DTs. Sonntag. (6. März 2005).

5.16 Uhr:

Wieder alles von Schnee überschüttet, als ich eben auf die Schönhauser schaue. Es ist ganz wunderbar. Und kalt. Hab zwar den Wecker gehört, aber wie entschlossen weitergeträumt, dann wach ich um kurz nach fünf von alleine auf, kletter das Hochbett hinab, der Kleine liegt unter einem ganzen Haufen von Bettzeug zusammengerollt am Fußende. Das Fenster schließen, die Heizung aufdrehen, noch im Lufteis in den alten (nun frisch gewaschenen) Trainingsanzug geschlüpft, den ich bei mir den ARGO-Morgenanzug nenne, dann in die Küche, die Kaffeemaschine vorbereitet und angestellt, ins Bad, schließlich an den Küchentisch, wo ich jetzt sitze. Und mich wieder einmal frage, was ich hier tu. (Jetzt erst die walkman-Kopfhörerchen in die Ohren gesteckt, Nabucco, Gefangenenchor.)
Das Ich als Romanfigur, Figur jedenfalls., allezeit mal mehr, mal minder brennend die Frage des Privaten unter der Haut. Die Chat-Gespräche gestern mit Ana, deren (Netz-)Namen ich aus den vorigen Einträgen löschen sollte und eben auch löschte, – daß ich eigentlich nicht begreife, weshalb sie es will usw. “Deine Darstellung ist rein subjektiv und stimmt so auch gar nicht. Du hast ja nicht einmal geschrieben, daß Dein Analytiker anderer Meinung über den Vorfall war als du.” Mir liegt sofort ein “Er muß er ja nicht recht haben” auf der Zunge. So geht das hin und her. Dabei hat sich Ana sehr für mich eingesetzt, real, bei einem Verlag. Ich müßte ihr dankbar sein und b i n es; aber ich mag meine Haltung weder von Feundschaft noch von meiner Dankbarkeit korrumpieren lassen. Sich selber zum Gegenstand der Darstellung machen ist offenbar dennoch nicht möglich, weil man sozial so verzahnt ist, daß einem viele andere in die Konstruktion fahren und Verfälschung, zumindest Verschweigen fordern tatsächlich k ö n n e n; andererseits ist sich selber zum Gegenstand der Darstellung machen eine der wenigen Möglichkeiten, Realität auch so zu erfassen, daß Gefühle nicht bloß interpretiert werden – und überhaupt ja die Selbst-Öffnung, zum Beispiel in sexuellen Belangen, eine Verweigerung, sich aus gesellschafts-geschmäcklerischen Gründen zu verstellen. Es ist insofern eine Gegenbewegung zur Heuchelei und zum politisch-anthropologischen Selbstbetrug.
Aber an die Arbeit. (Immer noch die Bilder von gestern nacht im Herz der Augen: Der kleine lachende Junge im Konzert, sein warmes Gewicht auf der Schulter, das Vertrauen, das ihn auf meinem Schoß einschlafen und immer wieder aufwachen ließ, damit er applaudieren könne.)






Tagesplanung.




5.16 Uhr:

DTs von gestern ergänzen. Schöne Nacht-Bilder. Deshalb.

ca. 6 Uhr:

ARGO.

ca. 8 Uhr:

Frühstück mit dem Jungen.

8.45 Uhr:

ARGO.
DIE DSCHUNGEL.

11 Uhr:

Kinderzeit.

13 Uhr:

Mittagsschlaf des Kleinen.
DIE DSCHUNGEL.

14.30 Uhr:

Den Jungen zum Kindergeburtstag seines Freundes Johannes radeln.

15.30 Uhr:

DIE DSCHUNGEL.
Dritter Scan-Text.
MF.

18 Uhr:

Den Jungen vom Kindergeburtstag abholen und weiter zum Haus der Berliner Festspiele radeln.

19.30 Uhr:

Konzert-Performance
Claus-Steffen Mahnkopf: Hommage à Thomas Pynchon.






15.10 Uhr:
[Brahms, Erste Sinfonie; Dämen-Internetradio.]

Extrem langsames Vorankommen in ARGO, obwohl die Szene jetzt stimmt und ich auch genau weiß, w a s zu erzählen ist; nicht einmal das Wir bereitet Probleme. Aber meine Konzentration ist schwächlich, rutscht immer wieder ins Internet. Ab morgen also wieder, bis meine Arbeit sich stabilsiert hat, morgendliches Internet-Verbot.
Gespräche im Netz mit lamasohn, intensiver Austausch mit Ana, die mich, bezüglich meiner Arbeit u.a. von ebender abhält (“Wenn Du wüßtest, wer hier alles chattet..!” – aber sie ist diskret, sowieso, und ich frage meinerseits eh nicht nach Namen).

22.43 Uhr:

Der Ausflug mit dem Jungen ins Haus der Berliner Festspiele zu Mahnkopfs Klanginstallation Pynchon zu Ehren. Als ich meinen Jungen vom Kindergeburtstag abhol, f r a g ich ihn extra noch, ob er ins Konzert wolle (ich scheue etwas die weite Radfahrt durch die Kälte), aber er w i l l, ohne jedes Zögern. Wir sind dann zu spät, das gibt ein wenig Aufsehen beim Personal, doch hatte mir Mahnkopf ja gemailt, daß es kein Problem sei. Der Junge lauscht dann schließlich den rundum-Klängen, die dann ins gesamte Haus übertragen werden, so daß er dabei herumlaufen kann. Und sich setzt, immer mal wieder, wie sein Vater, um die Augen zu schließen und zuzuhören, wie sich Komposition und Stimmen und Schritte vermengen. Im Foyer liest ein junger Mann ziemlich schlecht vor: Eine Intonation, die sich ganz bewußt unter den Achselhöhlen nicht gewaschen hat.
Lange Fahrt durch die bittre Kälte heim. Nach dem Vorlesen schlaf ich neben dem Kleinen für eine halbe Stunde ebenfalls ein.



Arbeitsfortschritt:

ARGO, bis TS roh 214