Dienstag, den 10. Mai 2005. NACHGETRAGEN.

[Stolzes Dünger: Zu gehen und Bißwunden mit sich tragen.]

Es gießt und hagelt. Man kann hier, erzählt Sukov, von der Autobahn aus strahlendem Sonnenschein kommen, fährt um die nächste Kreuzung und rauscht in den Nebel. Apollonia fährt mich nach Neumünster zum Zug, Annika noch etwas weiter an einen anderen Bahnhof. Kaum in dem Städtchen drin (tatsächlich, Sonne), hält uns eine Polizeistreife an und versucht unbewußt, meine Abfahrt zu hintertreiben. Die Fahrerin muß eine lange Belehrung über sich ergehen lassen, ich meinerseits, auf dem Rücksitz, war nicht angeschnallt, bekomme ebenfalls eine Zurechtweisung, ich hatte wirklich keine Ahnung, daß man sich auch hinten fesseln muß. Das glaubt die Polizistin mit der schrillen Stimme nicht, sie hält mich, scheint’s, für devot. – Wir schweigen, halten an uns, die Belehrungen laufen an uns herunter wie ein Wasser, das schon abgestanden vom Himmel fällt.
Dann sitze ich, um zwei Minuten ist es geschafft, doch noch im Zug.

Angenehm erschöpft. Immer wieder fallen die Augen zu und ich insgesamt wie nach hinten, als öffnete sich die Rückenlehne und nähme mich auf, in kurzen Schlaf.
(Aus dem Notizbuch).

NACHTRAG, 11. Mai:
Angenehmes Gespräch beim Kaffee. Eine helle, weite Baunschweiger Wohnung voller Kunst und einer guten Spielart der bürgerlichen Freiheit. Professorin S. wirkt genau und engagiert, das Interesse auf dem Grat einer distanzierten Intelligenz, die sich nähert, indem sie erst einmal schaut. Mir werden dabei meine Grundpositionen klar, ja daß ich überhaupt Grundpositionen ausformulieren möchte:

Intensität statt Intentionalität.
Widerstand statt Harmonie.
Archäologie statt Oberfläche.

Sh. in der Sonntagnacht in Hasenkrug sagte, als ich gegen die SM-Szene ihre Ritualisierung einwandte: “Die Menschen sind für die Routine gemacht.” Genau da opponiere ich. Mögen sie dafür gemacht sein, so können sie das ja wohl ändern. (Aber – ich höre den Einwand – sie wollen es nicht. Und – so wieder ich – verlieren drum ihre Erregung.)
Ich habe noch weitere Stichworte für die Poetik notiert:
nicht demokratisch
amoralisch
obsessiv
nicht alltäglich

Wir kommen nach dem Gespräch überein, daß ich nicht etwa den neuen Vortrag (extemporierend) halte, sondern tatsächlich den angekündigten “Das Flirren im Sprachraum”. Es zeigt sich, daß die Wahl klug war. Eine schöne Veranstaltung voll sehr aufmerksamer Zuhörer. Bisweilen jemand, der ausgesprochen skeptisch schaut. Da hätte ich dann gern mich etwas unterhalten. Jedenfalls war ich selbst erstaunt, wie gut der Text noch trägt. Und: Ich werde fortan öfter direkt aus dem Laptop lesen:: stehend, die Schriftgröße auf 170 % gestellt und den Text über den gesamten Bildschirm fahrend. Man hat das Gefühl eines kybernetischen Sprechpults. So steht man dann auch da. (Ja, bisweilen ist die Verwendung des “man” geraten; sie zeigt eine Selbst-Objektivierung an, ist eben nicht i m m e r nur ungenau oder will sich verstecken.)

3 thoughts on “Dienstag, den 10. Mai 2005. NACHGETRAGEN.

  1. Kinder… …wir waren Kinder für die Polizistin, die, voller Sorge um unser Wohlergehen, auf uns einredete, wie auf ebensolche. Du warst das bockige Kind, dem mit Strafe gedroht wird, weil es Widerworte gibt. Ich das einsichtige, das lächelte und sich für die Zurechtweisung bedankte. Mein Risiko war höher.
    Ich hatte dann auch den Eindruck, sie nicht enttäuschen zu wollen.

    Apollonia

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