Die Öffentliche Mutter.

Es handelt sich um eine symbolische Verschiebung, die die Mutter-Imago auf den Öffentlichen Raum projeziert und Anerkennung d o r t sucht; doch kann sie da ebenso wenig erfolgen wie in der weil vergangenen Nicht-Realität der vermißten mütterlichen Zuwendung. Das unbewußt begonnene Unternehmen ist selbstverständlich ein irres, andererseits ist es an zunehmende Leistung gekoppelt: Man möchte sich die Zuwendung also verdienen. Das ist indessen dem Wesen der Zuneigung fremd. Deshalb bleibt sie aus. Gleichwohl führt das Verlangen nach ihr zu einer ständigen Verfeinerung, Verschönerung und Perfektionierung der künstlerischen Mittel und schließlich des Werkes. Da Perfektion wiederum ihres Characters nach gerade n i c h t s ist, das Liebe hervorruft, sondern im Gegenteil anderes hermetisch von sich abweist (allerdings kann sie bewundert oder respektiert werden; es hängt ihr aber immer etwas Unheimliches an), dreht sich der für den Künstler-persönliche Teufelskreis weiter, für das Werk aber ist genau das fruchtbar: weil die nach jedem neuen Buch Bild Musikstück sich aufgetane Lücke – diese schmerzhafte Differenz von dem, was geschaffen wurde, zu dem, was man an Zuneigung dafür erhält) – abermals und nun erst recht geschlossen werden will. So beginnt dann also immer eine neue Arbeit.

Der Prozeß läßt sich auch anders betrachten. Der Künstler (Die Dschungel spricht hier von einer Character-Disposition, nicht etwa emphatisch) realisiert seine Identität im P r o z e ß der Arbeit. Ist sie abgeschlossen, ist diese Form der Realisierung sozusagen zugeklappt worden, denn das Buch Bild Musikstück steht ja als Geschaffenes wie etwas Fremdes dem Künstler gegenüber. Und wie bei dem Streben nach Zuneigung ist auch hier dann zwar ein Werk entstanden, aber es erfüllt nicht mehr, was es sollte; und es kann das auch gar nicht erfüllen, da die Identität rein durch den Prozeß zustandekam, in dem man sich fühlte. Und ebenfalls wieder tut sich die Differenz auf, und ebenfalls wieder will sie vermittels einer neuen Arbeit geschlossen werden. Ad infinitum aut mortem.


[Deshalb, nebenbei bemerkt, ist autobiographisches Schreiben, das nackt dokumentieren will, letztlich gar nicht möglich, und zwar auch nicht im Tagebuch Der Dschungel. Vielmehr entsteht immer etwas Fremdes, das etwas Eigenes, fast Autonomes ist – oder aber als Geschriebenes schlecht. Als „Gutes“ wird es in jedem Fall Literatur und unterliegt damit denselben Entfernungsgesetzen: Die Werke streben auseinander wie die Galaxien, und der Künstler steht nicht einmal in ihrer Mitte, da sich auch die Leser gravitativ zu den Werken verhalten.]




(Es gibt – wenige – Ausnahmen. Zum Beispiel Verdi. Zum Beispiel Rossini. Die konnten sagen: Es ist genug.)

[Produktivitätsästhetik.]

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