Nabokov lesen (1). Als Arbeitsjournal des Dienstags, den 5. November 2019.

 

Das Leben ist eine einzige Überraschung. Ich sehe nicht ein,
wieso der Tod nicht eine noch größere sein soll.

John Francis Shade in Pale Fire

Wiederum Nabokovs letzten Roman  Look at the Harlequins!, 1974 (dtsch. Uwe Friesel: Sieh nur die Harlekins, 1979) nennt Andreas Isenschmid “Nabokovs unvergnüglichsten Roman” – was an dem Buch komplett vorbeigeht. Allerdings muß man Nabokovs über-selbstironischen Gestus einer durchlaufenden Mysogenie aushalten, der die Bezauberung durch zwar weibliche, aber doch imgrunde genommen Jungenkörper sekundiert. Dazu kommt die ziemlich ausgestellte Arroganz eines nach vielen Fehlschlägen zum Weltautor und reich gewordenen Mannes. Nur besteht eben das Meisterstück dieses Romans in seiner schiefen Autobiografie, d.h. der Autor gestaltet seinen Helden ganz nahe an sich selbst, aber in einigen Belangen komplett verschieden – “Unwahrhaftigkeiten”, mit denen der deutsche “realistische” Literaturbetrieb bekanntlich nicht umgehen kann: Poetische, gar poetologisch gegründete “Sünden” dieser Art sind seinen Vertreterinnen und Vertretern, die auf “Authentizität” und dergleichen fetischisiert sind, ein  grober Übertritt von in ihnen wirkenden Tabus. Dabei weist sie bereits im von ihnen mit Begeisterung aufgenommenen  Pale Fire (“Fahles Feuer“, 1968) wie, im Harlekinroman, Vadim Vadimovitsch des “unzuverlässigen” Charles Kinbotes bewunderter John Shade ausgesprochen deutlich zurecht:

Ich pflege auch dann die Zensur eines Studenten katastrophal zu drücken, wenn er ‘einfach’ und ‘aufrichtig’ als Lobesworte benutzt; Beispiele: “Shelleys Stil ist stets sehr einfach und gut” oder “Yeats ist stets aufrichtig”. Das ist weit verbreitet, und wenn ich einen Kritiker über die Aufrichtigkeit eines Autors reden höre. weiß ich schon, daß entweder der Kritiker oder der Autor ein Dummkopf ist.

Des weiteren fand ich das Wort Erlfurcht, von dessen englischem Sprachoriginal alfear genauso etwas ausgeht, das auch mich stets gefangen nahm: Warnung und Lockung zugleich. Selbstverständlich geht es um die eher auratische als tatsächliche Androhung sexueller, bzw. erotischer Gewalt, die Willigkeit (!) fordert, nicht etwa “nur” Unterwerfung: “Ein Schauder von unkontrollierbarer alfear (Erlfurcht) rann ihm zwischen den Schulterblättern hinab .”

Zahllose weitere Funde, etwa in dem bei der Büchergilde sehr schön neu aufgelegten, hier von Dieter E. Zimmer überetzten Pnin – wobei ich die Illustrationen, offen gesprochen, überflüssig finde. Sie engen die von Nabokov angeregten Leser:innen-Imaginationen auf die Aura von Situations-Comics ein, die das Buch zudem stilistisch historisieren. Mit Sätzen wie dem folgenden kann nicht eine der Zeichnungen auch nur von ungefähr mithalten:

(…) und viele Jahre über, selbst dann noch, als Letzterer (Sam Poore) sein Augenlicht eingebüßt hatten, gingen die beiden (dieser und Leonard Bloraenge) auf einem düsteren, windgepeitschten See zusammen angeln, am Ende einer von Feuerkraut gesäumten Schotterstraße siebzig Meilen nördlich von Waindell, in der Art trübseligen Buschlands (…), das in der Natur das Gegenstück zu einem Slum ist.
(Hervorhebung von mir)

Freilich, auch wenn Nabokovs Absicht war, dem Quijotte, den er nicht mochte, wenigstens für überbewertet hielt, eine romanpoetische Erwiderung zu schreiben, ist die Wirkung dennoch nicht unähnlich: Wir Leserinnen und Leser erheben uns eben doch über den aus der Zeit gefallenen Professor und amüsieren uns an ihm nicht unähnlich wie an dem traurigen Ritter. Doch anders als Cervantes gibt er, Nabokov, dem seinen eine Zukunft. So taucht der gute, hoch menschliche Professor schon im nächsten Roman, Pale Fire eben, wieder auf, indessen dort als “regelrechter Pedant” bezeichnet: “Wie merkwürdig”, findet Shade, “daß russische Intellektuelle jeden Sinn für Humor vermissen lassen, wo sie doch so bewundernswürdige Humoristen wie Gogol, Dostojewskij, Tschechow und Sostschenko haben (…),” Nun ist auch dies Figurensprache und mit den persönlichen Ansichten des Romanciers durchaus nicht deckungsgleich, wenn auch manchmal ähnlich. Doch wo?

Übrigens steht zu befürchten, daß, wird entdeckt, was in den Büchern wirklich steht, auch hier die Fälschungs- und Quasizensurmaßnahmen der politisch Correcten und, nachdrücklicher, Correctinnen greifen werden, vor denen wir sie schützen müssen, und uns selber. Daß Nabokovs bis heute umstrittenes Ada or Ardor (Ada oder Das Verlangen, 1969) zu meinen unanfechtbaren Lieblingsbüchern gehört, muß ich regelmäßigen Lesern Der Dschungel nicht mehr schreiben – und Ihnen, Geliebte, schon gar nicht.

 

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>>>> Nabokov lesen 2

P.S.:
Die Sonne scheint. Nachdem ich es vorgestern mit dem Elontril über-
trieb (eine 300er statt 150er geschluckt) und einen schlimmen, sehr
schlimmen Sonntag davon hatte, habe ich das Medikament jetzt gänz-
lich abgesetzt. Dessentwegen, was mir nun unmittelbar bevorsteht, vielleicht
unklug. Doch muß ich in mir selbst, gebietet mein Stolz, die Stoik finden: mit
offener Stirn erscheinen, nicht benebelt. Ich muß mich meiner Verzweiflung
nicht schämen.

 

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