Donnerstag, der 29. Dezember 2005.

8.46 Uhr:
[Weber, Euryanthe. Es ist fast nicht zu glauben, wie deutlich gerade in dieser Oper wird, daß Richard Wagner von Carl Maria v. Weber herkommt – insbesondere zu Beginn des Dritten Aufzugs hab ich das Gefühl, in einem Stück anderen Lohengrins gelandet zu sein.]

Wieder bis halb neun geschlafen; diese Tage gehen vorüber wir aneinandergereihte Abendfeste, die sie ja eben auch aufbieten. Heute abend zu Julietta und >>>> Leander Sukov eingeladen, gestern abend bei einer Feier >>>> Christian Krachts gewesen, für dessen >>>> FREUND ich ja meinen Aufsatz über Phantastische Räume aus dem Archiv der fiktionären Website herausgenommen und dort in die gedruckte Realität hinübergeschickt habe. Es liegt eine mich jedesmal benehmende Freundschaftlichkeit, Herzlichkeit und Achtung in Krachts Art, daß ich mich bei aller Fremdheit der Herkünfte und Sphären aufgehoben fühle wie selten im Umkreis von Kollegen. Viele schöne, kluge Menschen waren da, viele berauschende Frauen auch, später erschien Schirrmacher, und Kracht wollte uns bekanntmachen, was nun unnötig war, aber freilich auch wenig geeignet, es zu einem anderen Austausch als dem von Floskeln kommen zu lassen; und sogar die haben wir uns gestern abend erspart. Ähnlich die Begegnung mit >>>> Rainald Goetz, der noch sehr viel später erschien. Wir sahen übereinander hinweg, was ja in einer so kleinen Gesellschaft nicht ganz einfach und deshalb nicht ohne Komik ist. Er hat sich in der Frage um mein verbotenes Buch vehement auf die Seite des Klägers gestellt, also f ü r das Buchverbot votiert, ohne daß mir bis heute die Gründe klar sind. Es geschah auch nicht mir gegenüber, sondern in dem Streigespräch mit einem Journalisten, der wiederum mir davon berichtete. Jedenfalls gibt es da keine kollegiale und eben auch keine ästhetische Grundlage, auf der wir uns verständigen könnten. Das war schon früher klar, als er sich – ohne es gelesen zu haben, wie man deutlich merken kann – in seinen Tagebüchern abfällig zu THETIS äußerte. Umgekehrt finde ich seine hartnäckig jugendbewegte Ideologisierung von Techno und Popkultur ziemlich absurd und auch ein bißchen peinlich. Insofern nehmen wir uns gegenseitig nichts.
Durch den Schnee heimradelt,der Schnee liegt noch immer, und er stöbert auch schon wieder vorm Fenster. Spaßeshalber sollte ich mir ein Thermometer auf den Schreibtisch stellen; habe ich meine zwei Pullover und den Hausmantel an, dann ist mir trotz des nachts geöffneten Fensters durchaus warm genug.

Jetzt erst mal die über 400 TS-Seiten abheften, die der dritte ARGO-Teil unterdessen umfaßt. Immer wieder dabei lese ich in den Text hinein und bin erstaunt, wie gut das läuft, wie fremd es auch schon ist, wie wie so gar nicht von mir. Es ist ein sehr gutes Gefühl, nun doch noch in diesem Jahr mit einem weiteren Teil des Mammuts fertiggeworden zu sein – meines zweiten Mammuts, denn ARGO nimmt deutlich das Aumaß des WOLPERTINGERs an, der ja ungefähr doppelt so lang wie THETIS ist, was man nur des sehr viel kleineren Satzes wegen nicht merkt. Ganz frappiert bin ich in diesem Zusammenhang immer noch >>>> über Moosbachs Arbeit; nach seinem gestrigen >>>> Kommentar hat sich in mir einiges, sagen wir, ‚ahnend geklärt’. Ich hoffe, ich hab ihm jetzt mit meiner >>>> an die Uni Zürich gerichteten Email nicht geschadet. Meine Meinung unterdessen ist d i e: Der Verfasser hat die Arbeit tatsächlich als Magisterarbeit eingereicht, mir aber und f ü r mich diese Arbeit gewissermaßen pseudonym zugesandt – versehen also mit einem anderen Deckblatt und vermutlich auch anderem Titel. Und damit tut er ja nur etwas, das ganz in der Linie liegt, von der ich freilich hoffe, sie sei nicht, wie er von Zilts konstatiert, eine Todeslinie. Jedenfalls geht mir Moosbachs Interpretation ziemlich nach, insbesondere die mir selbst nie klare „Zertrümmerung der Identitäten“ von Selbst, Zeit und Raum, verteilt auf die jeweligen drei Romanprojekte. Daran ist enorm viel wahr, ich rief innerlich „Ja!“, aber selbst drauf gekommen war ich nicht, obwohl es geradezu schlagend auf der offenen Handfläche liegt.

17.19 Uhr:
Julietta und Leander für heute abend abgesagt, ich hüstele dauernd, und meine Stimmung ist ziemlich runter. Viel getan hab ich obendrein nicht. Immerhin hat die Fahrradversicherung bezahlt, so daß ich mir zwar nicht ein neues (altes) Rad besorgt habe, aber doch die beiden Mieten zahlen konnte; das ist ja mal was. Man kann diese Versicherung nur loben, sie war bisher immer schell und problemlos, auch bei den Fahrrädern; deshalb setze ich hier einen Link hinein: >>>> Victoria Versicherungs AG.
Dafür will mir die Postbank den Dispo halbieren, der eh mit 2000 Euro niedrig und derzeit immer ausgeschöpft ist, und bittet um Ausgleich des darüber Hinausgehenden; woran derzeit echt nicht zu denken ist. Ich hab gleich angerufen, jetzt soll ich einen Brief schreiben. Den Brief geöffnet hab ich sowieso nur, weil ich mit einer Kontopfändung rechnete. Insofern ging ja alles noch gut. Jedenfalls knallt es an allen Enden und Kanten. Klasse ist auch, daß die KKH von mir („Herrn Alban Nikolai Herbst, Schriftsteller, Personalabteilung“ – nicht zu fassen; „es berät Sie Frau Christina Schröder“, die aber natürlich nicht ans Telefon geht) 1362,78 Euro haben will, als Beitrag für November 2005 – mal abgesehen davon, daß ich bei der KKH weder versichert bin noch es je war, ist auch ein solcher Monatsbeitrag ziemlich absurd.
Wenigstens war es gut, durch den hohen Schnee mit dem Fahrrad zu schlittern, es ist nicht gestreut, man bleibt dauernd stecken, ist aber dennoch schneller als ein Fußgänger. Wobei die Autofahrer, die genervten, nerven: dauernd hupen sie einen an. Vielleicht geh ich zur Ablenkung nachher mit G. und U. ins Kino, den neuen Woody Allen gucken, vielleicht bleib ich hier und schau ein Video.