Der 17.März 2003. (Donnerstag). Leipzig.

6.28 Uhr:
[Händel, Suiten für Cembalo.]

Vergleichsweise spät hoch, der rechte Arm eingeschlafen, noch ist außer mir in der Gästewohnung niemand wach… wollte eben “Gästew o h n e” schreiben, aber das wäre ungerecht und träfe den Sachverhalt nicht. Die Wohnung ist geräumig, vier Zimmer, DDR-Standard in gutem Zustand, die Zimmer ein wenig ungelenkt eingerichtet: schwere Holzschränke, großgemusterte Schlafcouch, Eichenschreibtisch, an dem ich jetzt sitze.
Alle schlafen noch, deshalb gleich unter die Dusche, dann vergeblich nach Kaffee geschaut und ersatzhalber zu Apfelsaft gegriffen. Formulierend nun hier, nachtragen von gestern, noch etwas in die MF-Exzerpte schauen…

Feste Termine heute.

13 Uhr Moderation und Gespräch zum Fantastik-Heft der “horen”.

20 Uhr Lesung im Schumann-Haus.

Dazwischen: Kontakte, Gespräche, Streits wahrscheinlich. Da sein.

Der Tag.
[Schostakovitsch, Präludien und Fugen op. 87]

tisch7-Stand gleich neben dem Berlin Verlag, dessen jetzt ehemaliger Chef mich nach einem Streitgespräch sozusagen hinauswarf und der unterdessen beinah gänzlich von Bloomsbury übernommen zu sein scheint; jedenfalls macht dessen Stand ganz diesen Eindruck. Der tisch7-Stand hingegen schlicht, klar, die drei Umschläge der drei erzählenden Bücher als Plakate auf der Rückwand, der des Popbuches an der Seitenwand. Eine gelb gefäbrte Amaryllis auf dem Tisch. Allgemeine Zufriedenheit mit dem Standort, mit der ersten Wirkung. Ich meinerseits grummle etwas, weil keine Rezensionen in den Literaturbeilagen erschienen sind. Dennoch, schöne Treffen, wenn auch das kurze Gespräch mit dem Lektor von ***, der derzeit ARGO anschaut, nicht eben hoffnungsvoll stimmt: “Ich finde das interesssant, aber ich sehe dich eigentlich nicht bei uns im Programm.” Was mir imgrunde klarwar, mein Erzählansatz steht zur dort vertretenen, sachlich-realistischen Haltung durchweg quer. “Aber ihr habe doch Don de Lillo”, wende ich ein. “Ja schon”, antwortet der Lektor, “aber der kommt aus dem Ausland.” – Da kann man nur noch schweigen. Er müßte doch wissen, was er mit ARGO in der Hand hat!
Mittags die horen-Veranstaltung ist ein Flop; nicht ein einziger Hörer ist gekommen. Nur einmal schießt ein Fan mit einer ziemlich alten Anthologie in den Saal und bittet für meinen Beitrag darin ein Autogramm. Ich hab ein schlechtes Gewissen wegen des nun ganz grundlos ‘verdienten’ Honorars; ginge es mir besser, ich hätte es Tammen, dem Herausgeber der Zeitschrift, anstandslos zurückerstattet. Später erscheinen auch Leser mit dem verbotenen Buch, erbitten ebenfalls Autogramme. Der Roman lebt also weiter. Was mir guttut.
Gutes Beisammensein am Gemeinschaftsstand der niedersächsischen Literaturbüros; locker Lesungen projektiert; dort auch die erste junge Frau, mit der es sich wirklich flirten läßt; aber vielleicht bin ich auch dort erst offen genug.
Und auch am Abend ist die Höreranzahl höchst rar, vielleicht sechs/sieben Leute sind da, mit den Bekannten sind es vielleicht vierzehn. Die sechs/sieben kamen sehr gezielt, zwei von ihnen haben Bücher dabei, THETIS, WOLPERTINGER, völlig neue, noch ungelesene Exemplare. Der überaus schöne Veranstaltungsort, das Schumannhaus in der Inselstraße, ist ein wenig schwer zu finden; jedenfalls für nicht-Leipziger. Der Eingang versteckt, zumal der einer Grundschule, dahinter geht es ungeleitet ein neusachliches Teppenhaus heraus, erst dann betritt man den historischen Boden. Hier verlebten Clara und Robert Schumann ihre ersten vier Ehejahre, hier waren Berlioz und Wagner zu Besuch. Ich lese die Titelgeschichte und die Vergana zwischen den alten Instrumenten, Fotografie und Stadtpläne im Rücken, Faksimiles hinter Glas.
Essen im Paulaner mit Verlag, Kollegen, später kommenen die Freunde hinzu: Eisenhauer hatte seine eigene Lesung parallel an anderem Ort. Mit ähnlichem Zulauf wie ich. Später, nach einigem Alkohol, fast ein Streit wegen meines Ausdrucks “Bettelbrief” “Du kannst verlangen, du machst dir das kaputt durch die falsche Haltung, du hast ein ! Warum zeigst du nicht mehr Selbstbewußtsein?” Und Su legt mir indirekt einen Nebenjob nahe, Michael spricht wieder über Hartz IV; mir geht’s imgrunde immer zusammengeschnürter.
Immerhin, sehe ich gerade, hab ich am Morgen tatsächlich den Einstieg ins MF-Hörstück geschafft. Das war bis eben (18. März, 7.35 Uhr), da ich alledies notiere, geradezu vergessen.
Nachts zu Fuß durch leichten Leipziger Sprühregen heim. Und eine SMS von E.: “Hab wieder Sehnsucht nach B. Und las eben erst von meiner herzerwärmenden Promiskuität. Würde gerne Deine Stimme hören.” Woraufhin ich anrufe. Sie hat für den 25.ein Zugticket nach Berlin.