Mittwoch, der 14. Dezember 2005.

4.48 Uhr:
Wieder die Frau im Traum. Sie konnte die Erscheinung wechseln. „Was wollen Sie noch?“ fragte mich jemand. „Sie ist doch da.“ Aber ich riß mich los, stand auf, in der Küche erhitzt die PAVONI das Wasser, ich will mich von ARGO nicht abbringen lassen, auch nicht von ihr.

‚Konziliant’ ist das Wort, das mir gestern abend nicht einfiel: ‚im Tagebuch das Brodeln, für die Öffentlichkeit indes konziliant’. Wortfindungsstörungen und der Filmriß, wie ich denn mit dem danach gestohlenen Fahrrad zur Videothek gekommen sei.

Nachts um eins rief G. noch an, besorgt und verwundert, weil ich schon schlief, wie ich sagte. „Du schläfst wirklich?“ „Ja.“ „Und du gehst gleich wieder ins Bett?“ „Ja.“ „Dann soll ich jetzt nicht kommen?“ „Nein.“
Er kann ganz beruhigt sein. Ich darf das schwarze Licht keine Gewalt über meine Arbeitsstruktur bekommen lassen; also m u ß ich schlafen, da ich früh hochkommen will. Was ja gelang.

Das Problem heute morgen: Ich sitz gerade über einer humoristischen Stelle. *Lacht und schüttelt den inneren Kopf.

[Früh P.S.’t: Nachts Malapartes “Die Haut” zu lesen begonnen. Was eine Sprachkraft!]

5.47 Uhr:
Diese >>>> Mischung aus Selbstverständnis, Mißverständnis, Naivität, meiner eigenen Depressivität hier und, zugegeben, arroganten Klarheit dort – das S p i e l insgesamt, in das ich meine realen sehr desolaten Zustände werfe, wenn ich solche Korrespondenzen führe -, aus Gefecht und Erkenntnis gefällt mir, zumal jetzt auch Deters mitmischt, gut. Denn es z e i g t, was in Der Dschungel immer wieder behauptet wird, es stellt das sogar h e r. Und gibt später Material für DLZI. Jetzt warte ich noch auf Daniellos Spott. Wo s t e c k t dieser weanernde Thüringer bloß?

Die Depression spielerisch behandeln, als eine F i g u r behandeln, die man auf einem Schachbrett setzt. Nicht sie leugnen (verdrängen), sondern v e r w e n d e n. Das Leben als einen Roman betrachten (4) gibt einem, indem man sie erfindet, die Verfügungskraft zurück. Und gibt dem Leiden selbst einen R a n g, denn es hat jetzt – innerhalb des Romans – eine Funktion, auf die nicht verzichtet werden kann. Schon sieht es so aus, als hätte man sie inszeniert – auch für einen selbst sieht es so aus; das ist das Erleichternde, das Wohltuende daran. Man könnte von einem ‚Fremden Nahen’ sprechen, in das sich die Depression nun transponiert: Sie ist wie unter Glas und läßt sich, gleichsam entäußert und indem wir um sie herumgehen, von allen Seiten ansehn.

[Das Leben als Roman 3 <<<<]

7.24 Uhr:
ARGO läuft. So lange ich das Ding nicht fertighabe, besteht, liebe Leser, nicht w i r k l i c h Gefahr. Und meiner Erfahrung nach wird dann schon wieder ein n ä c h s t e s ‚Ding’ daran sein, mich irgendwie im Leben zu halten. Und, unter uns, ich bin es ja g e r n. Es tut nur manchmal verteufelt weh. Auf ab auf ab auf ab. Stimmungen. Und nie ein Dazwischen.

12.47 Uhr:

Weh! Weh!
Wär ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
Mittagsschlaf versucht. Keine Chance. Die neue schlimme Nachricht läßt mich nicht ruhen. Wie weit muß einer gehen, um nicht zu verraten, woran er glaubt? Darf einen Angst vor dem Gefängnis abhalten? Es dreht sich durch und durch. Wie ein Mehrfrontenkrieg ist das, worin ich mich fühle. Und wie dieser selbstverständlich nicht zu gewinnen. „Ihr Held wird untergehen“, schrieb mir vor ein paar Tagen ein Leser des verbotenen Buches, „aber Ihre Literatur wird bleiben.“ Man weiß da nicht, ob man sich freuen soll.
Muß gleich den gekürzten SWR-Text ausdrucken, in einer halben Stunde radle ich rüber ins Studio und werde richtiggehend lächeln (was übrigens jedesmal guttut, auch wenn es gar keinen Grund gibt).
Die Arbeit an ARGO ist zäh, wie uninspiriert… – stop, jetzt klingelt gerade der MittagsschlafWecker… ich war so optimistisch, einen zu stellen… – wie uninspiriert schrieb ich gerade, ja – aber schaue ich mir, was ich korrigierte, ein paar Stunden später an, dann ist das Ergebnis vortrefflich und als hätte ich selbst gar nichts zu schaffen damit. Seltsam. Direkt während der Arbeit bleibt einem Erfüllung vorenthalten; das ist anders geworden, das war, m e i n e ich, mich zu erinnern, früher bei mir anders. (Ich hab noch zwei ganze Lexotanil, aber hab es geschafft, sie seit Monaten nicht anzurühren; egal, was war. Und die zwei Monate ohne jeden Alkohol sind auch geschafft: Punkte fürs Ich.)

Nachtrag:
Eine ziemlich angenehme Lesung in der Georg-Büchner-Buchhandlung auf dem Prenzlauer Berg; Christian Kracht und Eckhart Nickel stellen Heft 6 ihrer Literaturzeitschrift >>>> Der Freund vor, worin sich diesmal, in einer von Kracht leicht gekürzten Form, auch ein Beitrag von mir befindet. Er war auf der fiktionären Website unter „Texte“ abgelegt, dort hat ihn Katanga nun erst einmal wieder heruntergenommen. Sehr schönes, wenn auch kurzes Gespräch mit Kracht, der mich immer – allerdings nicht ohne einen leicht spöttischen Unterton, der ihm ohnedies eignet – „Meister“ nennt, womit ich wiederum nicht richtig umgehen kann. Wir ziehen also noch los in eine Gaststätte, später kommen U. und G. hinzu, mit denen ich lange lange spreche; ich hab sogar meinen AlkoholRamadan einen Tag früher abgebrochen, als geplant war… jedenfalls schaue ich irgendwann auf, und die ganze FREUND-Gesellschaft ist weg. Als U. und G. und ich gehen wollen, finde ich draußen mein Leihfahrrad nicht mehr. Nächster Filmriß. Wo habe ich es abgeschlossen? Erst nach vielem Hin- und Hergehen a h n e ich, es vor der ersten Kneipe stehengelassen zu haben, in die die FREUND-Gesellschaft eigentlich wollte, die dann aber zu voll war… – und finde es. Ein bißchen besorgniserregend sind diese Kurzgedächtnisausfälle nun schon.

Und noch in der Kneipe erreicht mich nachts eine SMS von ******: Der Junge habe sich an das verunglückte Rattenböcklein Jonathan erinnert und wieder bitterlich zu weinen begonnen. Der kleine Trauerfall wirkt in ihm nach, immer wieder kommt das Unglück hoch. Ich rufe sofort zurück, und wir verabreden, daß ich den Jungen am nächsten Morgen gemeinsam mit ****** zur Schule bringen werde…