Mitten in den Lesungen der Großen Meerfahrt entgegen. PP64, 14. Dezember 2014: Sonnabend. (Musik hören. Nachdenken. Vor mich hintippen. Vor allem aber: Musik hören.)

[Giordano, Fedora.]
Einige Tage schwieg ich. Nicht prinzipiell, nein, aber hier. Schwieg im Cyberraum. Hatte keine Lust, Ihnen zu schreiben. Zweifelte an der Sinnhaftigkeit, es zu tun. Hatte aber ein kleines schlechtes Gewissen. „Du kannst Die Dschungel einstellen“, sagte die Löwin am Telefon, „was aber n i c h t geht, ist, sie einfach ausschleichen zu lassen.“ Nur daß das Leben im allgemeinen nicht „klar“ ist, es hat auch meist keinen ästhetischen Abschluß, sondern, eben, schleicht sich aus. Als ich heute beim Frühschwimmen meditierte, dachte es in mir: Sexualität wird leise, wenn man nicht mehr Vater werden darf. Oder kann. Gleichviel. Darf trifft es aber mehr. Alles zieht gen Sterbebuch.

Es waren aber gute Tage. Nicht nur, daß ich diesen gesamten Buchhaltungskram wirklich hinter mich gebracht habe, nein, es gab auch >>>> eine schöne Sendung. Wie heilfroh ich war, daß endlich mal jemand den Leuten diese blödsinnige Angst vor der Komplexität meiner Bücher nahm! daß sie sich eben auch als Thriller lesen lassen und spannend sind. Wenn man sich einläßt. Daß es eben auch um Schicksale geht, um Menschengeschicke, Verhängnisse, Verworfenheiten, Leidenschaften, Sehnsüchte. Und daß sich all das sehr wohl auf der formalen Höhe eines zeitgenössischen Erzählens erzählen läßt. Morgen früh, am Sonntag, können Sie >>>> dort dann auch noch ein Gespräch hören, das Lydia Herms, Thomas Böhm und ich führen werden, bevor ich nach Jena reisen werde, um dort mit Argo >>>> die letzte Lautschrift-Veranstaltung zu gestalten. Was eine Ehre für sich ist. Ich weiß das ebenso wie ebenso zu schätzen, daß es vor allem junge Autor:inn:en sind, die meine Arbeit für sich entdecken. Die nämlich sind die Zukunft.

So auch die wirklich grandiose Lesung am vergangenen Sonntag in München bei >>>> Markus Michalek:


[Foto (©): Markus Michalek.]
Ganz unglaublich, wie diese Reihe funktioniert. In einem kleinen Zimmer. Die Leute stehen bis auf den Flur. Ein kluges, nahes, aufmerksames Publikum, einige Lektoren, insgesamt viele aus Verlagen, verschiedensten, Zeitschriften-Herausgeber, doch auch einfach nur Leser:innen. Eine Stunde lang Konzentration, dazu wurde getrunken, hinterher auch geraucht. Und als ich später schon einiges im Kahn hatte, überkam es mich, und ich las noch den kompletten Epilog. Ich schrieb es bereits anderswo: Der Erfolg einer Lesung läßt sich am Buchverkauf messen. Dabei hatte ich vor Antritt der Reise gezweifelt, ob ich mich wirklich mit so vielen Büchern abschleppen solle. Unterm Strich hatte ich zu wenige dabei, vor allem von den älteren Büchern. Die Gedichte waren quasi sofort weg, noch, bevor ich zu lesen überhaupt angefangen hatte. – Später ins Restaurant, gemeinsam, einige, danach für eine lange Nacht zu >>>> Benjamin Stein. Doch, es gibt so etwas: Autorenfreundschaften. Sogar unter Männern.
Am nächsten Morgen wegen des neuen Hörstücks Gespräch bei der >>>> Transocean, die jetzt von München aus die Astor operiert. Dann gleich weiter nach Bamberg. Anderthalb ruhige Tage mit Spaziergängen, untergekommen bei meiner „alten“ Freundin C., die >>>> in den Elegien eine meiner inneren Ansprechpersonen war (Sechste). Gut besuchte >>>> Lesung in der Villa Concordia, herzlichste Aufnahme und Einführung durch >>>> Nora Gomringer. Und schließlich nach Berlin zurück, statt nach Frankfurtmain, was eigentlich geplant war. Doch hier wartete das Buchhaltungszeug, dringend, Fristsache. Abgehakt. Und morgen nun geht es nach Jena zur >>>> vorletzten Argo-Lesung in diesem Jahr. Auch das verspricht, eine sehr lange Nacht zu werden. Am Dienstag bereits Braunschweig, zweimal: und die Löwin kommt dorthin; es ist die letzte Möglichkeit in diesem Jahr, daß wir uns sehen. Ich mag ihr die Stadt meiner Kindheit und Jugend zeigen. Spaziergänge. Abends Lesungen, erst aus der >>>> Sizilienerzählung, am Dienstag in der Uni, dann, am Mittwoch, aus Argo >>>> in der Galerie auf Zeit. Witziger Name, pfiffiger Galerist.

(10.39 Uhr.)

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Nun ist es sicher: Vom 1. April bis zum 12. Mai werde ich auf See sein. Ab Fremantle durch den Indischen Ozean bis La Rúnion, Mauritius und Durban; dann um Südafrika herum mit Halten am Kap und in Nambia, dann scharf in den Atlantik bis St. Helena, Kapverden, Teneriffa und weiter querdurch nach Lissabon und in die Biscaya über Le Havre bis Harwich; schließlich von dort in einem Nachtschlag nach Bremerhaven. Einmal um die halbe Welt. Ein bißchen nervös bin ich schon, was aber vor allem an dem Flug liegt, den ich gestern nacht gebucht habe: Tegel bis Frankfurtmain bis Hongkong mit acht Stunden Aufenthalt und weiter nach Perth/Westaustralien, wo ich ziemlich spät nachts ankommen werde und jetzt nicht recht weiß, wie von dort weiter nach Frementle, wo das Schiff liegen wird. Ich habe mir einen Tag Karenz eingebaut, um nicht in die Enge zu geraten. Abflug also am 29.3., Ankunft 30.3., so daß ich den gesamten 31. sozusagen frei habe, um mich durchzuschlagen.
Eigenartiges Gefühl: Australien zu betreten, aber eigentlich gar nichts von dem Kontinent zu sehen, sondern ihn gleich wieder Richtung Heimat zu verlassen. Darüber habe ich lange nachgedacht, hab auch davon geträumt. Es wäre, „rein“ für die Erkenntnis, sinnvoll gewesen, mir noch eine Zusatzwoche Australien hinzuzunehmen. Aber ich kann nicht unbegrenzt von daheim wegbleiben, von meinem Jungen, von den Zwillingskindlein, von den Freunden. Außerdem ist‘s eine finanzielle Frage, nein, eben n i c h t: k e i n e Frage.

So, jetzt wissen Sie alles, was Sie wissen sollen. Und was Sie n i c h t wissen sollen, dürfen Sie erraten. Die Familie drüben, Am Terrarium, backt heute Kekse. Vielleicht zieh ich nachmittags mal rüber, um davon zu naschen.
Bis dahin: Nächster Versuch, in den Gedichtemodus zu kommen.

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Sterbebuch: Meine Großeltern mütterlicherseits starben an Krebs, meine Großmutter allerdings mit 94 erst; meine Mutter, mit 78, starb an Krebs, mein Vater, mit 63, starb an Krebs. Auch darüber sann ich beim Schwimmen nach. Unwahrscheinlich, daß ich, bei solcher genetischen Disposition, einem selben Schicksal durchschlupfen werde. Allerdings ist mein Großvater väterlicherseits, bis zu seinem Ende entsetzlich, ja bizarr ultrarechts, geradezu biblisch alt geworden. Persönlich bin ich ihm allerdings nie begegnet. Mein SPD-Vater, scheint‘s, hat für ihn gebüßt.

Musikalisch wunderschöne Schlußszene der Fedora:

Ho freddo… quanto freddo!
Louis, riscaldami tu…
Vorrei.. ancora un pò…
del tuo amor
(…)
Le tue labbra adorate…
T‘amo…
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