Dienstag, der 3. Januar 2006.

5.48 Uhr:
Eben erst hochgekommen, aber s e h r schön, sehr sinnlich eingeschlafen nach einem langen Gespräch im Messenger mit Nadeschda, nach Blicken durch die Webcam, nach Lächeln, nach viel Traurigkeit, die sich aussprechen konnte. Nadeschda schickt wieder etwas Geld, vor allem, das ist nun wirklich typisch weiblich, einen extraBetrag d a z u: Sie möchte, daß ich mir das andere Parfum von >>>> Serge Lutens besorge, was ja bei meiner Finanzlage reiner Wahnsinn ist; sie würde es mir, tippte sie, direkt schenken, aber weiß nicht, ob sie Vétiver Oriental b e k o m m t in Österreich; „Sie müssen mir beweisen, daß Sie das Geld dafür verwandt haben, ich will die Flasche in der Webcam sehen.“ Wohin ich auch schaue: Motive der Literatur.
Die Tendenz, zu meiner eigenen Romanfigur zu werden, war seit der VERWIRRUNG angelegt, aber schon in der SIZILISCHEN REISE überaus deutlich; jetzt, nach dem Buchverbot werde ich mit DEN DSCHUNGELN wie eine Figur g e l e s e n. Ich werde gelesen… – welch eine Realisierung dieses Satzes aller Dichtersätze, das Triumphale gänzlich ins Ironische zurückgeholt… ins Melancholische auch – und das von m i r, einem körperfixierten Vitalisten; welch doppelte Wendung also in DER DSCHUNGEL. Dabei ist klar, daß ich ohne das Buchverbot so weit niemals gegangen wäre. In einem durchaus nicht ungewissen Sinn ist DIE DSCHUNGEL ein Protest, der den autobiografischen Spielereien, bzw. Versuchen der früheren Bücher aus reiner Not/Wendigkeit ein poetologisches Fundament baut. Und Poetologie wird Realität: Ohne daß sie mich läse, wäre Frau von Meck gewiß nicht die Gönnerin, die sie nun ist, und g a n z gewiß spielte sie dann nicht mit dem Gedanken, mich bei den Innsbrucker Veranstaltungen zu besuchen – „k e i n Sextreff, nein, aber ich müßte Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Ich will einfach wissen, wie Sie sind.“ Das ist ja nun eine literarische Vorgabe >>>> par excellence. Toll war dann vor allem d i e s e r Satz: „ich will bitte die mäzänin eines SCHWULEN künstlers sein.“ Dann geht der Dialog so weiter:
NADESCHDA von all den vielen tollen schwulen künstlern dieser weiten weiten welt suche ich mir alban nikolai herbst aus … davon stand nicht mal was in meinem lebenshoroskop – das versprach mir nur den aufenthalt in einer geschlossenen anstalt 2007.
ANH Sie haben einen – wie mal ein enttäuschter schwuler Freund von mir sagte – “Stockhetero” mäzenatisch umgarnt… was ist daran schrecklich? Ich meine, normalerweise halten sich Künstler von ihren Mäzenen fern und wollen ihnen nicht in die linke innere Schamlippe beißen.
NADESCHDA “normalerweise”? also dann halten SIE sich wenigstens an die spielregeln, wenn ich das schon nicht hinbekomme – wenn ich bitten darf!!!!
ANH na ja, aber ich hab jetzt so eine vision… so diese linke innere Schamlippe…
NADESCHDA (meine innere linke schamlippe hat das voll mitbekommen, dürfte ich sie in hinkunft wenigstens darum bitten, sich in einer art dezent zu artikulieren, dass diese körperteile draussen bleiben?)
Ich meine, schon klar, daß ich einschlief, als hätte ich mich an einem weiblichen Körper zusammengerollt.

Immerhin ein b i ß c h e n Post geöffnet dann d o c h, eine Vollstreckungsankündigung guckt mich nun an in ihrem blassen Elfenbein, mit schwarzen serifenlosen Lettern und einem Adlerstempel darunter; NadeschdaSeiDank werd ich nachher beim Hauptzollamt anrufen und eine Überweisung ankündigen können. Die weitere Katastrophenpost öffne ich noch davor, also g l e i c h. Gegen elf kommt die Journalistin H.M., um mich wegen der Sendung >>>> über Robert HP Platz zu interviewen,bis dahin muß ich rasiert und geduscht, und die Arbeitswohnung muß aufgeräumt sein. Für die ARGO-Korrekturen werd ich nachmittags die Wohnung am besten verlassen; hier bin ich zu abgelenkt; es sollte kein Netz in der Nähe sein. Mit >>>> den DTs’ beginne ich wieder nach meiner Rückkehr aus Innsbruck am 12., denke ich. Bis dahin: schweifende Arbeit.

6.36 Uhr:
Zur Katastrophenpost: >>>> Enescu, Oedipe. Immerhin fand sich die schriftliche Bestätigung eines Auftrags von >>>> Lands’End über eine Kurzerzählung, für die 2000 Euro gezahlt wird, plus Mwst. Allerdings sind moralische Einschränkungen zu beachten: Wie ich in Frankfurt bereits angedeutet habe, ergibt sich aus dem Medium Versandkatalog und unserer hohen Auflage leider eine Art systembedingtes Handicap: Anders als etwa Literaturzeitschriften müssen wir uns um political correctness und Familienfreundlichkeit im weitesten Sinne bemühen. Der Lands’End-Katalog ist, wenn Sie so wollen, eines der letzten Heile-Welt-Reservate. Alles, was als anstößig empfunden werden könnte (zum Veispiel Anspielungen auf Politik, Religion, Geschlechterbeziehungen, Gewalt oder Erotik) kommt daher nicht in Frage. Ich meine, das ist echt mal eine A u f g a b e für einen wie mich, den man, siehe oben, entweder für einen erotischen Wüstling oder einen starren Querkopf hält. Geschmeidigkeit ist jetzt gefragt; ich hab mir deshalb als Thema KASCHMIR ausgesucht. Abgabe soll im Mai sein. Ich werde aus Finanzgründen noch diesen Monat schreiben und diesen Monat auch abgeben.

9.59 Uhr:
[>>>> Rajesh Mehta, Orka.]
Nun war mir nach free jazz – und was für einem! Es ist ein gnadenlos weites Gefühl, rasiert und geduscht zu sein und arabisch zu duften. Gleich ruf ich beim Hauptzollamt an und versuche, die Pfändung (wessen auch?) zu stoppen. (Der Profi rief noch an und spottete, ich solle die Journalistin nachher im Durchgang zur Küche niederknien lassen… die FellatioNotiz von gestern war s e i n e s offenbar auch nicht. So scheiden sich die Geister. Nadeschda und eine andere Freundin, die ständig reist, fanden den gestrigen Eintrag (5.14 Uhr) ‚kraftvoll’. Man kann echt nur tun, was man selbst für richtig hält. Dem künstlerischen Instinkt ist zu folgen, nicht irgend einem Vorsatz, nicht irgend einer Regel.)

12.44 Uhr:
Gutes Interview, kluge Frau. – Die Post ist immer noch nicht völlig geöffnet; das ist eine Dritte Art Art Begegnung;; jaja mit Verdopplung.
Werde mal wieder einen Mittagsschlafversuch starten. Ich meine, bin ja heute sozusagen angehobener Stimmung. Hart find ich aber, daß wenn man d a s eingibt: wie mach ich inzest mit meiner mutter: man von Google als allererstes auf Die Dschungel geleitet wird.

15.02 Uhr:
[>>>> Händel, Tamerlano.]
Sämtliche Post geöffnet, u.a. eine dicke Mappe von Rechnungen auswerfend, deretwegen ich mir jetzt mal was überlegen muß, um Zeit zu gewinnen. Außerdem viele viele liegen gebliebene Geschäfts- aber auch Privatpost. Jetzt hab ich mal angefangen, jetzt kämm ich da auch durch. Les ich ARGO halt morgen weiter. (Und der Mittagsschlaf funktionierte tatsächlich, wenn ich auch ein wenig v o r der Stunde wieder erwachte.)

Nachtrag.
Als ich zur Post losradeln will, bricht die Wurfschaltung des Fahrrads hinten weg. Nun hab ich das Problem a u c h noch. Nach gebrauchten Rädern geschaut, nichts Rechtes dabei. Und die, die ständig reist, kam auf einen abendlichen Martini in den TORPEDOKÄFER. Es ist nicht wahr, was mir, eine befreundete Leserin in einer mehr oder minder verärgerten Email schrieb: daß ich mit diesem Tagebuch die Frauen aus meinen Leben hinausbloggte. Zumindest manche blogge ich sogar hinein; ich kann dabei noch warnen.