Sonntag, der 9. Oktober 2005.

4.47 Uhr:
[Penderecki, Zweites Violinkonzert.]
Aus einem starken, aber bereits vergessenen TiefTraum hoch, latte macchiato neben mir; auf dem Schreibtisch liegen ein paar Scheine, die ein Leser schickte, damit ich die flatrate für Die Dschungel bezahlen kann; ich sollte dazu übergehen, Fremdwörter nicht mehr kursiv zu schreiben, sondern als organische Bestandteile der deutschen Sprache zu betrachten, und zwar auch dann, wenn sie es der Sache nach (noch) nicht sind: die Bewegung, gerade im Englischen, ist, daß sie es sein w e r d e n: Gerade das US-amerikanische Englisch übernimmt zunehmend Grundbegriffe und wirft die vorherigen Begriffe aus dem vor allem geschriebenen Spachschatz hinaus, etwa wird bereits auffällig oft ‚geöffnet’ durch ‚open’ ersetzt. Ich glaube mittlerweile, man kann sich solch einer Entwicklung nicht entgegenstellen, kaum sie hemmen; sie geschieht, ob man das will oder nicht. Da macht man besser mit, um den kleinen Einfluß, den man auf eine solche Dynamik noch hat oder haben könnte, nicht zu verlieren.
So, ARGO. Laufen werde ich heute nicht, weil im Café des Literaturhauses Fasanenstraße ein FrühstücksTeffen einiger Teilnehmer der Wetzlarer Phantastik-Tage stattfinden wird, zu dem ich gerne radeln möchte. Liefe ich danach noch, nähme das wahrscheinlich etwas zu viel Zeit von der Arbeit weg; aber mal sehen; vielleicht halte ich es ‚ohne’ ja nicht aus.

15.49 Uhr:
Zwei Symposion zur Fantastischen Kunst geplant, also die Planung angerissen: im Herbst 2006 in Frankfurt am Main, im Frühsommer 2007 in Hermannstadt/Ruämien, beide als Fortsetzung des Linzer Symposions von 2004 gedacht. Dann aus dem Literaturhauscafé zurückgeradelt und während der Fahrt das zwingende Bewußtsein gehabt, daß es ohne einen Job also jetzt nicht mehr geht. Aber was könnte ich machen? Und wozu habe ich Lust. Intellektuelles fällt aus, man wird mich in meinem Alter nicht mehr einstellen und im Literaturbetrieb schon gar nicht. Uni-Lehraufträge bringen nichts ein und sind ebenfalls eher von Jüngeren frequentiert. Also: Lust hätt ich auf körperliche Arbeit. Und sofort dachte ich: Ja, Fahrradkurier oder Fahrradtaxi… irgend etwas, das ich so an die Stelle des täglichen Sports setzen könnte, daß Zeit für die literarische Arbeit übrigbleibt. Aber, was ich ich recherchiert hab im Netz und immer weiterrecherchiere: Das sind selbständige Arbeiten, die obendrein als Gewerbe gelten. Auf Gewerbesteuer lass eich mich aber nicht mehr ein, ich habe noch von vor zehn Jahre aus der anfänglichen Brokerzeit Gewerbesteuerschulden, einfach weil ich mit dem buchhalterischen Procedere nicht klarkomme. Das würde nur neue Katastrophen auslösen. Alles was auch nur ungefähr mit Buchhaltung zu tun hat, muß ich ganz dringend meiden. Also dann d o c h wieder Hartz IV. S c h o n erbärmlich für jemanden, der ein solches literarisches Werk vorzuweisen hat. Egal. Wollte mich also bei der Agentur für Arbeit im Netz registrieren, aber das funktioniert nicht, weil ich dazu meine Sozialversicherungsnummer eingeben muß, die ich aber nicht weiß. Ich weiß auch nicht, wo ich sie finden könnte. Was meine Krankenkasse als Sozialversicherungsnummer angibt, wird vom Formular nicht akzeptiert. So steh ich… nee: sitz ich nun einigermaßen hilflos hier und weiß mal wieder nicht weiter. Vier Seiten ARGO, immerhin, hab ich heute früh geschrieben. Schriebe auch gerne noch weiter, aber muß mich um Geld kümmern. Und weiter nach einem Job recherchieren.

23.45 Uhr:
Der Tag klingt mit >>>> Brummstein aus, einer Novelle von Peter Adolphsen, über die ich gern eine Kleinigkeit schriebe.
NULLGRUND aus ARGO ist in den Horen erschienen, und soeben erreicht mich >>>> eine Rezension der NIEDERTRACHT DER MUSIK von Carsten Schwedes aus dem „titel-magazin“. Er konstatiert ein „Unbehagen des Autors an den eigenen Fiktionen“ aufrund einer Rückbindung ans „Triebhafte, Archaische“: das scheint mir nun mehr ein Unbehagen des Rezensenten zu sein, da mich selbst das Triebhafte und Archaische ja eher faszinieren und locken und ich ganz im Gegenteil von einem Unbehagen gegenüber den, sagen wir, geistigen Sublimationen erfaßt bin. Die ich nämlich für nicht selten lebensfeindliche Verdrängungen halte. Aber nun wohl. Es gäbe da einiges andere mehr zu sagen, auch zum Beispiel daß Pessoa seine Ideen bei Borges entlehnt usw. Doch immerhin: Ein Text, der sich einläßt. Und damit das Ohr zurück an den „Brummstein“ gelegt.

8 thoughts on “Sonntag, der 9. Oktober 2005.

    1. Nein, nein. Es handelt sich ja nicht um die gesamte Seite, sondern rein um diesen Sonntagsbeitrag. Unsere Kommentare beispielsweise erscheinen in gewohnter Schriftgröße. Ebenso Ihr Beitrag zu Sonnabend und früher.
      Seltsam. Aber auch nicht so enorm wichtig.
      Schönen Sonntag wünsch ich.

  1. Jobs, Jobs, Jobs Herr Herbst, Sie suchen eine Arbeit. Damit sind Sie weder der erste, noch der einzige unter dem Heer der deutschen und ausländischen Autoren, denen es so ergeht.
    Am ehesten würde Ihnen doch eine Arbeit stehen, bei der Sie sowohl gutes Geld verdienen, als auch einen Nutzen für Ihre Autorenschaft, Ihre Buchprojekte, ziehen können. Der körperliche Ansatz Ihrer Suche ist sicherlich interessant, verbinden Sie damit doch den Broterwerb mit einem sportlichen Nutzen. Dies erscheint mir jedoch nur wenig effizient. Mein Vorschlag: warum bieten Sie Sich nicht bei einem öffentlich-rechtlichen Lokalsender als Autor an? Mit Ihrer Reputation sollte es doch ein leichtes sein, dort eine freie Tätigkeit zu beginnen. Bei den zur Zeit geltenden Honorarsätzen würden Ihnen womöglich 4-5 Beiträge im Monat reichen, um recht bequem über die Runden zu kommen. Einen Gewerbeschein brauchen Sie dazu wohl nicht, da Sie – vermutlich so wie bei uns hier im WDR – auf Lohnsteuerkarte arbeiten, also scheinselbständig sind. Je nach Sendeschema könnten Sie Sich z.B. im Kulturteil der Lokalsendung breit machen. Originelle Beiträge könnten dabei entstehen. Sollte es an TV-Reporter-Erfahrung fehlen, so dürfte ich Sie beruhigen: bei uns sind Leute beschäftigt, die selbst nach über 10 Jahren noch nicht in der Lage sind, eigenständig Berichte zu erstellen. Bei Ihren Fähigkeiten bin ich gewiss, dass Sie mögliche Defizite in kürzester Zeit eingeholt haben. Nötigenfalls belegen Sie einen bezahlten Fortbildungskurs der IHK oder ein Sendereigenes Volontariat und legen dann los. Altersbarrieren sind mir persönlich in diesem Job nicht bekannt.
    Ein weiterer Vorteil dieser Tätigkeit ist, dass Sie mit ettlichen originellen Geschichten des Alltags konfrontiert werden. Das passt dann wieder zu Ihrer Buch-Autorentätigkeit. Sport können Sie immer noch nebenher betreiben.

    1. Auch das wurde bereits versucht. Es scheiterte fast immer an dem, was die Redakteure “für unsere Hörer unverständlich” nannten. Einen kleinen Eindruck möge Ihnen >>>> d i e s e s Posting vermitteln. Der Vorteil bei körperlicher Arbeit ist einfach der: Sie ist objektiv meßbar. Das hat etwas ungemein Beruhigendes. Bei Fragen der Verständlichkeit oder Unverständlichkeit ist hingegen immer enorm viel Meinen und Glauben im Spiel, und man muß sich dann, auch wenn man anderer Meinung ist, der falschen Macht beugen. Das ist nicht meine Sache. Dann schleppe ich lieber Säcke und kann b e w e i s e n, wenn ein Schiff gelöscht ist.

    2. Möge die Macht mit Ihnen sein… Tja, Luke, dann kann ich nur hoffen, dass Sie den Todesstern vernichten! 🙂
      BTW: natürlich hat körperliche Arbeit noch nie geschadet.

    3. Luke Skywalker ist durch meinen Sohn belegt. Den gibt er nimmer frei. Mir liegt Anakin sowieso mehr; der hat einfach einen besseren Geschmack, was Frauen anbelangt. Allerdings ist sein Schicksal auch dunkel (dark, ye know?).
      Doch da Sie, las ich eben, von TV sprachen… hm, das allerdings wäre neu.

      [Der Kampf um die vorgeblich mangelnde Verständlichkeit begleitet mich übrigens seit Jahren, und es waren seltsamerweise n i e Hörer, die sich diesbezüglich beschwerten, sondern immer Redakteure, die wissen zu müssen glaubten, was ein Hörer verstehe und was nicht. Manchmal nahm das die absurdesten Formen an: daß Leserbriefe kamen, die sich für einen Beitrag bedankten, stempelte mich bei manchen Redakteuren – durchaus nicht bei allen, das ist wahr – erst recht zu einem Elitären ab – so, als hätte ich solche Briefe eigens in Auftrag gegeben, um meine Position zu stärken. Jaja, so wird da bisweilen gedacht.]

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