Lieber Herr Stromberg.

Ich danke Ihnen für >>>> Ihre Zeilen, auf die ich gerne nicht mehr im Rahmen der Tagebuch-Kommentare, sondern auf der Hauptseite Der Dschungel antworten will, weil das Thema eigentlich auch da, also h i e r hingehört. Andererseits gefällt mir freilich die Vermischung von privatem und öffentlichem Thema, wie es sich dort jetzt darstellt, außerordentlich, so daß ich gleichzeitig mit diesem offenen Brief dahin zurückverweise. Daß ich stark polarisiere, ist übrigens nichts Neues, auch wenn in letzter Zeit so getan wird, als hinge das eben mit meiner Vermischung von privat und öffentlich in diesem Literarischen Weblog zusammen; vielmehr ist d a s nunmehr ein offenbar geeigneter Vorwand, mich endgültig zur persona non grata zu stempeln: Man kann jetzt, da wider Erwarten auch der Prozeß um mein verbotenes Buch nicht genügt hat, weitere G r ü n d e vorzeigen, die auch bei mir ansonsten gewogenen Betrieblern ‚ziehen’. So daß es in Sachen Herbst zu einem allgemeinen Schulterschluß kommt, der freilich die Rechnung ohne das Internet und also ohne die Leser macht, die jetzt ganz unabhängig von den eingefahrenen Literaturbetriebsgleisen Kenntnis von meiner Arbeit erlangen und ihr, wie offenbar jetzt Sie, eine Lese- und vielleicht auch Erkenntnislust abgewinnen können, die man ihr offiziell so streitig machen will.

Tatsächlich habe ich meine und Leser überhaupt i m m e r ernst genommen, auch wenn mir der Ruf eines arroganten Mannes anhängt; ich habe den bewußt angenommen, da es sich gegen üble Nachrede wie gegen Spitznamen gar nicht anders wehren läßt, als wenn man so etwas per Affirmation unterläuft. Es möge der Spott, der sie trägt, zwischen den Zeilen sprechen;auf anderes ist eh kein Verlaß. Nur war ich eben nie jemand, der dem Leser nach dem Munde redete; schon gar nicht habe ich mir einbilden mögen, was für einen Leser denn nun verständlich sei und was nicht. Sie verstehen sicher: es geht zum Beispiel um die Frage längerer und auch komplexer Sätze. Es hat, wer schreibt, künstlerische Gründe, sich für dieses und/oder jenes zu entscheiden; künstlerische Gründe sind aber immer Zwänge: nämlich Notwendigkeiten. Künstlerische, wohlgemerkt, nicht solche der Zielgruppenorientiertheit. Meinerseits empfinde nämlich i c h es als arrogant, wenn Autoren (sowie Lektoren und Redakteure) meinen, sagen zu können oder gar zu müssen: „Das verstehen unsere Leser/Hörer nicht. Deshalb müssen wir im Niveau hinab.“ H i e r herrscht die Hoffart und nicht etwa bei einem Dichter, der sich alleine seiner Arbeit verpflichtet fühlt; das bedeutet nämlich a u c h und sehr viel mehr, den Leser zu ehren. Jede andere Haltung ist eine pädagogische; sie stellt sich ü b e r den Leser (die Leserin), da sie offenbar genau weiß, was ihm oder ihr zugemutet werden kann. Das entspricht einem Verhältnis von Lehrern zu Schülern und hat mit Gleichberechtigung nun gar nichts mehr zu tun; ich für meinen Teil empfinde das heute und empfand es bereits vor knapp dreißig Jahren als unerträglich übergriffig und sowieso als unangemessen: Ich lebte noch – ein sehr junger Schriftsteller – in Bremen und zog einige Zeit lang in Bremerhaven in eine Hafenkneipe, wo ich vor Arbeitern, die von der Löschschicht kamen, ungefähr zwischen zwei und vier Uhr nachts regelmäßig aus dem Ulysses vortrug. Diese sogenannten einfachen Leute haben das angeblich „zum Schreien schwierige“ (DIE ZEIT zur seinerzeitigen Neuübersetzung durch Hans Wollschläger) Buch erstaunlich gut begriffen; mir will heute noch scheinen: besser als einige intellektuelle Marktspieler. Und Joyce hat sich eben n i c h t an dem orientiert, was angeblich ein Leser vermag.

Ich grüße Sie unbekannterweise herzlich.
ANH

[Bei Brahms, Klavierkonzert Nr. 2.]

2 thoughts on “Lieber Herr Stromberg.

  1. Als Ex-Buchhändlerin kann ich aus über 13jähriger Verkaufspraxis bestätigen, daß das Publikum nicht halb so dumm ist wie oft behauptet. Und als Ex-Referendarin weiß ich, daß man Schüler nicht mit irgendwelchen spannändän Inhalten am besten für die Literatur gewinnt, sondern mittels Sprache. Das haben die amusischen Pädagogen bis heute nicht begriffen, obwohl man doch schon bei Säuglingen sehen kann, mit welcher Freude sie auf Verse reagieren, deren Inhalt ihnen noch völlig unverständlich ist.

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