Freitag, den 30. September 2005.

8.16 Uhr:
[Zemlinsky, Florentinische Tragödie.]
Seit kurz nach vier auf, halbschlafig von den Rattenkindern geträumt, bis der Wecker klingelte. Dann, nach dem DTs und ohne den morgendlichen Tagebucheintrag, gleich an ARGO. Der Roman verknüpft sich jetzt mit den Weblog-Überlegungen, was so spannend war, daß ich darüber einen >>>> poetologischen Eintrag verfaßte. Auch das noch vor dem Wecken des Jungen, obwohl ich zudem zwei ganze Seiten Romantext hinschrieb. Erstaunlich.
Wir frühstückten dann mit den beiden Rattenkindern gemeinsam; zutraulich ließen sie sich nach dem Aufstehen auch schnell mal aus dem Käfig nehmen und flitzten an uns beiden herum. Den Käfig (noch ist es ja nur ein kleiner) mit an den Frühstückstisch genommen. Jonathan (das schwarzweiße Böcklein) ist zwar kleiner als Felix (das schwarze), aber deutlich neugieriger und entschiedener: Er frühstückte jedenfalls mit Adrian simultan.
Gut, ab zur Schule; letzter Schultag d o r t; nach den Ferien hat der Junge in der neuen, d.h. der anderen Schule Unterricht.
Als ich an der Arbeitswohnung ankomme, finde ich PostBescheid über ein Paketchen. Klar, Su Schleyers Buch, das Päckchen wurde anderswo im Haus abgegeben; ich klingle: „Sind Sie schon wach?“ „Jaja, kommen Sie nur hoch.“ Jetzt habe ich >>>> dieses sehr sehr schön gewordene „Unterwegs“-Buch vor mir, blätterte etwas darin und formuliere nun für Sie und vielleicht später einmal mich selbst in dieses Tagebuch.

Der Tag wird nicht ganz so unruhig, wie die Tage zuvor gewesen sind; allerdings werd ich abends im Grünen Salon lesen: „Lena Ponce“ aus „Unterwegs“. Sollten Sie also in Berlin sein und Lust auf ein paar Autorinnen, Autoren und eine Fotografin haben, dann schauen’S Ihna hoalt vorbei. Jetzt geht es erst einmal wieder an den Roman.

12.51 Uhr:
[Unmittelbar nach dem Sport und vor dem Mittagsschlaf.]
Manchmal h ä t t e ich es gerne, daß es ‚nur’ ein Verfolgungswahn wäre. Doch erreicht mich aus dem Ausland die SMS einer Übersetzerin:

Der Arm Ihrer Feinde ist anscheinend sehr lang.
Ich weiß erst gar nicht, worum es geht, frage nach. Offenbar blockiert, erfahre ich dann, jemand aus dem deutschen Literaturbetrieb unter deutlicher Androhung von Sanktionen ein Projekt, das in Z-Land mit meinem literarischen Werk geplant war. Es verwundert mich nicht, aber es macht mich wütend vor lauter Hilflosigkeit, zumal auch mein französischer Übersetzer Prunier, mit dem ich lange geradezu freundschaftlich korrespondierte, verstummt ist und auch auf Fragemails nicht mehr reagiert. Was hat denn diesen Haß auf mich und meine Arbeit derart distanzlos und unreflektiert losbrechen lassen, was ihn erzeugt? Wenn ich von mir aus zuschlug, so schlug ich zwar heftig, aber immer nur z u r ü c k. Reicht das bereits? Ist von einem Dichter erwartet, daß er in jedem Fall kuscht?

Und noch ein Wort an meine Leser direkt: Meine Finanzlage ist jetzt derart problematisch, daß ich möglicherweise Die Dschungel nicht werde weiterführen können, weil man mir den Anschluß sperrt. Aber vielleicht findet sich unter Ihnen jemand, der die Kosten meiner flatrate sponsort.

27 thoughts on “Freitag, den 30. September 2005.

  1. dobry den, der hass bricht los, weil Sie in der öffentlichkeit zurückschlagen. das finden alle furchtbar. ich habe auch noch nie AUF Ihrem blog gelesen, dass das jemand für ein super konzept hält. auch nicht unter denen, die Sie bis in den stil Ihrer kommentare hinein, ja, bis in Ihre zeichensetzung kopieren, wenn man das mal anmerken darf. was nützen nur immer diese nichtssagenden mutmacher-kommentare?
    ich weiß gar nicht, was an diesem öffentlichkeitsproblem so schwer zu verstehen ist. gerade in zeiten des internets muss man doch sein privates und berufliches leben mit zähnen und klauen verteidigen gegen die übergriffe von personen aus dem netz. Ihr poetologisches konzept fällt doch nicht damit! man kann das doch einfach lassen, das ist doch nicht so wichtig!
    und ich wünschte, Sie würden noch noch an einem anderen buch als an argo schreiben, aber da wiederhole ich mich ja a u c h … wie wäre es mit zweigleisig fahren? ich würde wirklich gern wieder was Neues von Ihnen lesen.
    *schlägt vor
    schöne grüße aus prag,
    anobella
    **hängt sich mal wieder raus
    **hat leider kein geld übrig, sondern auch höllenpost von der ksk bekommen; ist zwei jahre nicht verrentet
    ***können Sie nicht in polen über die grenze wohnen? ich gebe hier fast nichts aus.

    1. Ich schlage in der Öffentlichkeit zurück, weil ich in der Öffentlichkeit angegriffen werde. Das ist Auge um Zahn – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ich blicke auf fast dreißig Jahre einer furchtbaren Ausgrenzungsgeschichte zurück. Deshalb ist es Z e i t, daß die Namen genannt werden, damit endlich a n g e k l a g t werden kann. (Ich bin nicht der einzige, den so ein Schicksal traf; auch Gerd-Peter Eigner, einer der g r o ß e n Romanciers, gehört dazu und Paulus Böhmer, der vielleicht wichtigste deutschsprachige Gegenwartslyriker. Sowie weitere. Ich könnte Listen füllen. Die genannten beiden haben allerdings wie viele der anderen die Tendenz, sich zurückzuziehen. Ich meinerseits glaube, daß Rückzug nichts anderes als ein sich-Ergeben ist; er gibt dem Gegner letztlich recht. Etwas anderes wäre es, wär man, wie etwa Beckett war, berühmt. Dann wäre ein Kampf allerdings obsolet.)

      Nein, an etwas anderem als ARGO k a n n ich nicht schreiben, da ARGOmein Hauptwerk abschließen wird. Ich w i l l auch dieses Kleinklein nicht mitmachen, es geht hier um ein poetologisches Konzept, das, so weit ich das überschaue, im deutschsprachigen Raum das einzige ist, das einen tatsächlichen der Gegenwart angemessenen Realismus entwickelt. In den USA tat das Pynchon mit Gravity’s Rainbow für die nicht-kybernetische Moderne; ANDERSWELT setzt sich auf die kybernetische Realität, das heißt: auf einen neuen Mythos, der Alltagsrealität, historische Realität und kybernetische Realität miteinander zu verklammern und ineinanderzuspiegeln versucht. Ich verstehe eigentlich nicht, welches Problem Sie damit haben.

    2. @ Anobella Sie sollten die Kommentare auf diesem Blog schon etwas genauer lesen. Da gibt es einige, die sich mit ANH’s “Konzept” intensiv und kritisch auseinandersetzen.
      Nichtssagend mögen Sie für Sie sein.
      Und es gibt andere Formen, Mut zu machen, als über die Kommentarfunktion. Das ist oft ein sehr persönlicher Ausdruck von Wertschätzung, der sich nicht an die Öffentlichkeit, sondern an eine ganz bestimmte Person wendet.

    3. Nun für anobella speziell: noch ein Nachtrag. Es gibt von mir derzeit fünfzehn Bücher am Markt; ich denke, ganz unabhängig von ARGO, wird da doch etwas dabei sein, daß Ihnen mehr zusagt als das Anderswelt-Projekt. Insofern muß ich doch nun wirklich nicht noch etwas Zusätzliches “neben” ARGO schreiben – und neben Der Dschungel und den ja ebenfalls ständig entstehenden theoretischen sowie den Funk-Arbeiten. Ich arbeite ohnedies schon an sehr sehr Verschiedenem simultan.
      Meinen Sie nicht?

    4. Die Hunnen stehen vor dem Tor
      Man kommt sich schon ganz böse vor
      Kritik ist immer Freundeshand
      der Joint raucht für das Vaterland
      den Ochsen reiten lyrisch alle
      hinein in jede Lobesfalle
      chinesisch hieße: warten muss
      bis alles anbringt
      großer Fluss.

      [Den tw. Konsens mit Annobella kann mensch auf hiesigem Blog in einer Vielzahl Kommentaren nachlesen. Bezüglich des Rückzugs: Dieser m u s s nicht zwingend ein Aufgeben sein; um es ganz vulgär zu sagen: Entweder “man macht sein Ding” oder eben nicht. Unabhängig werden bedeutet vor allem d a s. Nicht: Gleichgültig sein, sondern auf eine warme, schon fast nachsichtige Weise über dem stehen, was blockiert – auch im Inneren.
      Ich will auf gar keinen Fall leugnen, dass eine existentielle Bedrohung eben an diesem, dem Existentiellen, nagt – andererseits gehörte das schon immer zu Genius; um mit Mozart zu sprechen: “Es ist der Mob der den Genius zerstört” (was an ihm auch statuierte, vielleicht gab er auf)]

    5. gerd peter eigner habe ich übrigens jetzt hier “lichterfahrt mit gesualdo”.
      es ist ja nicht so, dass ich mir nichts empfehlen lasse.
      ein roman ganz nach meinem geschmack. 😉
      herrgottgut, schreiben Sie argo, von dem Sie selbst sagen, dass es wohl nur auf den dschungeln stehen wird. dann treffen Sie eben auch selbst eine wahl. ich wüsste nicht, was dagegen spricht, in einer existentiell schwierigen situation einen weiteren griffigen roman zu schreiben (es bereitet mir in der zwischenzeit ein gewisses vergnügen, mich hier mit plakativen formulierungen hervorzutun), ja, Sie machen Ihr ding, ja; aber man bricht sich auch nichts ab, mal einen gang aus einer fortlaufenden auseinandersetzung rauszunehmen. das ist so ein macho-überheroisches-ich-ordne-mich-niemandem-unter-ding: ja. und dauernd beklatscht hier. anh, der einzige, der dem literaturbetrieb die stirn bietet. es ist ein legitimer standpunkt, davon genervt zu sein, wenn man sich im internet mit klarnamen und mailwechseln und konfrontationen, die nicht für hinz und kunz zum nachlesen gedacht waren, wiedersieht. das schadet allen. ich wüsste keinen, dem es nicht schadete, egal in welcher funktion. verlag, lektor, rezensent, autor.
      okayokay, ich halte ja schon wieder die klappe.
      Sie können mich gern als muster für eine auseinandersetzung nehmen, das macht mir nichts … das riskiere ich, wenn ich mich hier melde und nicht Ihrer meinung bin.
      @anobella klingt schon weniger. kopiert.
      annobella, liebe source, heißt übrigens vor dem krieg oder so ähnlich. Sie nähern sich damit allerdings wieder dem namen meiner puppe annabelle an, die meine avatar-namensgeberin ist.
      anobella
      *zu privat?

    6. Was dagegen steht. “was dagegen spricht, in einer existentiell schwierigen situation einen weiteren griffigen roman zu schreiben”

      1. Die Korruption. Man läßt sich von der existentiellen Situation, d.h.: von anderen, korrumpieren, etwas zu tun, das man nicht tun w i l l. Es wäre ein Verrat.
      2. Ich stamme aus einer Nazi-Familie, die sich immer angepaßt hat. Mir ist beigebracht worden, so etwas nie wieder zu tun. Diejenigen,die es mir beigebracht und die es mit mir gelernt haben, es nicht zu tun, h a b e n sich jetzt angepaßt. Für mich gehört das unmittelbar in die Anfälligkeit für das Nazitum. Es waren alles offenbar Lippenbekenntnisse. Dem werde ich mich nicht anschließen.Ob Sie das für einen Machismo halten oder nicht. (Wenn Anpassung=Nicht-Machismo ist, dann bin ich mit Liebe und Leidenschaft Macho.)
      3.Wenn ich schrieb, ARGO werde möglicherweise n u r hier stehen, dann meinte ich zum einen nicht Die Dschungel (darin stehen nur Auzüge), sondern das Netz, und zum anderen: zu meinen Lebzeiten. Ich bin mir sehr sehr sicher, daß, sowie ich nur erst abgelebt bin, dieselben Leute, die meine Arbeit heute bis aufs Blut bekämpfen, sie danach in alle Himmel heben werden. Ableben werde ich aber frühestens mit dem Ende von ARGO – vorher würde bedeuten, daß mein Werk untergeht, weil es nicht abgeschlossen ist. Danach allerdings… ich weiß nicht,was ich tun werde, denn ich habe ja ein Kind, das ich liebe und dem ich verpflichtet bin. Aber was hat dieses Kind von einem Vater, der in die Knie geht? Dann besser, vielleicht, k e i n Vater. Ich habe derzeit keine Ahnung. Nur eines weiß ich: ARGO werde ich beenden müssen.
      4.Im übrigen, was heißt das: “die nicht für hinz und kunz zum nachlesen gedacht waren”? Es war selbstverständlich auch nicht für Hinz und Kunz gedacht, daß u.a. Goethe Kleist in den Selbstmord trieb. Es ist aber gut, das zu wissen; ebenso, wie das Verhältnis von Adorno zu Benjamin, der ebenfalls so umkam, zu wissen. Wenn jemand ein Werk wegtritt, dann muß er dafür auch gerade stehen, mit Namen und Adresse und seinem Herzen; tut er es nicht, übt er Machtmißbrauch aus. Und hat sich vor der Literaturgeschichte zu verantworten. Wenn Berg von Hoffmann & Campe meinem Verleger über das verbotene Buch privat mitteilt, er finde es großartig, öffentlich aber in der Welt dasselbe Buch niedermacht, dann gehört so etwas tatsächlich in die Öffentlichkeit. Daß andere Autoren in solchen Fällen kuschen, weil sie A n g s t haben, ist zu verstehen; aber wer auf diese Angst hört, perpetuiert die Dynamik. Ich bin tatsächlich fest davon überzeugt, daß diese heimlichen Wegtretereien innigst mit denselben Strukturen verwandt sind, die den Hitler-Faschismus möglich gemacht haben, Wohlgemerkt, sie s i n d nicht faschistisch, aber sie bereiten dem Faschismus den Boden. J e d e Form von Anpassung gegen die eigene Überzeugung bereitet ihm den Boden; es ist immer ein Anschluß. Daß das aus einer Ribbentrop-Perspektive gesagt ist, ist klar; meine Empfindlichkeit gründet sich auf tiefer Erfahrung.

    7. Und noch eines @ anobella: “anh, der einzige, der dem literaturbetrieb die stirn bietet. ” Ja und? Was wäre daran ehrenrührig? Daß die anderen sich nicht trauen? Daß die anderen glauben, es sei vornehmer, sich zurückzuhalten? (Sie glauben das nicht, sondern sie sind schlicht feige – und zwar mit guten Gründen.) Als Karl Krauss mit der Fackel begann, kamen ganz dieselben Argumente, es ist wirklich zum Kotzen. Von “der hat es wohl nötig” bis zu “der ist eben nicht angekommen und will sich rächen”. Unterm Strich gibt es aber keinen, der das ‘Wesen’ der Feuilletonage derart scharf durchschaute und darstellte wie er. Was damals geschrieben wurde, gilt auch noch heute… schauen Sie sich nur die SPIEGEL-Berichterstattung zu Anfang der Irak-Intervention und von heute an… – und jetzt wollen Sie das allen Ernstes gegen m i c h auffahren, bloß weil es Ihnen nicht gefällt, daß einer sagt, daß im Kapitalismus der Schutz der Privaten immer zugleich ein Schutz der kriegerischen und menschenvernichtenden Interessen ist? Denken Sie bitte einmal nach, wie die Gesellschaftsform gerartet ist, in der Sie und wir alle leben und von der diejenigen, die ich attackiere, auf das aktivste schmarotzen!

    8. Anpassung Ich gebe Ihnen Recht! Was das Schleichen der Anpassung in nahezu allen Bereichen öffentlichen und nichtöffentlichen Lebens betrifft. Das dies sehr gefährlich ist und Strömungen den Boden bereitet, die durchaus mit dem Faschismus unserere Vergangenheit vergleichbar sind. Ich arbeite in der Medienbranche und erlebe die Angepasstheit der Redaktionen und Autoren/Reporter. Die oberste moralische Instanz ist die Quote, der Marktanteil. Ein höhreres Maß an Angepasstheit in dieser Branche kann es kaum geben. Das ist VERWERFLICH! Meinerseits werde ich alles daran tun, ein störendes Sandkorn in diesem Getriebe zu sein.

      Ich war zwar an anderer Stelle in Ihrem Blog irritiert über Ihren Schreibstil, jedoch übte ich keine Kritik über das, WAS Sie schreiben. Als Leser werde ich ja nicht gezwungen zu lesen, ich kann das Buch jederzeit weglegen, die Webseite jederzeit wegklicken.

      Als jemand, der die Friedensbewegung in den siebzigern des letzten Jahrhunderts mitbegleitet hat, als jemand, der stolz darauf ist, leibhaftig der staatlichen Übermacht bei Demonstrationen die Stirn geboten zu haben und dafür auch mit allem was man ist eingestanden hat, bin ich wie Sie, Herr Herbst, sehr sensibel, was solche negativen Veränderungen in der Gesellschaft betrifft. Jüngere unter uns werden dies kaum nachvollziehen können. Die Pokemon-Generation wird auf Gleichklang gedrillt. In Zeiten wie diesen fällt das auch nicht schwer. Erinnert ein wenig an die Zeit v o r der Hitler-Diktatur. Die Arbeitslosenzahlen sind an diese Zeit angeglichen, die Stimmung in der Gesellschaft ist es fast schon. Den einzigen Unterschied erkenne ich noch im KONSUM. Noch ist diese Gesellschaft nicht so arm, das Menschen hungernd auf der Straße herumirren.

      Das Sie als Schriftsteller – wie andere auch – für Ihren Lebensunterhalt sorgen müssen, ist klar. Jetzt stelle ich einmal eine sehr naive Frage: in Ihrer Vita las ich nach, dass Sie einst Broker waren. Gibt es keine Möglichkeit, neben Ihrer literarischen Tätigkeit eine solche Arbeit wieder aufzunehmen? Das wäre für Sie als Schutz ja auch sehr dienlich, würde Sie vielleicht weniger emotional/persönlich angreifbar machen?

      Der Thetis-Roman kam gestern mit der Post an. An anderer Stelle werde ich die ein-zwei Zeilen in einigen Wochen dazu absondern. Hoffentlich sind Sie dann noch im Netz erreichbar!

      Denken Sie als Schriftsteller daran: Sie stehen Ihren Lesern in der Schuld. Der Leser sucht Sie aus um Sie zu lesen, nicht der Verleger oder der Kritiker. Die letzteren können zwar verhindern oder stören. Zum Schluß entscheidet aber immer der Leser!

    9. Och jo, so weit kommts noch. Wir sind auf dem besten Weg in den Faschismus, wenn man sich die derzeitige Angepasstheit im Literaturbetrieb betrachtet. Sie ohrfeigen die Opfer mit Ihren verqueren “Reminszenzen”, meine Herren. Unsere Generation hat nicht die leiseste Ahnung vom Faschismus. Wir haben Ahnung vom Terrorismus, von der RAF und von islamischen Terroristen. Reden wir doch lieber darüber. Oder reden wir einfach nur von heute, ohne Dinge aus dem Dritten Reich reinzurühren, von denen wir keine Ahnung haben.
      Ich maße mir jedenfalls nicht an, zu wissen, was “Faschismus unserer Vergangenheit” bedeutet. Das war über alle Maßen entsetzlich, braucht hier nicht ausgebreitet werden und sollte niemals auch nur im Ansatz mit unseren -Ihren und meinen – Wohlstandszipperlein gleichgesetzt werden.

    10. Gewöhnten Sie sich, Anobella, an, etwas genauer zu lesen. Dann. Hätten Sie sich nicht in diese (auffällige, finde ich) Rage begeben müssen. Ich habe deutlich formuliert, es handele sich n i ch t um Faschismus, aber um psychische Strukturen, die zumindest jenen analog sind, die ihn ermöglicht haben. J e d e Form der Anpassung ans als ungut Begriffene hat ein Teil an diesen Strukturen – übrigens auch jede Form der Befehls- und Verbotsakzeptanz, wofern ein Befehl und Verbot nicht expressis verbis begründet sind und/oder werden.

      Daß S i e keine Ahnung vom Faschismus haben, sei dahingestellt; ich meinerseits bin seit frührster Kindheit über meine Familie und meinen Namen mit ihm auch sanktionierend konfrontiert worden, ob ich das wollte oder nicht. Insofern spreche ich möglicherweise tatsächlich über etwas, das Ihnen und vielen anderen verschlossen sein muß.

      Ein Opfer k a n n man nicht ohrfeigen, jedenfalls keines des Faschismus. Diese Opfer sind tot. Und Ihr Argument, Anobella, ist ebendas gutgewissige Totschlagargument, mit dem man sich namentlich in Deutschland um genau die Form der Vergangenheitsbewältigung herumgedrückt hat, die man in ihr zu vollziehen vorgab.

      [Hätte sich nicht der größte Teil der Deutschen seinerzeit von Hitler ökonomische Vorteile versprochen, wäre es zu einem derart weitreichenen Verrat an den moralischen Werten möglicherweise gar nicht gekommen; aber man war im Innersten korrupt und deshalb zu jeder Form des Anschlusses bereit. D a sehe ich die Parallelen der Strukturen, im Korrumpierbaren nämlich.]

    11. DAS thema bringt mich auch in rage ich bin auch in meiner familie immer mit dem faschismus konfrontiert gewesen, aber ich habe ihn genausowenig wie Sie erlebt. vielleicht gibt es ostleser auf den dschungeln und die können mit der ddr und der stasi vergleichen. aber auch das haut wohl nicht ganz hin …
      Sie machen einen fetisch aus der korruption. wir sind doch alle korrupt.
      alle schweine in der jauche (kafka). das hat doch etwas ausgesprochen tröstliches. das böse ist nicht außer uns (wir ihr opfer), sondern in uns. und dass Sie selbst gut austeilen können, zeigen Sie doch immer wieder. ich tippe also auf wechselwirkung.
      Sie werden sich alle gegenseitig fürchterlich auf die nerven gehen, nur führen Sie ein weblog.
      die RAF strapazierte die nerven der diensthabenden beamten übrigens damit, dass sie kriegsgefangene seien. gaben mit dieser selbststilisierung bis zuletzt die helden auf der bühne … 😉
      dobranoc, anobella

    12. “wir sind doch alle korrupt.” Nein, ich bin es nicht und war es nie.

      “Wir sind doch alle korrput.” Dieser Satz gehört ins Credo insbesondere meiner Mutter, die heute den frühen Tod meines Bruders mit sich auszumachen hat (aber “wußten Sie, daß sein Vater auf der Naopola war?” sagte sie stolz bei der Beerdigung 1997 zu seinem militärbegeisterten Chef). Mit diesem Satz wäscht sich also der Kleinmut rein. Ich bekomme das ekligste Kotzen, das Sie sich nur vorstellen können, wenn ich so etwas lese. – Nein, es tut mir sehr leid, wir sind offenbar verschieden: ich bin tatsächlich nicht korrupt. Falls jemand anderer Meinung ist, möge sie mir belegt werden.

      Und was die RAF anbelangt, so hat ihr Beharren auf dem Kriegsgefangenenstatus – an dem aus ihrer Sicht tatsächlich etwas war (heute, nach der Afghanistan-Intervention, scheint die Haltung übrigens völkerrechtliche Legitimität bekommen zu haben) – offensichtlich gerechtfertigt, die Leute im Gefängnis zu ermorden. Interessant, daß Ihnen dagegen die 500000 irakischen umgekommenen Kinder offenbar ganz egal sind, die sich kürzlich die USA auf den moralischen Glückskodex geschrieben haben und die von einem Ungeheuer namens Albright als notwendig gerechtfertigt worden sind. Dagegen scheinen mir die Morde der RAF geradezu marginal gewesen zu sein.

      “dass Sie selbst gut austeilen können, zeigen Sie doch immer wieder”: Wie ich es schrieb, ich r e a gi e r e. Das scheint Ihnen aber nicht einzugehen. Nein, eben k e i n e Wechselwirkung. Ich wurde geschlagen und schlug zurück. So einfach ist das. Und ich klage nicht. Sondern klage a n. Auch d a s ist ein Unterschied.

    13. @ anobella: “Unsere Generation hat nicht die leiseste Ahnung vom Faschismus.”

      Das glaube ich gern. Denn die meisten (nicht alle!) aus unserer Generation haben noch nicht kapiert, was ANH und auch ich frühzeitig haben begreifen müssen: daß der Faschismus nicht erst beginnt, wenn er sich als politische Strömung und schließlich als Regime etabliert. Wäre Hitler ohne aktive und passive Unterstützung, also ohne Korruption und Mitläufertum, der große Diktator geworden? Nein.

      Anstatt hier lang & breit zu argumentieren, verweise ich auf Klaus Theweleits Männerphantasien sowie auf Victor Klemperers Tagebücher. Hier kann jeder aus unserer Generation zu ahnen beginnen, was es mit dem Faschismus und den Strukturen, von denen ANH und ich imer wieder sprechen, auf sich hat. Wer (so wie ich) als Intellektueller jemals länger in einer ‘normalen’ Firma gearbeitet hat, weiß es ohnehin. Aus Erfahrung habe ich mal gesagt: Faschismus ist Mobbing als System. Vgl. Klemperer. Und: An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen. Vgl. Karl Kraus, aber auch Klemperers Buch LTI. Vgl. schließlich diesen Text über die gegenwärtige Deutschland-Erweckungskampagne.

      Wer sagt, wir alle seien korrupt, arbeitet bereits (ohne es zu wollen, jaja) denen in die Hände, die uns korrumpieren möchten. Es sind die eiskalten neoliberalen Damen & Herren, die da finden, unsere Demokratie sei nicht mehr bezahlbar.

    14. @hweblog Sie erinnern mich an barbra streisand, die einem passanten “faschist” hinterherruft, weil er ihr flugblatt zum vietnam-krieg nicht lesen will.

    15. Herzlich @anobella: *ANH lacht auf… … und weiß bei aller Meinungsverschiedenheit eine gute Replik ausgesprochen zu genießen.*

      @hweblog: D e r Punkt gehört Anobella, find ich. *Lacht immer noch.*

    16. Gesellschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklunge brauchen ja ihre Zeit, sie kommen nicht plötzlich daher. Selbst eine Revolution oder ein Putsch braucht seine Entwicklung, eine Vorlaufzeit. Bei Dreharbeiten für einen aktuellen Bericht muß ich mitunter einen meiner Autorenkollegen fragen, ob er gerade Alzheimer hatte, da er frühere Entwicklungen, die zu einem Ereignis führten entweder nicht kennt, oder bewußt außer Acht läßt. Solche Leute erschaffen dann aber für das breite Publikum die Welt, die Realität neu. Und die nehmen das dann für bare Münze, glauben das gesehene/gehörte meist ungeprüft. Quote und Marktanteil sorgen dann für Themenauswahl und Wahrheitsgehalt, für Rhythmus und Tonart eines Beitrags.
      Die Medien bestimmen zunehmend, wass wir denken, was wir einkaufen, wie wir uns kleiden und uns verhalten. Ist eine Binsenweisheit, aber immerhin.
      Ich würde mir nicht anmaßen zu behaupten, dass wir Gefahr laufen dorthin zurückzukehren, wo wir 1933-1945 waren. Jedoch finden die Veränderungen in unseren Köpfen feiner strukturiert und psychologisch ausgeklügelter statt. Es müssen nicht die braunen Horden sein, die marodierend über Leipziger Straßen marschieren, die uns beunruhigen sollen. Die kriegen wir schon mit medial wirksamen Gegendemos in den Griff. Vielmehr sind es die eigenen Ressentiments in unseren Köpfen und die politisch gesteuerte Polarisierung der Gesellschaft, die uns zu denken geben sollte. So etwas geschieht schleichend, ertappt uns manchmal im Gespräch, wird von Medien geschürt, der Quote wegen, läßt sich ja auch gut als Titelzeile auf der ersten Seite der BILD-Zeitung verkaufen.
      Es ist übrigens immer schwieriger zu opponieren, als sich aus Eigennutz anzupassen. Um zum eigentlichen Grund der Kommentierung zurückzukommen: das ANH gegen Strömungen im Literaturbetrieb opponiert, ist sein gutes Recht. Momentan gibt es noch genügend Verlage, die seine Bücher veröffentlichen würden (meine Einschätzung). Etwas auch im Klartext öffentlich zu machen, erscheint mir kein Frevel, vorausgesetzt, die Auseinandersetzung hat öffentlich begonnen (meine Meinung). Dabei sehe ich aber auch Grenzen, wenn es um rein privates geht. Diese Grenzen sollte man beachten und genau prüfen, ob man diese überschreiten soll.

    17. Noch etwas @ anobella:

      Früher sah ich tatsächlich n büschen wie die Streisand aus, und zwar wie die Streisand in Yentl, hat man mir öfter gesagt. Fand ich gut.

      @ Stromberg:

      “Ich würde mir nicht anmaßen zu behaupten, dass wir Gefahr laufen dorthin zurückzukehren, wo wir 1933-1945 waren.”

      Das zu behaupten wäre auch dumm, weil sich die Geschichte nie 1:1 wiederholt. Dementsprechend kann Antifaschismus heute nicht bedeuten, die Gefahr darin zu sehen, daß es in einem Lande wie unserem einen neuen Hitler und neue SA-Horden geben könnte, die uns in Schach halten müßten. Es gibt ja schließlich die Massenmedien, die dafür sorgen, daß die allermeisten Leute ihren Hitler im Kopf haben und diejenigen, die noch klar denken können, dem System nicht mehr gefährlich werden, sondern ihm hohe Einschaltquoten und Verkaufszahlen bescheren. Alles ist zur Ware verkommen, auch die politische Opposition. Inmitten des allgemeinen Geplappers à la Christiansen bleibt sie wirkungslos – aber eben nicht ganz. Aus diesem Grunde auch werden wir nun der Kampagne Du bist Deutschland ausgesetzt. Ist es ein Zufall, daß dieser Versuch einer nie dagewesenen NLP-Gehirnwäsche just zu jenem Zeitpunkt geplant wurde, da sich die Gründung einer neuen Linkspartei anbahnte, nämlich im Frühjahr 2005? Mit Sicherheit nicht.

      Und was ANH betrifft: Ja, noch gibt es wohl genügend Verlage, die seine Bücher und diejenigen anderer unangepaßter Autoren veröffentlichen. Doch wer weiß von diesen Büchern? Was im Bewußtsein der Menschen nicht präsent ist, existiert nicht.
      Und ob ANH in diesem Blog Grenzen überschreitet oder nicht, interessiert ebensowenig. Denn, wie heißt es heute so schön bei Spon? – : “Potterwetter” sorgt für Rekordverkäufe. Das Potterwetter ist das Reichsparteitagswetter der Bewußtseinsindustrie.

    18. Zustimmung @hweblog:
      Sie schrieben:
      “Ja, noch gibt es wohl genügend Verlage, die seine Bücher und diejenigen anderer unangepaßter Autoren veröffentlichen. Doch wer weiß von diesen Büchern? Was im Bewußtsein der Menschen nicht präsent ist, existiert nicht.”

      Ich denke, daß jedes veröffentlichte Buch seinen Leser finden kann. Und umgekehrt. Bis vor kurzem wußte ich von ANH nichts. Obwohl meinereiner als Leseratte bezeichnet werden darf. Durch Zufälle des Internets wurde ich auf ANH aufmerksam und las ein wenig in seinem Weblog. Ich muß gestehen, daß ich als Internetgeringnutzer nicht einmal wußte, was ein Weblog ist. Beim herumstöbern in seinen Einträgen wurde mir die merkwürdig barocke Sprache und der Hang zu Satzverschachtelung bewußt. Ich erlaubte mir eine Antwort abzugeben. Hr. Herbst nahm mich als Leser ernst und schrieb zurück. Jetzt stehen drei Bücher von ihm im Schrank und eines davon wird gerade gelesen – mit Vergnügen übrigens, man kann sich an jeden Stil gewöhnen. Da man über Autoren und Bücher im Privaten gerne spricht, entsteht daraus eine Mundpropaganda usw.

      Eigentlich ist es aber die Verantwortung des Verlages, für geeignete Werbung zu sorgen. Der neue Potter oder Frau Allendes Zorro fallen überall auf, schreien von Plakatwänden herunter. Den Herbst muß man im Buchhandel suchen und meist findet man ihn nur im Antiquariat. Eigentlich eine Schande.

      Vielleicht bietet das Internet ja eine Chance. Sollten sich diese Einzelkämpfer unter den Autoren nicht zusammenschließen, sich organisieren, eine Buch-Revolution anführen? Unter Künstlern und Filmemachern gab es so etwas ja schon mehrfach: Oberhausen, Nouvelle Vague, Sundance, die surrealistische Bewegung usw.
      Das man mit Hilfe des Internets einen hohen Bekanntheitsgrad erlangen kann, beweist z.B. der Film “The Blair Witch Project” – unabhängig von seiner Qualität.
      Irgendwie muß es gelingen den Potters etwas anderes, neues, vielleicht besseres entgegenzuhalten.

    19. “Irgendwie muß es gelingen den Potters etwas anderes, neues, vielleicht besseres entgegenzuhalten.”

      Es gelingt doch. Nur Qualität und Kunst haben mit dem Literaturmarkt nichts zu tun; der Literaturbetrieb ist kein Qualitätsmarkt (er war es vielleicht zu Zeiten der großen, pädagogischen Verleger), sondern ein “Käufermarkt” – und damit der Masse hingegeben. Ein Skandal wäre es innerhalb der Logik des Betriebes, die Chance auf gute Verkäufe lediglich auf Grund persönlicher Animositäten zu verschenken – Persönliches hat in der Maschinerie nichts zu suchen, in der es lediglich um Quartalszahlen geht.
      Aber da wäre ja noch die Lust an der Macht, diese von jeder Rationalität abgekoppelte Demonstration von Entscheidung angesichts eigener Unsicherheiten, die nur ein “Innen” und “Außen” kennt; und sich dem Rudel verschreibt. Es ist erschreckend, wie wenig Spiel die Mechanik der Begierde zulässt.

    20. Entgegenhalten kann man vieles; und es wird ja auch getan. Doch wird es so wahrgenommen wie die sog. Gegenkultur der 60er Jahre? Nein. Denn inzwischen haben wir ja einerseits einen Medienverbund aus Presse, Radio & TV, der so gut wie gleichgeschaltet ist, und andererseits die sog. Neue Unübersichtlichkeit. Oberhausen etc. waren Ausdruck einer Jugendbewegung, in der bestimmte Dinge noch als verbindlich galten; siehe Kursbuch, “Suhrkamp-Kultur” und auch das, was die Pop-Kultur einst war. Die Fronten schienen klar erkennbar zu sein. Damit war schon um 1970 Schluß, als auch Banker Blümchenkrawatten, Bärte und lange Haare zu tragen begannen. Und seit dem Fall des sog. Eisernen Vorhangs … wir wissen.

      Aber nicht nur die äußeren Umstände haben sich verändert, sondern auch die Menschen. Zumal die Autoren sind, wie es mir scheinen will, so narzißtisch wie nie: was auch damit zusammenhängt, daß es allein in Deutschland ca. 1000 Literaturpreise gibt. Also gilt: Never bite the hand that feeds. Man schreibt fürs Geld und daher so unverbindlich & so platt, daß man es sich mit keiner Jury verdirbt. Waren sich die Autoren früher noch darin einig, daß jeder Rezensent ein potentieller
      Lump sei, so sind sie sich heute darin einig, daß jeder andere Autor ein Konkurrent ist, den man mit allen Mitteln austricksen muß. Die meisten Autoren gebärden sich schon lange wie übereifrige Schüler, die darauf warten, daß der Lehrer ihnen die Aufsatzthemen vorgibt, und von denen jeder in der ersten Reihe (= Berlin, Leipzig) zu sitzen und so zu schreiben versucht, daß er als einziger eine 1 bekommt. Und die andern? Sie spielen auf diese oder jene Weise den Klassenkasper.

    21. @hweblog das passt ja, wenn Sie aussehen wie barbra streisand, denn ich habe die körpersprache von robert redford und bin ihm überhaupt wie aus dem gesicht geschnitten. und der hat in dem film, von dem ich rede (“the way we were”), einen kompromiss mit dem establishement gemacht, sprich die falsche geheiratet.

    22. Nach-Ende >Man schreibt fürs Geld und daher so unverbindlich & so platt,
      >daß man es sich mit keiner Jury verdirbt.

      Dass muss man, immerhin, auch können.

      Was mich eher stört: der *Anschein* des Verbindlichen und Erhabenen ist wichtiger als die eigentliche Substanz und differenzierte Ausarbeitung.
      Wenn schon die 70er herangezogen werden: der Inhalt war misstrauisch der Form gegenüber, danach wurde die Ästhetik über den Inhalt erhoben (in der Musik: auf den “ehrlichen” Folk folgten in den 80ern gegenteilige Experimente wie Laibach, The Residents).
      Die Inhalte wurden zu beliebigen, austauschbaren Zeichen, und auch die Form zu Zitat. Zwischen gandenlosem Subjektivismus und äußerst komplexer Differenzierung im Allgemeinen (Flusser, Beaudrillard, das Fraktale als letzte Metapher der Postmoderne, welche Philosophie kam danach?) gibt es keine Manifeste oder Ästhetiken mehr, die nicht einen “skandalösen” privaten Charakter trügen.

      …außer es geht über die eigene Person durch den Skandal hinaus (Ezra Pound, seine Inhaftierung in Pisa). Anders gesagt: der Skandal um ANHs verbotenes Buchliegt eine Überschreitung des Anstands und der Vernunft zu Grunde, die ein Ausweg ist – nicht im “Recht haben”, sondern in der Wirkung, die mit Big Brother und anderen Formaten zu konkurrieren *scheint* – es aber letztlich nicht tut, weil im Gegensatz zu BB eine “Entmassung” stattfindet.

      Mein Wunsch an ANH lediglich: diese Entmassung zu akzeptieren, also mit erhobenem Haupt auf den Literaturbetrieb zu pfeifen. Und auf die Rituale des Erhabenen, das eine Konstitution des Gewesenen bedeutet.

    23. @Erzengel. Das täte ich – Sie glauben nicht w i e gerne. Aber ich bin einerseits mit diesem Betrieb so eng verwoben wie der Revolutionär mit der Gesellschaftsform, gegen die er sich erhebt – das sehe ich sehr klar und es war auch ein ausgeprägter Gegenstand meiner nun zuende gehenden Psychoanalyse (nur als Hinweis: der Literaturbetrieb als die ‘gute’, d.h. vermißte Mutter; was echt nicht funktionieren kann; lacht). Zum anderen gibt es objektive Probleme, mich zu lösen, nämlich ökonomische. So habe ich das Problem, von meiner Arbeit leben zu müssen (und zu wollen), ohne mich an die Usancen anpassen zu wollen, ja sogar, indem ich mich gegen sie auflehne. Das ist ein objektiver Widerspruch. Der schon gegenüber meinen Eltern nicht gelöst worden ist und nicht gelöst werden konnte.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .