Das Arbeits-, eigentlich Undines Uraufführung(aber die erst am Abend)s-, in Wahrheit erleuchtetes Poesiefestsjournal, das als solches aber zurückblickt in den Abend vorher, nämlich in die arabische Nacht auf den jetzigen Sonntag des 6. Junis 2010. Mit einem erleuchteten Sommerberlin, mit befeiertem Sommer allerwärts: al-Bahr, das Meer an der Spree. Mitten darin. Verfaßt auf Bitte von einem Freunde.

Er habe, schrieb mir der Herausgeber, nicht widerstehen können, als ihn sein Iphönchen erinnert, das von einer Email erinnert war, die von Facebook gesendet: al-Bahr habe gerufen. Ein weißes Meer der Klänge sei angekündigt worden, die Literaturwerkstatt Berlin voll der arabischen Poesie in der Akademie, was er, der Herausgeber, erst für die ganz falsche gehalten, so daß er nach seinem Treffen auf Eis und Plauderei mit seinem Sohn und dessen Freundin – sie hätten wunderbar unter Bäumen an grünstem Strauchwerk gesessen, welches sich allein von den Düften der Gelateria ernährt – und nachdem er noch Getränke besorgt für die Nacht und daheim das fällige Penicillin vorhergeschluckt, sich wieder aufgemacht wider die Krankheit habe, welche zwar abgeflaut, jedenfalls spürbar nicht weiter deutlich, aber doch durchaus noch wirkend gewesen und darum vielleicht gefährlicher als vorher war, da er, der Herausgeber, so zur Verausgabung neige -… ach aber die Lockung sei zu groß gewesen, ihr zu widerstehen, sei ein Ruf, müsse er sagen, gewesen -; so daß er… nein, nicht nur sich aufgemacht habe, sondern die Akademie, eben, für die ganz falsche gehalten und sei an den Pariser Platz geradelt, zur, dürfe man das sagen, „neuen”? – Geflutet gewesen seien die Straßen und Unter den Linden gesperrt für den Autoverkehr, dafür geflutet mit Menschen, die dann den Bebelplatz zu Tausenden gefüllt, die dort der Übertragung von → Eugen Onegin aus der Staatsoper auf einer Riesenprojektion-hinaus zugeschaut und, hoff er, vor allem gehört; da sei er dran vorbeigeradelt unter der Sonne, habe schließlich den Pariser Platz erreicht; indes sei dort die Akademie völlig verschlossen gewesen: erst jetzt sei ihm „die alte” eingefallen, Hanseatenweg und westgesunken, des historischen Hochalimentations- und Biosphärenberlins in eisenharten Zeiten, die nur für Künstler weich gewesen und kommod für die Wehrflucht. Jedenfalls habe er sich mit seinem Iphönchen beraten unter der Sonne, habe noch einmal die Email aufgerufen und nun genau geschaut. Ach, in der Tat, die alte Akademie…
Ein Blick zur Uhr. Zwölf Minuten vor sei’s gewesen und eine nächste kleine Beratung, nun mit dem Stadtplanprogramm, welches die schnellste Verbindung… ah bis zum Stern, den zweiten Strahl davon rechts, und ein kurzer Querschläger links… ab.
Obwohl er bereits so geschwitzt und er nicht gewußt, ob’s nur von der Sonne oder doch auch tonsillitisch, habe er nun besonders in die Pedale seines Volvos getreten, wobei, die Streckenkürze behindernd den ganzen 17. Juni entlang, sich ihm das nächste Fest entgegengeworfen mit Bieren und Würsten und Marketenderständen, wo es hätte sicher verlohnt, nach Marketenderinnen deutlich zu schauen, doch lohnte das Meer es wohl & weiß m e h r, und wirklich sei er so pünktlich am rechten Orte eingetroffen, daß sogar noch Zeit für eine Zigarette verblieben, die er in Gegenwart des feinpräzisen deutschen Lyrikers → Dieter M. Gräf geraucht; dem habe er freilich von der schönen Dunklen geschwiegen, die ihm sein Ticket verkauft – ob auch Gräf, darüber habe er nicht nachdenken wollen, sondern sei dann hinein und habe sich in dem Kleinen Parkett seinen guten Platz gesucht. Und ihn gefunden.

Es habe ein paar technische Widrigkeiten gegeben am Abend, zum Beispiel einen Tinnitus, der die Musiker unschön gestört und allein von der قانون ‎, einer arabischen Zitter, habe vertrieben werden können, wenngleich es die Technik gewesen, die den bösen Ton mitten in ein Musikstück gepfiffen; wobei er, der Herausgeber, gar nicht verstanden habe, wozu ein solcher Raum solch eine Verstärkung brauche: weder für Geige noch Cello, noch gar fürs Schlagwerk, auch nicht für ‏عود‎ und schon gar nicht für Sänger sei sie doch nötig; erst als diese, die Sänger, angehoben hätten, sei ihm begreiflich geworden, es sei um den Hall gegangen, der elektronisch für Weite hinzugemischt wurde… Dennoch habe die Elektronik, habe man nicht genau in der Mitte des Saales gesessen, die ganze Balance zur Unnatürlichstkeit gestört, und immer seien die Lautsprecher-selber zu hören gewesen: etwas Hohles habe die Klänge umfangen, was nur solchen unvernehmlich, die anderes nicht mehr gewöhnt; eine Geige, das Cello gar, selbst die arabische Laute füllten, wenn ein Publikum schweigt, ganze Philharmonien, ohne daß Stromkreise mitschwingen müßten. Dieses also, Elektronik, habe ihn, den Herausgeber, schmerzlich gestört. Denn das ar-Rumi-Ensemble, für sich, sei, versichere er, ganz wunderbar. So auch die Dichter.
→ Leila Chamaa, die ihn auch vorbereitet, habe den Abend ein wenig steif moderiert, diskursiv, wolle er, der Herausgeber, das nennen; doch seien ganz sicher einige Tretminen ausgelegt gewesen, um die es herumzugehen möge geheißen gewesen; dies war, sagte er mir, deutlich zu spüren. Denn über allem liege ein Schatten elfter September, die andererseits den arabischen Raum überhaupt erst wieder ins kulturelle Bewußtsein des Westens erhoben. Doch nicht nur dies. Sondern es seien die arabischen Welten ihrerseits einander nicht unbedingt hold: man bedenke, wie das sicher am weitesten grundgebildete Volk, nämlich Palästinas, für die andern arabischen Völker weit eher als Abtreter gelte, über den man allerdings, um das Nahost-Problem zu lösen, unbedingt müsse. Ja, auch die Völker-selber seien in sich zerstritten, worüber schon Lawrence geklagt, der, was heute sicher niemand gern höre, ein Vater des Guerillakrieges sei, den, wer das wolle, auch Terrorismus nennen könne; in jedem Fall sei es die für Erfolg einzig denkbare Form eines militärischen Widerstandes Schwacher gegen die militärische Gewalt von Starken: der Guerillakrieg sei die Schleuder Davids.
Die Dichter, alle vier, seien hingegen friedlich gewesen; von Kleinstem, Nahstem habe ihre Poetik gekündet, ja die politischen Dinge seien in den Zitronenbäumen geborgen; solche Umnennung erzeuge den Schmerz, den die Gedichte, die aus Schmerz entstanden, die Hörer spüren ließen: den Schmerz der Einsamkeit nicht nur. Sondern den Glauben an die Rezitation, vor allem zu merken bei Abbas Beydoun und Monzer Masri; da sei ein erlösender Abstand zur Distanz, da sei Selbsthineingabe zu sehen und hören gewesen, die sich zu zeigen nicht scheinvornehm scheue. Daß aber der ganze Körper spreche, daß Hände, die gäben und nähmen, sprächen, führe uns der Süden doch vor, der in Afrika ein Norden sei. Nur wir, die nur für die Arktis ein Süden, scheuten, wenn wir uns zeigen sollten und stünden steif wie dauerverregnete Briten; C2-beweglich indes und wenn die Partydrogen genommen. Die Alpen, das habe man gestern deutlich gespürt, seien ein umgekehrter Tiefseegraben zwischen den Nordseen und dem Mittelmeer. So sei auch ein Gedicht gegangen: die Menschen fanden öde und leer eine Insel; sie bemerkten nicht, daß ihre Oberfläche das tiefste Fundament der herrlichsten Lebenshöhe war, bloß, weil sie hinab in die See ging.
Befremdlich, schrieb mir der Herausgeber, habe er allerdings gefunden, daß Frau Chamaas Übersetzungen der oft sehr männlichen Texte von einer Frau auch vorgetragen wurden, einer Lyrikerin zwar selbst, doch eben Frau, und schon deshalb mit völlig anderer Intonation: von → Sylvia Geist nämlich, die sehr bescheiden und zurückhaltend je neben dem Dichter gestanden. Ihn habe das, den Herausgeber, gestört, zum einen, weil es, wider Willen ganz sicher, dem allgemeinen islamischen Frauenbild als Dienerin die Zunge geliehen – man dürfe nicht vergessen, daß, als Masri erzählte, allein seine zwei Mütter hätten ihn zu dem gemacht, was er heute sei, Mohammed selbst, der Prophet, aus ihm gesprochen habe, der ebenfalls nur von Frauen erzogen; es gehe nicht einmal an, das nicht zu wissen -; zum anderen habe es, habe der lautlich-weibliche Klang in der anderen Sprache eine Verfälschung der Bilder zur Folge, da Bilder immer körperlich seien, nämlich aus den Wahrnehmungen der Körper hinauf in ihre Sprachen gestiegen; zwar, die Körper von Frauen und Männern seien ähnlich, doch aber nicht gleich… ganz abgesehen davon, daß, eine Zeile zu übersetzen mit „besser, du gibst dich in die Hand Gottes als in die eines Menschen” etwas anderes ist, als wenn es in Wahrheit heißen muß „besser, du gibst dich in die Hand Gottes, als in der Hand eines Menschen zu sein”. Der Dichter selbst trug s e i n e n Sinn auf Englisch gegen den Sinn der Eindeutschung vor. Was er nicht wußte. So waren wirklich erlösend jene Momente der Rezitation, die auf weibliche Vermittlung verzichten konnten, weil die deutsche Übersetzung, wenn auch im timing recht zitternd, auf der Leinwand erschien.

Am elegantesten von allen sei dem Herausgeber, sagte er, Zakaria Mohammed vorgekommen, der, gezeichnet, betroffen und engagiert vom Exil, heute wieder in Ramallah lebe: seine lyrische Spanne sei weit und durchaus nicht von so „einfacher” Sprache, wie die Moderatorin sie neumodern favorisiere; nicht selten, daß ein Gedicht das Surreale gestriffen und von dem zurück den Blick auf die Erde geleitet und in die Rose, die bekanntlich aus dem Schweiße des Propheten erstanden, und zum Tod. Dann zum Menschen. Doch dem halte der Tod seinen Mund zu.

Dieses erzählte mir, Hans Deters, der Herausgeber nachts am Telefon, nachdem – und wohl weil – er die Löwin nicht erreicht; Frau von Samarkand habe er, schon gar nicht stattdessen, und sowieso nachts, und auch nicht deshalb anrufen wollen. Sprechen müsse er aber gleichwohl. Da sei ihm wieder ich eingefallen. So daß er mich bitte, statt seiner diesen Bericht zu schreiben und ihn statt seiner in Der Dschungel auch einzustellen. Denn e r müsse schlafen: gesundheitshalber und weil er für heute abend (es war nach Null Uhr) bereitsein müsse; doch sei es ihm dieser soeben verstrichene Abend wert, → die Ankündigung seines eignen Dichter-Interesses hintanzustellen, so daß sie im Weblog hinabsinkt..

5 thoughts on “Das Arbeits-, eigentlich Undines Uraufführung(aber die erst am Abend)s-, in Wahrheit erleuchtetes Poesiefestsjournal, das als solches aber zurückblickt in den Abend vorher, nämlich in die arabische Nacht auf den jetzigen Sonntag des 6. Junis 2010. Mit einem erleuchteten Sommerberlin, mit befeiertem Sommer allerwärts: al-Bahr, das Meer an der Spree. Mitten darin. Verfaßt auf Bitte von einem Freunde.

    1. @Bespaßter. Tun Sie’s doch. Wär mal gespannt, welch ein Unfug dabei herauskommt. Aber wetten, daß Sie sich nicht trauen?

      (Anders als Sie, im übrigen, finde ich, daß Deters seine Aufgabe ganz vorzüglich gelöst hat. Deshalb mag ich in dieses Arbeitsjournal gar nichts direkt mehr hineinschreiben. Einen ganz herzlicher Dank, lieber Deters, nach Frankfurt.)

  1. 13.58 Uhr: [Kanzleramt, Putzkammer.]
    “Keinen Ton! Daß dich ja keiner merkt!”
    So der Profi. Schreiben freilich dürfe ich, was immer ich wolle. Sein übliches Argument: es glaube mir sowieso niemand. Jedenfalls, wie Sie lesen: ich bin von Berlin noch immer nicht fort.
    Der Profi holte mich aus der Arbeitswohnung ab, ich den ganzen bücherschweren Rucksack de Treppen runtergewuchtet, wir wollten gleich starten, da war es halb zwölf. Kaum sind wir Richtung Berliner Ring – was, wenn man den Norden nimmt, ein Umweg ist, aber der Profi hat immer seine Gründe -… also kaum sind wir los, piept es bei ihm. Blick auf den Melder, bereits im Wenden: “Tut mir leid, ich muß noch mal zum Amt.” “Soll ich draußen warten?” Es gibt eine hintere Zufahrt, von der ich bislang nichts wußte, es ist so eilig, und er will mich nicht “ausladen” einfach so, daß er mich zum Schweigen verdonnert. “Keinen Ton, wo die ist. Hörst du?” Dann schiebt er mich durch eine ziemlich dunkle Durchfahrt, nachdem, er muß kaum seinen Ausweis zeigen, so gut ist er bekannt, die Wachen passiert sind. Dann rechts durch eine Tür, dann noch eine Tür, für die er einen Schlüssel hat. Ich sehe Räume mit toten Fenstern, alles auf Hochglanz, sauber sowieso. Da die nächste Tür. Putzkammer. “Keinen Laut, bis ich wieder da bin!” Und weg ist er, und ich sitze zwischen Besen, Feudeln, Eimern und so einer Kehrmaschine, die sich immerhin als Tisch für meinen Laptop eignet.
    Warten.
    Ich habe Creezy dabei.

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