel daran, ob ihm das auch gelingt. Schließlich immer wieder Grappa bei den >>>> horen, wo ich mit Tammen noch einmal den im Herbst erscheinenden Themenband zu ANDERSWELT besprach; es ging jetzt vor allem um gestalterische Fragen, Fragen nach copyright und Bildmaterial; auch der Buchumschlag war bereits Thema. Für zwei Stunden schaute auch >>>> Titania vorbei, die in den nächsten Tagen von Jena nach Berlin ziehen und gleich hier in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnen wird. Mit ihrem 1,7er NC war es ihr nicht schwer, einen guten Job zu finden. Wir flanierten etwas gemeinsam durch die Stände; Kirchhoff hatte schon tags zuvor gefragt, ob „die schöne Frau“ nicht käme. Aber sie hatte am Freitag abends eine eigene Literaturveranstaltung und ich meine beiden Lesungen, das ließ uns schnell ganz verschiedene Wege gehen, die nur noch zwei Telefonate miteinander verbanden.
Lange Sitzungen wiederum bei und mit >>>> Axel Dielmann, den UFs voller Spott wegen der wieder mal nicht erschienenen Bücher traf, der aber immerhin wegen der Linzenzausgabe von MEERE den Kontakt zu Niko Gelbke von >>>> marebuch aufnahm, mit dem ich auch einige Sätze zu sprechen und zu klären hatte. Was auf recht gute Weise geschah. Nachdem Nikolaus Hansen, der den Buchverlag unter Gelbkes mare betrieben hatte, zum Jahreswechsel ausgeschieden ist, liegt die verlegerische Entscheidungsgewalt nunmehr ganz bei ihm; das wird Folgen für >>>> MEERE haben; wir projektierten ein bißchen an möglichen Maßnahmen herum, und da, eben, tat dann auch Dielmann mit. Es stehen zudem Übersetzungen des Romanes an. Da muß marebuch wenigstens flankierend tätig werden; Prunier sitzt ja für Frankreich längst dran. Die Frage ist aber jetzt erstmal, ob Dielmann es wirklich schafft, das Buch in den nächsten drei Wochen fertigzustellen und dann auch zur Auslieferung bereitzuhaben. Ich war deutlich: „Drei Wochen noch, okay. Wenn es aber dann nicht da ist, springe ich ab.“ Im Hintergrund wuselten leise und klar >>>> Su Schleyer und Freund M. herum und fotografierten die Dichter; M. hielt den Reflektor, was ihm stand. Hinwinken durch die Glaswand, Zurückwinken, immer wieder, wie eine Schnur, die die Perlen meiner WegEtappen zusammenhielt. Mein Zwischenlager, das Zelt waren Kaffee und Kekse, befand sich in der Halle 3 bei UFs >>>> Buchmarkt; mit Faure hatte ich dann gestern abend noch mein Abschlußessen, und wir hingen auch immer nachts zusammen im Presseclub ab, wo >>>> Werner Fuld eifrig an Gerüchten strickte, deren politisch unkorrektestes ganz sicher die Nachricht war, >>>> Ulla Berkewicz wolle den Hauptsitz des Suhrkamp-Verlages nach Jerusalem verlegen; wir strickten an noch einem weiteren Gerücht, das ich hier nicht erzählen mag, weil sonst klarwürde, daß es eines ist. Doch haben wir reichlich gelacht.
UF brachte mich zum Zug., worin ich einschlief, wie ich gestern schon schrieb. Fast hätte ich meinen Ausstieg Südkreuz überfahren. Im Aufschrecken gewahrte ich noch Maike Albath und Helmuth Böttiger, von denen ich auf dieser Messe ganz verschont geblieben war. Aber ich hatte ja auch weder Volker Weidermann noch Hubert Spiegel zu Angesicht bekommen, und auch mein Gespräch mit dem >>>> FREITAG-Redakteur Ingo Arend kam so wenig zustande wie das per Email ausgemachte mit Thomas Keul von >>>> VOLLTEXT. Beider Gespräche halber hätte ich nun eigentlich noch in Leipzig bleiben müssen, aber ich war es bereits gestern mittag sehr müde. Und saß dann wirklich dankbar im Zug. Zumal es ja unterm Strich eine sehr ergebige Buchmesse für mich gewesen ist, deren Früchte einzufahren Sache der nächsten Frankfurtmainer, im Oktober, sein wird. Nun geht es erst einmal wieder an die normale Arbeit. Meine Rahmenhandlung für die >>>> ANNO-1900-Anthologie ist zu schreiben, die BAMBERGER ELEGIEN sind fertigzustellen (projektierter Erscheinungstermin ist nun der August), die Texte und das sonstige Material für den horen-Themenband sind zusammenzustellen; darüber hinaus sind die Verlage, in denen die in diesem Jahr folgenden Bücher erscheinen, werbetechnisch zusammenzubringen, damit man die Kräfte gegenseitig bündelt, um Synergieeffekte zu erzielen. Und drüben, Zuhause, ganz sicher, wartet mein Cello. Sowie ich es besser – oder überhaupt mal – beherrschen werde, werde ich eine Elegie auf das Sterben der Buchkultur schreiben. Denn es ist ja doch s o: Auf Schritt und Tritt ist zu spüren, daß längst nur noch die Haut vermarktet wird.

[:Olinda, Purcell.]

Gegen zehn Uhr werd ich hinüber zu meiner Familie radeln.

8.06 Uhr:
[Purcell, Anthems.]Freilich gab es auch Peinlichkeiten, oft entdeckt man sie erst beim zweiten Blick. Zum Beispiel die eigentlich wunderschöne, bei marebuch von Joachim Sartorius herausgegebene Lyrik-Anthologie >>>> Für die mit der Sehnsucht nach dem Meer. Man erfreut sich einer wohlbedachten Auswahl von Gedichten der Weltliteratur von Dickinson bis Sweeney. Aber muß das denn sein, daß auf dem Rücken nichts als der Name JOACHIM SARTORIUS steht, als hätt nun e r all die Gedichte hineingeschrieben? Tatsächlich >>>> dichtet er ja selbst. Darf denn genügen allein, daß er – Macht hat? Und w e n n es denn genügt, wär da nicht doch ein Feingefühl zu erwarten gewesen, das wenn schon nicht sich selbst, so doch dem Verleger eine solche Peinlichkeit erspart? Wozu ist man denn >>>> Diplomat gewesen?

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Leipziger Buchmesse 2008. Aufzeichnungen (3). Rückblick. Sonntag, der 16. März 2008.

  1. Sterben der Buchkultur @ eine Elegie auf das Sterben der Buchkultur schreiben. Denn es ist ja doch s o: Auf Schritt und Tritt ist zu spüren, daß längst nur noch die Haut vermarktet wird.

    Das gibt es im Augenblick häufiger:
    http://tinyurl.com/2jd8lg in der FR und http://www.zeit.de/online/2008/11/fruehjahrsprogramme in DIE ZEIT

    Totgesagte leben länger – daran wird sich hoffentlich so schnell nichts ändern. Aber elegisch werden kann man schon dabei.

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