Eine andere Rückschau. Donnerstag, der 19. Januar 2006.

7.02 Uhr:
S c h o n interessant, wie sich die Zeiten und Rhythmen wiederholen: Ich habe den Eindruck, daß ich, ganz wie letztes Jahr, als ich ARGO unterbrach, so lange nicht mehr ins frühe Aufstehen finde, bis erneut etwas zieht. Dazu gesellen sich freilich die Umstände, daß ich mal wieder rauche (was ich fürs Wochenende, wenn der Kleine da ist, aber wieder lassen werde; ob dann Montag w i e d e r, sei einmal dahingestellt) und derzeit nicht laufe. Nahm ich’s mir vor und w o l l t e, ließ der viele Schnee es nicht zu. Dazu noch die Unterbrechung durch die kleine Reise, mein emotionales Hin und Her, die ökonomischen Sorgen und nicht zuletzt eine Art Überdruß an ARGO, den ich allerdings kenne; er tritt fast immer ein, wenn ich einen lange erarbeiteten Text dann sichte; also sofern er lang ist. Bei Erzählungen ist es fast umgekehrt. Die Korrektur und Überarbeitung eines Romans aber hat immer etwas von Qual. Bis man d a wieder drin ist. Dann läuft auch das und verschafft Genuß. Imgrunde ist es eine Frage des Ansatzes, ob in der mathematischen Gleichung, ob beim Tanzen: anfangs tut’s hier den Füßen weh, da dem Kopf.- Jetzt lachen Sie und sagen: Jaja, fein redet ANH sich heraus. Und ich sag Ihnen was: Sie haben recht. Guten Morgen, liebe Leser.
(Übrigens gilt Ähnliches auch für Die Dchungel. Wie lange schon liegen Skizzen für eine Fortführung der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens in den Speichern meines Laptops herum, ohne daß ich den Antrieb hätte, sie auszuarbeiten. Ein Dingerl fiel mir gestern nacht bei dem letzten Eintrag noch ein. Da setz ich mich jetzt sofort dran, damit das nicht a u c h noch liegenbleibt.)

14.10 Uhr:
In einem Rutsch die restlichen ARGO-III-Seiten durchkorrigiert. TS 640. Was essen, was schlafen. Dann zu meinem Jungen.

18.15 Uhr:
So gut es mir dann eigentlich auch ging: kaum lag ich auf der Couch, klingelt das Telefon, und der Anrufer, mir ausgesprochen gewogener Lektor bei Luchterhand, der seit Jahren versucht hat, mich als Autor zu gewinnen, aber seinerzeit schon mit >>>> DLZI gescheitert war, bringt eine schlimme Nachricht. Schlimm ist sie, obwohl ich eigentlich längst mit ihr gerechnet hatte. Aber ein Restchen Hoffnung war offenbar dennoch geblieben, so ein Glühen im Hintergrund, ein leises versprechendes Vielleicht. K.S. hatte noch einmal einen Anlauf unternommen, mit ARGO, dessen Typoskript er kennt; er kennt auch THETIS, auch BUENOS AIRES. Seit dem WOLERTINGER warb er um mich. Nun abermals der Bescheid der Belegschaft. „Ich bin nicht allein“, sagt er, „ich kann da nichts machen.“ „Was i s t es denn, was stört die Leute?“ Er druckst rum. „Sie argumentieren nicht mit dem Text, sondern allgemein. Du seiest zu sperrig, sagen sie, seiest zu schwierig.“ Und ich merke genau, wie der moralische Vorbehalt gegen mich durchschlägt – und etwas anderes, das ich seit meiner Kindheit kenne: meine Fremdheit. Wieder Kühlmanns Satz von 1995: „Ich weiß, was der Betrieb an Ihnen nicht mag.“ Das war beinah das erste, was er damals zu mir sagte. „Sie haben keinen Stallgeruch.“
So steh ich letztlich wieder da, wo ich v o r dem WOLPERTINGER stand, als a u c h schon immer diese Gischt von Ablehnung gegen mich gebrandet war. Weshalb ich dann kurzerhand dem Betrieb den Stinkefinger zeigte und Broker wurde. Morgens von sieben bis zwölf schrieb ich am WOLPERTINGER, danach trieb ich Sport, dann ging ich zu PRUDENTIAL BACHE SEC. an den currency trading desk bis nach 22 Uhr. Die fertigen, vielen Teile des WOLPERTINGERS schickte ich herum; ich bekam knapp dreißig Ablehnungsschreiben, einmal quer durch die Verlagswelt. Auch das schien schon hoffnungslos zu sein.
Damals gründete >>>> Axel Dielmann gerade seinen Verlag. „Hast du nicht was für mich?“ Ich gab ihm die ORGELPFEIFEN VON FLANDERN. „Die druck ich“, sagte er, „die druck ich sofort. Aber sag mal, du schreibst doch an einem solchen Riesenroman.“ „Das kannst du nicht stemmen“, sagte ich, „das sind tausend Seiten.“ „Ich will lesen“, sagte er. Las und kam wieder her: „Den drucke ich auch“, sagte er.
Aber er hatte wenig Geld. Da sprach ich einen meiner Lieblingsspekulanten an: „Sagen Sie einmal, Herr R., jetzt haben wir zusammen in einem Jahr anderthalb Millionen DM verloren, und Sie haben überhaupt nichts davon gehabt. Was halten Sie davon, n o c h eine halbe Million zu verlieren, aber diesmal v i e l e s davon zu haben?“ „Wie soll das gehen?“ fragte er. Ich hatte die richtige Frage gestellt. (Er war reich, pfiffig und mit Bedacht reich geworden, die anderthalb Millionen hatten ihm nicht eigentlich weh getan, in anderen – konservativeren – Börsengeschäften holte er sie lässig wieder herein. Also es ging nicht ums Geld.)
Nun begann ich, vom WOLPERTINGER zu erzählen, auch von meiner heiklen Position im Betrieb. Herr R. war nicht verwundert, in Börsenkreisen war ich ebenfalls eine Orchidee, die den Kollegen allmorgendlich kopierte Gedichte zu den Schriften der Markt-Analytiker in die Eingangsfächer legte. Man ließ mich gewähren, weil ich Erfolg hatte mit vielen trades. Jedenfalls ließ sich R. das Typoskript zeigen, ich machte ihn mit Axel Dielmann bekannt, die beiden verstanden sich auf Anhieb. Da begann für uns alle das große Abenteuer: R. war bei allem dabei, vom Lektorat (zuweilen) zum Satz (oft), vom Satz zum Buchdruck, vom Buchdruck zur Bindung. Jeden Schritt vollzog er mit. >>>> Gemeinsam fuhren wir nach Hannoversch Münden, wo der Roman ja spielt, tranken bei Winckelmann, und R. war sogar einen Moment lang versucht, den Baugrund zu kaufen, den Hang, auf dem das Hotel Andreesberg unterdessen nur noch Ruine war. Aber der Berg – und so habe ich das nachträglich ins Romantyposkript noch hineingeschrieb – war, hieß es, ‚ins Rutschen gekommen’ – eigenwilligerweise in derselben Woche, in der die Rohfassung des WOLPERTINGERs fertiggestellt worden war.
Nein, eine halbe Million DM waren es dann n i c h t, die R. in das Projekt steckte, sowas um 150.000 DM aber doch. Das Buch erschien. Schweigen. Dann veröffentliche Uwe Pralle – ein halbes Jahr nach Erscheinen, für den Markt an sich schon zu spät – seine Kritik über den „Deutschen Sommernachtstraum“, und wiederum ein halbes Jahr später erschien Wilhelm Kühlmanns, den ich damals noch nicht kannte, große FAZ-Kritik – ein ‚Versehen’, wie mir Jahre später jemand aus der Redaktion steckte. Kühlmann war für Verrisse bekannt, deshalb hatte man ihn – einen berühmten Altphilologen – mit der Rezension beauftragt. Daß diese nun etwas völlig anderes würde, mit den markanten Sätzen, die heute noch umgehen und den WOLPERTINGER, jedenfalls für germanistische Kreise, in den deutschen Literaturkanon befördert haben, damit hatte niemand gerechnet. Die Besprechung ließ sich aber auch nicht unterschlagen, denn dazu war und ist Kühlmann eine zu bekannte Kapazität.
Ein Jahr lang, nunmehr, umschmeichelte mich der Betrieb. Einige Betriebler schleimten; ich fand das ekelhaft und sagte es auch. Zumal ich ja wußte, was vorhergegangen war. Außerdem stellte man sich nicht öffentlich zu mir, immer nur in diesen kleinen klebrigen Zirkeln, in denen der SPIEGEL der WELT und diese der SÜDDEUTSCHEN die Hand gibt, umwirbelt von Lektoren und Autoren. Insgesamt sind niemals mehr als fünf Kritiken über diesen Roman erschienen. Doch ich wurde mit Aufträgen eingedeckt und zu Diskussionen geladen. Darin schlug ich mich vehement, einfach auf meine Arbeit konzentriert, das Pipapo interessierte mich nicht. Ich wollte keine Rücksichtnahmen. Ich machte aber auch keine Männchen, das schon war störend. Ich attackierte, wenn etwas korrupt war. Ich nannte Namen. Überwarf mich mit Dielmann, weil kaum je richtig ausgeliefert wurde, weil Termine verschlampt wurden, weil nie Post ankam. Er war wahrscheinlich insgesamt damals überfordert. Schaltete auf einen kleineren Gang – von seiner Warte aus war das wohl richtig, sonst existierte er heute wahrscheinlich nicht mehr – nach dreizehn Jahren. Sowas haben nur wenige Kleinverleger geschafft. Claudia Gehrke etwa, KD Wolff. Aber für mich war es furchtbar. Ich begann THETIS. Der Ruf zu Rowohlt kam. Das hieß: Es gab das erste Mal Geld für ein Buch. Sieben Bücher hatte ich bereits geschrieben. Kein einziges hatte Geld eingebracht. Auch der WOLPERTINGER nicht. Rowohlt aber zahlte einen Vorschuß. Nach meiner Kündigung bei PRUDENTIAL BACHE hatte ich finanziell wieder dort gestanden, wo ich bei Beginn der Börsentätigkeit gestanden hatte, vorm Aus.
Kaum hatte ich aus den ersten Kapiteln öffentlich gelesen, fing die Abwehr wieder an. Delf Schmidt, dem großen Lektor, ist es zu danken, daß dieses Buch erschien – er selbst hatte bisweilen Bauchschmerzen; wir diskutierten, bis jeweils einer von uns beiden mit seinen Argumenten ‚gewann’. Peter Wilfert kam zu Rowohlt, Naumann ging. Wilfert sollte großreine machen. Da er nie einzuschätzen wußte, mit wem er eigentlich sprach, schaffte er’s auch. Es gehört zur tabula rasa einige bildungstechnische Ignoranz. Schmidt konnte nicht bleiben, es wäre an seine Ehre gegangen. Er wechselte zum Berlin Verlag, Jelinek und ich gingen mit; Genazino ging zu Hanser – alles Delf-Schmidt-Autoren. Piwitt noch, den sollte niemand vergessen, und viele viele andere mit großem Namen (er hat auch Brinkmann betreut). Im Berlin Verlag erschien dann, von dem Verlagsleiter Conradi ziemlich ungeliebt, BUENOS AIRES. ANDERSWELT. Es wurde ein Flopp, es gab keine Anzeigen, imgrunde keine Vertretung. Conradi und ich gerieten aneinander, die Agentin Karin Graf spielte dabei eine nicht sehr rühmliche Rolle, vor allem nämlich, weil sie zur Krisensitzung zu spät kam, Conradi warf mich raus.
Seither ist diese Verlagsodyssee wieder im Gang, die ich aus der Zeit v o r dem WOLPERTINGER nur allzu gut kenne. Ja, mein verbotenes Buch erschien noch, w u r d e verboten; da hatte der Betrieb nun den moralischen G r u n d, den man wollte. S o gesehen, hat der Kläger dem Betrieb zugespielt und die Kraft des Betriebs gegen mich auf das allergeschickteste ausgespielt. (Es war sicher nicht intendiert, aber juristisch ein Gebot seines juristischen Interesses.)
Und da stehe ich nun. Unterdessen wird WOLPERTINGER Gegenstand der germanistischen Lehre, ebenso THETIS. Die Zugriffszahlen auf Die Dschungel sind enorm, die download-Zahlen meiner literarischen Texte auf der fiktionären Homepage auch; aber damit ist nichts zu verdienen – zumindest nicht, solange der Buchhändler- und Verlegerverband eine neue Regelung für Netzproduktionen mit der VG Wort blockiert. Imgrunde muß ein Mäzen her, eine Art Ludwig II, ein Reemtsma (der mich tatsächlich ein Jahr lang über eine Hamburger Stiftung unterstützt hat), ein Wesendonk (wie gesagt: bitte ohne schöne Frau). Die Luchterhand-Absage, wie erwartet auch immer, hat mich – für heute – mal wieder gefällt

[……………….-: Doch eine nächste Rückschau in der Zukunft >>>> d o r t; da wird mein Junge bereits zehn sein. Vier Jahr und fünf Bücher später.]