Zum 18. März 2005. (Freitag). Leipzig.

Meine geliebte Ansteckperle verloren, irgendwann abends nach der Lesung, vor der Lesung, ich weiß nicht genau wann. Ein Geschenk von Do vor vielen Jahren, sehr behütet stets an meinem rechten Revers. Aber die Traurigkeit nicht zugelassen: “die Dinge”, sage ich, “das sind die Dinge.” Noch nachmittags war ich am Wunderhorn-Stand angesprochen worden: “Sagst du uns noch, welche Bedeutung diese Perle hat, die du immer angesteckt trägst?” Da hätte ich aufmerksam werden, hätte ich gewarnt sein müssen.
Gute Gespräch auf der Messer, langes Gespräch mit Ricarda Junge: “Vielleicht solltest du in dich gehen, meditieren lernen, ruhig werden…” Ihre Gläubigkeit wirkt heute ausgesprochen beruhigend auf mich. Sätze des Verlegers, die mich dennoch unruhig machen: “Wenn du einen Feind nicht besiegen kannst, mußt du dich mit ihm verbünden.” Das sind so Aussagen, die mir Knoten in den Magen machen, weil ich immer an Hitler-Deutschland denke dabei, weilich dann spüre: So wurde der Anschluß möglich; es wirken noch die gleichen Strukturen, halt nur in harmloseren Zusammenhängen. Dennoch, auch und wieder Eisenhauer: Fordere und hab kein schlechtes Gewissen; h a s t du ein schlechtes Gewissen, dann hast du bereits verloren. Mein ständiger Aufruhr dagegen. Sich hinstellen vor den Betrieb und rufen: “Kennt ihr Kohlhaas?” Oder Ricarda folgen, römisch-katholisch, das w ä r es vielleicht (sie selbst ist Protestantin).

Mein Petersdorff-Text scheint rundzugehen; selten hab ich überhaupt so deutlich mitbekommen, wie verbreitet mein Newsletter und dann auch die fiktionäre Website wahrgenommen werden; und selten wurde ich so oft auf einen Beitrag angesprochen, den ich neu auf die Website stellte, selten auch mit so viel Zustimmung im Sinne von: “Endlich s a g t einmal jemand was.” Daß nun allerdings wieder ich das bin, ist einigermaßen typisch. Bei Unseld/FVA neue Gespräche über das verbotene Buch; der Skandal bleibt präsent. Wobei zu trennen ist zwischen dem Anliegen des Klägers, das ein wenn auch fehlgeleitetes, so doch betroffenes gewesen sein mag, und der Reaktion der Literaturbetriebs, der das Verbot begrüßte, weil er meinte, auf diese Weise einen ungeliebten, störenden Dichter loszuwerden. Das wird in den vielen Gesprächen allmählich auch sehr deutlich, auch, wie viele jetzt sagen: “Das hab ich a u c h schon gehört, daß es ein großes Buch sein soll.” Der Rumor schlägt sich auf die Seite der Qualität, sowas geschieht sonst eher selten.

Mit dem Verleger nun per Du, Alma Picchiola aus der “Niedertracht” gelesen, nach Doris Conradi und Thomas Kunst: Spürbar, wie sich die Atmosphäre, die der Text verströmt, um die Leute zusammenzieht. Dennoch später ein Dozent vom Deutschen Literatur-Institut: Unbehagen, zu kühl, zu perfekt, nun ja, dem Mann fehlte die klare Aussage, die Stellungnahme, möglicherweise eine moralische Position.

Und dann fehlt meine Anstecknadel.