Eine mir gewogene Rundfunk-Redakteurin schreibt soeben:
Lieber Herr Herbst,
meine ‚Sendepause‘ hat mehrere Gründe, u.a. wollte ich
eine Sitzung abwarten, auf der wir XXX-Redakteure
und -innen Grundsätzliches diskutiert haben. So auch die
Frage, auf welchem Niveau wollen wir senden und was
dürfen wir bei unseren Hörern voraussetzen. Danach sind
Sie – wie ja schon bei der einen oder anderen Sprach-
betrachtung angemerkt – einfach zu abgehoben und
kompliziert – jedenfalls fürs einmalige Hören im Radio.
Ich schreibe diese mail durchaus mit einem wehmütigen
Gefühl, weil ich – sowieso – derartiges nicht gerne schreibe
und weil ich zwar kurz, aber dennoch sehr gerne mit Ihnen
zusammengearbeitet habe. Vielleicht darf ich mich
unabhängig von der Rubrik ‚YYY‘ mal wieder
bei Ihnen mit der einen oder anderen Idee melden, dann
aber gezielt und speziell auf Sie zugeschnitten.
Mit Dank für Ihre Kollegialität
Es handelt sich um den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, wohlgemerkt.
vielleicht ist die tiefere botschaft dieser zeilen ja:
nicht so sehr in sich selbst wüten beim schreiben von texten, sondern auch immer wieder an das publikum denken:
welche sprache können sie aufnehmen, und welche nicht mehr. medial wird sich ein hochwissenschaftlicher text mit schwierigen satzbauten kaum verwenden lassen. den hörern oder lesern teils unbekanntes wortmaterial wirkt so, als wolle der schreiber gar nicht verstanden werden sondern sich selbst gefallen, auch wenn er das vielleicht gar nicht will.
das ist nur ein gedanke allgemeiner natur …
Mir ist das Problem schon klar. Aber es geht um Denkbewegungen in der Kunst, nicht um Pädagogik. Zu schreiben, wie der Leser verstehen könne, bedeutet immer auch: ü b e r dem Leser zu stehen, denn man gibt zu wissen vor, was e r wissen kann. Ja man legt den Leser sogar noch drauf fest und „erzieht“ ihn sozusagen aus der Bildung heraus. Genau das hat im Interesse der Ökonomie der letzten Jahrzehnte gelegen: Der Konsument s o l l gar nicht mehr auf der Höhe der Produktion sein, er s o l l die Maschinen, die er bedient, nicht verstehen. (Um das eben zu ergänzen: Dies ist fast die gegenteilige Absicht dessen, wovon anfangs des 20. Jahrhunderts die Arbeiter-Bildungsvereine getagen wurden, die ja auf die Höhe der Produktion bringen sollten. Damals war es nötig, die Maschinen zu verstehen, heute wäre ein solches Verständnis möglicherweise sogar kontraproduktiv – also aus der Perspektive des Arbeitgebers gesprochen, die nie und nimmer eine künstlerische sein kann… es aber plötzlich werden soll.)
Zielgruppenorientiertheit ist also nicht nur Arroganz, sondern vor allem Machtmittel.
Unterfordern ist das Problem Ich mach grad ‚Kreatives Schreiben‘ mit Hauptschülerinnen ‚auf der Schwäbischen Alb‘, Klasse 6 und 7. (Die Siebtklässlerin liest Bibel und schreibt Bücher ab, wenn ihr öde ist.)
Sagt vor Sitzung 1 die Lehreerin in Kenntnis meiner Planung: Das sind keine Realschüler.
Sagt vor Sitzung 2 die selbe: Die waren total begeistert.
(Gut, ich hab auch _etwas_ angepasst.)
Von Kurt Hahn (nicht: Otto), dem Reformpädagogen, stammt zudem die Sentenz, Man möge auch zulassen, dass Schüler scheitern. Das gilt ggf. eben auch für Leser…
Sonst passiert ja nix.
(Schön, dass das DSL wieder tut 😉 )
Ja, genau das meinte ich. Die Unterforderung von Lesern, bzw. Hörern geschieht mit Absicht, sie hat ein sehr klar definiertes Ziel. Elitär zu sein, schwierig zu sein, bedeutet insofern immer auch: Widerstand leisten, und zwar einen politischen. Sich im Niveau zu senken, damit man verstanden wird, ist insofern vollkommen affirmativ.
Vgl. dazu etwa Lezama Lima: Nur das Schwierige ist anregend; nur der Widerstand, der uns herausfordert, kann unser Erkenntnisvermögen geschmeidig krümmen, es wecken und in Gang halten. ( Die amerikanische Ausdruckswelt )
Absicht? Jein. Ein Schulbuch-Redakteur klagte mir jüngst sein Leid. Die Deutsch- und Lesebücher für die Unterstufe sollten erneuert werden und der Lektor schrieb ihm, dass sein Konzept dafür viel zu abgehoben sei und ein viel zu hohes Lerntempo voraussetze. Jetzt will der Verlag US-Lehrbücher „nachkochen“. Mglw. wird das in den ersten vier Jahren Versäumte nie mehr aufgeholt…