Etwas richtig spielen. Prägungen.

Nun bin ich nach Jahren eines vorsichtigen fast-Enthalts zu der Aufnahme eines Stücks und ihm selbst zurückgekehrt, das meine Jugend geprägt hat. Ich mußte sie, mit vierzehn, glaube ich, nur e i nmal hören, und sie hatte sich an mir festgesaugt, verließ mich nicht mehr. Wie ich wochenlang nicht einschlafen konnte, ohne daß dieses Stück auf den Plattenteller gelegt war und abgespielt wurde. Wie das Stück mich anhielt, allmählich den Traum gänzlich über den Schlummer zu ziehen. Das war ästhetische Lehrzeit: so werden im Roman Motive ineinandergeführt. (Eine Chaiselongue, die mein Bett war, eine Mutter, die im Zimmer irgendwo leise herumgruschelte, ein Geruch nach Praxisdesinfektion.) Mein Musikwahn, der sich damals entwickelte und bis heute Sucht blieb. Nachdem ich endlich einen eigenen Plattenspieler hatte, einzwei Jahre später, um den ich mich – d a m i t ich ihn geschenkt bekam – konfirmieren ließ; aber keinen Verstärker, dafür war auch dann nicht das Geld. Sondern zwei riesige zusammengeschaltete Röhrenradios, deren grünmagische Augen verheißungsvoll aus der beseelten Armatur eines Raumschiffs glommen, und bis zu zehn, zwölf Lautsprecher, all das vom Sperrmüll, an sie geschlossen, aus denen sich, sie waren in meinem Zimmer hinter schwere rote, meist zugezogene Vorhänge montiert, die durchsichtige, doch dunkle, flammige Schönheit der Musik mit Kraft in die Welt drückte, darin verströmte, nicht selten sie tropisch gewittern ließ. (Es scheint mir heute bisweilen so zu sein, als langten selbst meine seltenen, ausgesuchten Wunderwerke von ProAc, die für immer ästhetisch die moralische Berechtigung meiner Brokerzeit bleiben, nicht an diesen Klang heran. Was objektiv ganz sicher nicht stimmt. Aber es spielt die Objektivität keine Rolle.)
Wie ich also eben genau dieses Stück als CD anhöre, in anderer Interpretation, und plötzlich fühle: Nein, das ist es nicht, das stimmt so nicht, das wird ja völlig falsch gespielt! Und wie ich die mindestens 35 Jahre alte Schallplatte der Deutschen Grammophon herausziehe, sie auf den Linn lege… und wirklich singt sie, alles wird wieder klar, rhythmisch drängend, satt – und läßt nicht nur die andere Interpretation, nein auch ihren CD-Klang weit weit hinter sich. Welch ein melancholisches, welch dennoch heftiges, energisches, welch wollendes Glück!

[Tschaikowski, Klavierkonzert b-moll, Richter, Karajan, Wiener Symphoniker.]