III, 348 – ein “geh!” borgen

Typische (typische?) Reaktionen auf arbeitslose Tage: Herausstreichen aller Ereignisse, um die Ereignislosigkeit zur Perfektion reifen zu lassen. Kennt man sich denn? Morgen vormittag gehört der Bart gekürzt! Er kam gar nicht erst dazu, von mir gekürzt zu werden, denn wie lange lag ich denn im Bett, heute beispielsweise? Bis halb zehn. Sogar Ninno machte eine Anspielung auf dem Platz, als ich – na wohin wohl? – ging, wegen der weißen Fläche in meinem Gesicht. Gleichzeitig kündigte er, der nun schon seit Monaten Abwesende, weil ihm der Wein schon im Juli ausgegangen durch einen dummen Fehler, an, er werde Dienstag vorbeikommen, mich den neuen Wein probieren zu lassen. Wurde in der Tat Zeit.
Außerdem haben sich die ziebelnden Zumbeln wieder ins Nervensystem eingebrockt und sich dafür geschickt einen toten Winkel als Ausgangspunkt ausgesucht, den zwischen den Schulterblättern. Immerhin, dacht’ ich, nicht so großflächig wie im Frühjahr bis zu dem Zeitpunkt, als die Altstadthexen ihr Kartenspielen begannen am Tag nach der Walpurgisnacht. Vielleicht liegt’s ja auch daran, daß sie nun für den Winter damit aufgehört haben, mich damit ihrer Auspizien beraubend.
Hinzu kommen Hustenanfälle und enorm viel Rotz. Und seit heute auch die odontologische Situation. Was für eine Woche! Die tatsächlich mit großartigen Plänen begann. Neue Winterschuhe kaufen fahren! Roman in Versen (also gestern). Letzterer erwies sich dann in den Ankündigungen eher als folkloristische Veranstaltung. Danach war mir nicht (siehe den Rest), aber, da es um Emigration geht (vornehmlich in die Schweiz, wie’s scheint, in diesem Fall), werde ich es, um es zu lesen, wohl in der lokalen Buchhandlung finden: >>> Maiser. Lieber nur lesen. Bloß kein Remmidemmi!
Chia fällt mir dazu ein, in der Provinz Viterbo, gar nicht so weit von hier, in dessen Nähe sich Pasolini ein Anwesen gekauft, damals. Als ich das erste Mal hinkam, gab es noch kein Denkmal für ihn, das kam erst später, beim zweiten oder dritten Besuch war es dann plötzlich da. Es zeigt seine Büste, an der Mauer dahinter ein Gedicht von ihm über die Emigration, über das Verlassen und die Verlassenheit der verlassenen Orte. >>> “lasciano seccare la vasca del letame, / lasciano il campo ai vermi, / lasciano i tetti alla tempesta, / lasciano l’acciottolato all’erba, / e vanno via, e là dov’erano, / non resta neanche il loro silenzio”. Der alte Kern von Chia hat tatsächlich das Aussehen eines verlassenen Ortes. Abgesehen von zwei-drei wahrscheinlich von Auswärtigen hergerichteten Häusern. Drumherum die übliche Anhäufung trister Neubauten, schmucklos einfach so hochgezogen. Was wahrscheinlich den “Bauherren” nicht wirklich vorzuwerfen ist, sondern ihrer Hauptsache-vier-Wände- und Mehr-können-wir-uns-nicht-leisten-Mentalität (oder sollte es heißen: mehr an Geschmack ist uns nicht gegeben), auch wenn dennoch hier und da ein schmiedeeisernes Tor protzt.
Daß ich mir dann gestern abend eine Mars-Reise angetan, lag irgendwie nahe.
In Frage steht somit auch der morgige Flamenco. Obwohl ich denke, ein Arschtritt täte mir eigentherapeutisch gut, obwohl das an einem selbst nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Wie war das doch gleich? Vier-Wände-Mentalität. Der Ofen, ja, er brennt. Nein! Das Holz, das in ihm liegt. Aber ich muß mir jetzt die Schuhe anziehen. Ich muß – na wer weiß, zu wem? Und mir ein ‘geh!’ borgen.
Neulich mußte ich herausfinden, wie man eine männliche Hebamme nennt. Und fand, in Deutschland benutze man in dem Fall ‘Entbindungspfleger’, während in Österreich auch das Wort ‘Hebamme’ für den Mann benutzt werde.
Die Nuß zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und Stück für Stück, Millimeter um Millimeter aus der Hülse nehmen. So ist es recht. Nur nicht an ihr rütteln. Nicht reißen! An einem Ende haftet die Nuß, das andere aber liegt frei und locker in der Schale. Mit dem Zeigefinger auf das lockere Ende pressen, mit Nachdruck, aber wieder sanft. Sanfter! Sachter!… wie man in Handkes >>> Obstdiebin über drei-vier Seiten von einem Achtzigjährigen erklärt bekommt, wie eine Haselnuß zu öffnen ist.

Aber doch heil überstanden trotz kalten Windes: als ich ihm das Geld hinzählte für die Zigaretten, fing er an zu singen, etwas, von dem ich nichts verstand.

III,346 <<<<

2 thoughts on “III, 348 – ein “geh!” borgen

  1. “Hebammer” wäre doch so viel schöner! Indes “Entbindungspfleger” nicht unseltsam verknorkst ist. Schon das Wort “Entbindung” setzt ja einen Gefahrenfall voraus, den es gibt, gewiß, aber als Ausnahme, nicht Regel.

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