Con fierezza del cuore. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 4. Juli 2016.


[Arbeitswohnung, 9.41 Uhr]

Seit sieben am Schreibtisch, einstweilen letzte Hand an die Böhmer-Hommage gelegt, auch einen zweiten Auszug, nunmehr aus der vierten Fassung, in Die Dschungel >>>> eingestellt. Und das Gedicht an die Herausgeber des Jubilarbands geschickt. Jetzt bin ich auf die Rückmeldung sehr gespannt.
Eine Rückmeldung kam gestern wegen der >>>> Hilbig-Variationen. Man hätte sie gerne. Sie seien mit zwei Seiten bei einem 32seitigen Heft, an dem nahezu vierzig Autoren beteiligt seien, halt etwas lang. Und dennoch, der Herausgeber möchte meine Gedichte gerne drin unterbringen. Jedenfalls „kamen“ sie „an“. Was mir guttut – auch wenn man schließlich statt der fünf Texte nur, sagen wir, zwei abdrucken würde.

Mir geht ein Satz Ernest Wichners nach, den er in der Sonnabendnacht ausgesprochen hat, als ich monierte, nie, seit ich auf dem Prenzlauer Berg lebe, seit immerhin zweiundzwanzig Jahren – nie also sei ich hier jemals zu einer der jährlichen Veranstaltungen mit Dichtern des Prenzlauer Berges eingeladen worden. Es sei und ist, als gäbe es mich hier gar nicht. „Sie haben Angst vor deiner Bedeutung,“ sagte er, „du bist zu bourgeois.“
Seltsam, seltsam, seltsam: bei meiner ständigen ökonomischen Existenz-Bedrouille.
Ich protestierte: „Bin doch nicht bourgeois!“
Dann dachte ich: Eigentlich meint er ‚aristokratisch‘, der Haltungen wegen. Aber auch das ist ein Witz, wenn man sich vor Augen hält, in welch kleinstbürgerlichen Verhältnissen ich aufwuchs, schließlich aber doch (der Karriere meiner Mutter wegen – eine für die Sechziger/Siebziger typische Aufsteigergeschichte –) in bürgerlichen – aus denen ich ausbrach, bzw. die mich in hohem Bogen rausgeschmissen haben. Dennoch prägten mich die Bücherschränke meiner Großmutter und ihre und meiner Mutter Schallplattensammlung. Das war ein Privileg, auch wenn meine Mutter Musik (Beethoven, Chopin) nur sonntags auflegte und meine Großmutter die ins Haus geschickten Vorschlagsplatten quasi nie, sondern fast nur Ronnie, Freddy Quinn und andere deren Kalibers. Die Platten aus den Buchclubs „landeten“ bei mir; man merkte erst gar nicht, daß ich sie mir krallte. Da war ich dreizehn oder vierzehn. Die Freunde hörten Beatles, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich und wenn es gutging Stones. Ich hörte vor allem Tschaikowski. Abba, Police, auch Hendrix und Santana, sogar Pink Floyd gingen völlig an mir vorbei; Kontakte zum Musikgeschmack „meiner“ Generation hatte ich nur über Mike Oldfield und Johnny Cash, den ich aber nicht als Pop, sondern als Country verstand, mithin als Folk – so, wie ich auch zum französischen Chanson frühe Bindungen hatte. Einige Zeit lang, in Bremen, nahm ich gern an den sonntäglichen Dixie-Frühschoppen teil, kam von da aber gleich auf experimentelle Formen des Jazz, bis zum Free Jazz oder was noch später Sauer „Free Music“ genannt hat.
Es begleitet mich mithin bis heute eine Fremdheit gegenüber den meistgeliebten Musiken meiner Generation, der nach und nach eine Fremdheit gegenüber ihren meistgeliebten Literaturen entsprach.

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(13.05 Uhr)
लक्ष्मी war hier. Erst ein Latte macchiato, dann für jeden ein Campari soda, schon tagsüber Alkohol, uff. Wir sprachen lange, lange; gut. Unser Junge möchte mit seinem besten Freund zusammenziehen. Die WG-Zeit beginnt, Abnablung. Es war vorherzusehen, ist völlig normal, sogar zu begrüßen. Dennoch zieht die Zeit einen Schnitt, und man faßt es nicht ganz, spürt den Schmerz voraus. Wir haben ihn, unseren Sohn, seit je zur Selbständigkeit erzogen, nun will er sie auch haben. लक्ष्मी verließ ihr Elternhaus schon mit 15, ich das meine mit 16/17. Der Sohn tritt ein Erbe, das des Freiseins, seiner Eltern an. Er will hinaus und seine Welt erkunden und besiedeln.
Wir nahmen uns in den Arm, die, in den Worten des jungen Mannes, „Ma“ und der „Pa“. Welch ein großes Glück, daß wir nur auf eine Weise getrennt sind, die uns erlaubt, auch diese nächste Stufe gemeinsam zu erleben und einander, und ihn, dabei zu begleiten.

Eine wunderschöne Antwort zu meiner Böhmer-Hommage ging ein. Bereits jetzt. Welch herzenswarmen Stolz sie mir schenkte!

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2 thoughts on “Con fierezza del cuore. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 4. Juli 2016.

  1. Wichner trifft … … es in der Tat nicht genau. Es ist eher das Aristokratische – und das hat weniger mit der Herkunft als mit der g e i s t i g e n Haltung zu tun. Das schafft einen größeren Abstand als alles Reale. Und da niemand davon Ihre Texte liest, so kann das auch nicht durch Kenntnis in ein reales Verhalten überführt werden. Es entsteht so ein Nimbus, den man zwar spürt, mit dem man aber nicht umzugehen weiß.

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