Sonntag, der 25. Dezember 2005.

7.23 Uhr:
Traurigkeit.
Ich sitze in der Küche, habe die Bilder von gestern abend hochgeladen, ein weiteres von ****** und meinem Jungen auf den Desktop gelegt; gut tut mir das allerdings nicht. Es läßt nicht vergessen. Ich kann gar nicht sagen, wie tief ich bereue, daß ich diese Liebe so aufs Spiel gesetzt habe, bis ich sie dann verlor. Die Traurigkeit hört gar nicht mehr auf, es ist jetzt drei Jahre, acht Monate und einen Tag her, daß ich meine Frau verlor. Wie vieles hätte ich anders gemacht, hätte ich von diesem Schmerz gewußt!
Sie hat mir das I Ging geschenkt; ich bin befremdet, es ist, als stellte sie etwas zwischen uns, daß durch einen wie mich nicht einzuholen ist. Und ich bin an die Duse erinnert, die D’Annunzio schrieb, sie hätte besser zu einem seiner Bücher gegriffen, als sich mit ihm zusammenzutun. Nur daß ich ihr nicht, wie er der Seinen, antworten kann: „Ich werde dir nicht fehlen und du wirst mir nicht fehlen. Aus uns entsteht etwas, was stärker sein wird als das Leben.“ Wie sich aber die Geschichten gleichen: „Er hat mich so bloßgestellt, daß ich mich nackt fühle“, warf sie ihm vor. Eine Freundin mailte mir vorgestern: “Sie sind ein Familienmensch.” Ich fürchte, sie hat recht, und daraus resultiert der Umstand, daß ich nicht die gleiche kühle Haltung einnehmen kann, die D’Annunzio einnahm und die ein berechtigter Teil seiner ästhetischen Positionierung in Liebesdingen ist: Es ist wahr, daß ich wie er nur deshalb solche intensiven Szenen gestalten konnte, weil ich sie – auch die Trennungen – l e b t e; zugleich aber schützt mich das persönlich nicht vor dieser Not; ich f ü h l e es als Rechtfertigung, als Rationalisierung; ich kann es nicht fühlend ideologisieren. Und finde deshalb keinen Selbstwert darin. Es geht vielmehr über mich hinweg. Nur, wenn ich schreibe, geht es mir etwas ruhiger. Seltsam, ich habe dann das Gefühl, ich täte etwas. Nein, es ist nicht nur, als ob gedacht würde, es ist tatsächlich wie eine Handlung.

Der Junge schläft noch, drüben wartet der Baum, und aufgeräumt muß werden vorm Frühstück; nachmittags will ****** noch einmal herkommen, mit dem Jungen und seinem Papa spielen – so, fürchte ich, muß das formuliert werden -, dann werden die beiden davongehen, denn sie fahren morgen für eine Woche fort. (Und wie gern ich auch von i h r hier ein Bild hineinstellen würde. Aber es wäre eine Übergriff. D a ß es einer wäre, legt Finger in die Wunde und bohrt mit den Nägeln.)

Würde gern noch etwas an ARGO, anderthalb Seiten vielleicht, damit dieKontinuität gewahrt bleibt…

8.10 Uhr:
Nun doch ein kurzer Weinanfall (ich habe wieder und wieder, anstatt an ARGO zu arbeiten, die Bilder betrachtet). Der Kleine schläft ja noch immer; er bekommt es nicht mit.
Und, um mich zu beherrschen, das Bedürfnis, hier davon zu schreiben: Es objektiviert sich dann, wird narrative Figur. Das Denken und der Wille kehren zurück zu g e s t a l t e n: zu gestalten, wie sehr einem ein Mensch fehlen kann – und eine Art entpersönlichten Grund für dieses Leid darin zu finden, daß es allgemein ist, eine Allgemeinerfahrung, die man genau deshalb hat, weil man befähigt ist, ihr den Ausdruck zu finden. Erschütterung als etwas, das – in einen anderen Rahmen transponiert, also in einen Text, auf eine Bühne, in eine Musik – berauschend befreit und zugleich läutert. Eine perverse Bewegung, wie alle Kunst; aus dem Leid L u s t wringen. Vielleicht sogar – Glück.

8.53 Uhr:
Keine Konzentrationsfähigkeit. Also Bach, BWV 21, um irgendwie zur Ruhe zu kommen. Die Titel-Fuge hilft. Immerhin hab ich mir einen Chai gemacht. Der Junge schläft noch immer.

21.07 Uhr:
[Leicht angetrunken.]
Jetzt sind sie fort, übern Jahreswechsel, die Frau und das Kind. Einer AZWSB beugte Eisenhauer vor, der mich sofort zum Billard rief. Und als wir sprachen: „Es ist ein großes Privileg“, legt er mir nahe, „eine Frau als Schicksal zu haben… auch wenn man leidet daran… nicht jeder“, sagte er, „hat so etwas. Das ist selten.“ Ein paar Stunden vorher – die Freundin, in die ich auch ein wenig verliebt war, die sich aber nicht einließ -: „Lassen Sie diese Frau gehen, Sie verlieren sich in ihr.“ Daraufhin ich, als hätte ich Eisenhauers Rede vorausgehört: „Es ist zu spät. Ich war in ihr verloren, als ich sie zum ersten Mal sah.“ – Wie das nun auch immer sei, das Wichtige ist: Man k a n n nicht gehen lassen, weil Liebe nichts, aber auch g a r nichts mit Autonomie zu tun hat. Sondern die Kugelhälften f a n d e n sich, auch wenn sie einander wieder verloren. Und sie wissen es.
Hab mir eine DVD geholt, um den Abend des weiteren zu überbrücken. Eisenhauer ist zur Freundin, ich bin zurück in die Kinderwohnung, wo dringend aufzuräumen ist, damit Katanga, wenn er zurückkehrt, keinen Herzschlag bekommt. Aber heute abend mag ich nicht mehr. Als ich vom Billard zurückradelte, fuhr ich unter der Wohnung der Frau als Schicksal vorbei. Es war noch Licht im Zimmer meines Sohnes. Beide waren sie – und sind es wohl – noch auf.

Ich vergaß: An ARGO zwei Zeilen geschrieben.