Argo. Anderswelt. (72).

Kumani sah sich die Polynesin an, überaus berührt von so viel gerissen naivem Charme. Die Tänzerin brachte es fertig, ihre Beine geradezu unberührt zu gretschen, ganz egal, ob bzw. daß sie längst keinen Slip mehr trug. Seltsam, wie verschieden es ist, ob man sich so etwas bei der SIEMENS bestellt oder ob Natur dieses geschlechterne, weiche Elfenbein ganz von allein hat in die Welt treten lassen. Das Phänomen kann völlig gleich aussehen; dort ist es Produktion, hier ein Wunder. Das von der Produktion profaniert wird, indem sie es beliebig benutzbar reproduziert. Weshalb Kumani, schrieb Cordes in der Lützowbar, immer so übel wurde, wenn er mit solch einem Fabrikat konfrontiert war. Aber solch ein Fabrikat war er ja selbst, dachte Kumani, und mußte schlucken. Konzentrierte sich schnell auf die Tänzerin, denn bei ihr, der Polynesin, war ihm n i c h t übel, er war sogar ein wenig erregt, als ihm ein lispelnder Kellner den Prince of Wales brachte. Lysianassa selbst war wohl nun a u c h Deidameia hinterher. Ich versuchte, in Kumanis Blicken Herbsts Blicke einzufangen, der zeitgleich wieder im SILBERSTEIN saß und beschrieb, wie ich Kumani beschrieb. Den ganzen Tag über hatten die Anfälle angehalten, immer wieder hatte er etwas Durchsichtiges, sich Wegziehendes bekommen, waren die Straßen Häuser Menschen bisweilen schrecklich ungefähr geworden; das hatte etwas von einer Erscheinung gehabt, die einem mit sich selbst begegnet. Überhaupt ließen sich auf diese Weise religiöse Gesichte erklären. Was einem wie Herbst allerdings fernlag; deshalb blieb er noch dann rein mit sich selber beschäftigt, als er m i c h imaginierte. Zweifellos einer seiner Hauptfehler: sich unkritisch seiner identifizierenden Dynamik zu überlassen. Ich wäre geneigt, von ‚poetischem Solipsismus’ zu sprechen, hätte es sich bei ihm um einen Künstler und nicht um einen Programmdesigner gehandelt. Der, wäre es zu dem Treffen mit Judith Hediger noch gekommen, einiges mehr mit ihr hätte sinnvoll bereden können als Hans Deters, der, völlig verwirrt, das Rendezvous schließlich, kann man sagen, bestritt, so daß Frau Hediger den zwischenspielhaften Figurenwechsel gar nicht mitbekam. Zumal sie Deters sozusagen ‚neu einführen’ mußte, denn ihm war in seiner Archivablage so einiges Vermögen abhanden gekommen; irgend etwas Abstraktes haftete an ihm – wie bei Leuten, die Sozialkontakte meiden und ihr Leben wie früher in Bücher so heute in Cyberräume projezieren. Man mußte das, dachte sie, von ihm ablecken, lange und sorgsam; sie war dafür Katze genug. Damit wieder Haut zum Vorschein kam, wo jetzt noch wie Schuppen Bits die Nervenzellen isolierten und sie fast unempfindlich machten. Das mußte alles erst einmal weg.

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[Mit einem Dank an lamasohn für frühmorgendliche Begriffs-Hilfe.]

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