Montag, der 23. Januar 2006.

7.25 Uhr:

Leserinnenproteste



June: guten morgen, alban. möchte nur schnell grüßen und einen schönen tag wünschen. sie wissen ja, ich gehöre zu den menschen, für die montag “diese” bedeutung hat… war es schön gestern in der oper mit dem jungen? hat es ihm gefallen?
ANH: Guten Morgen, liebe June. War grad Zigaretten holen, Es ging mit TWIN PEAKS noch bis 1.45 Uhr. Die >>>> Tango-Oper vorher war toll, jedenfalls musikalisch. Ich schreibe nachher drüber.
June: ich bewundere ja, wie wenig schlaf sie brauchen. ich war gestern kurz nach 22 uhr im bett und könnte problemlos weiter schlafen. …. also twin peaks ist schuld, dass ich meinen kaffee ohne einen ihrer weblogeinträge trinken muss. der herr lynch stört mein morgenritual, richten sie ihm das bitte gürtigst aus. *lächelt*
ANH: Von eine anderen Leserin kam auch grad eine Mail. Die “beschwert” sich auch.
June: *laaaaacht* – ich liebe es, verbündete zu haben.
ANH: Ich werd von “Leserprotesten” schreiben.
June: sagen wir: die protestnoten wurden hinterlegt. wir drohen mit einer petition.
ANH: Aber im Ernst. Ich muß mit ARGO IV beginnen, damit der Rhythmus wieder einen Grund hat. Ich bin momentan ein wenig hilflos, arbeitstechnisch gesehen.
june: und ich muss aus mir ein menschliches wesen machen. die fabrik wartet.
ANH: Und ich weck den Kleinen. Er muß heut (obendrein) erst zur zweiten Stunde zur Schule.

7.48 Uhr:
Minus 17,5 Grad draußen. Bin echt gespannt, wie kalt es in der ja immer noch ungeheizten Arbeitswohnung sein wird. Offenbar wollen jetzt auch noch die Wettergötter einen Kampf mit mir beginnen. (Im Kopf formuliere ich bereits für die Opernkritik vor mich hin. Der Junge hört nebenan im Halbdunklen ein Hörspiel: WAS IST WAS, MUMIEN. Halbdunkel, weil Ratz Felix ein Kabel angenagt hat, und dann, gestern nachmittag, beim Toben der Jungens, machte es WUFF, und die Sicherung war hinaus. Erstmal die Lampe sicher- und beiseitegestellt.
In einer halben Stunde werden wir aufbrechen, der Kleine wieder hinten auf dem Gepäckträger, ich das Rad schiebend. Hier läuft pianistischer >>>> Dänen-Mozart. Nach dem Messengerdialog mit June bekam ich zum ersten Mal seit Jahren wieder Lust, einem ‚normalen’ Bruf nachzugehen und aus der Kälte in ein Büro zu treten oder in eine Kanzlei oder an den trading desk. Von Kollegen begrüßt zu werden und dann sofort zu wissen, was ansteht. Auch Uni wäre schön. Z w i s c h e n den literarischen Arbeiten bin ich immer etwas verloren.)

Gutes Bild, um es in ARGO IV zu beschreiben.

9.11 Uhr:
[Arbeitswohnung. Piazzolla, María de Buenos Aires.]
Teewasser sitzt auf. Die Temperatur ist aushaltbar, auch ist nicht – wie bei einer Klassenkameradin meines Jungen – das Wasser eingefroren. Insofern besteht rein objektiv kein Grund zu heizen; nur Damenbesuch wäre einer. Also eigentlich gefällt mir diese Kälte, auch wenn sie selbst durch die dicken Fahrradfäustlinge in die oberen Fingerglieder beißt. Sie hat etwas Echtes, ist so wenig verschwiemelt wie es tropische Temperaturen sind, die ich freilich vorziehe (bei sehr feuchter Hitze j a g e n mir die Ideen). So fehlt mir eigentlich nur das Besorgen meines Kachelofens, eine liebevolle Tätigkeit, der ich winters immer mit Sorgfalt, fast Zärtlichkeit nachkomme, wenn mal der Ideenfluß stockt oder ich über eine Erzählwendung nachdenken muß. Do hat dann immer gebügelt, andere putzen, ich besorge den Ofen. Nur ist mein Kohlevorrat im Keller sehr klein, ich bewahre ihn für den akuten Not- oder eben für den Lustfall. Habe mich entschlossen, damit hier wieder Struktur in die Sache kommt, bereits heute mit ARGO IV zu beginnen; zwar werde ich wegen der >>>> San-Michele-Produktion Anfang Februar unterbrechen müssen, zwar ist heute noch die Opernkritik zu schreiben und zwar steht mir auch noch das Grausen der Steuererklärung bevor, was mich letztes Jahr einen ganzen Monat gekostet hat, aber das nehme ich nun in kauf – es ist ja immer eine ganz kommode Ausrede, in Hinsicht auf Kommendes das Jetzige zu verschleppen. Ab morgen gibt es also wieder >>>> DTs’e; diesmal vielleicht schon immer am Vorabend festgelegt. Bis zum Herbst will ich den Vierten Teil dann stehen wissen. Wobei es fürmich selbst spannend zu beobachten ist, wie dieser Blick heute früh auf den in der Kälte blinkenden Müllwagen es war, was meinen Arbeitsentschluß ausgelöst hat. Damit werde ich auch beginnen: wie Cordes am Fenster der Schönhauser steht, einen Kumb Kaffee in der Rechten, und wie er sich vorstellt, >>>> wie Deters seinerzeit in seiner Archivdatei zu sich gekommen ist.

Jetzt aber an die Kritik. (Die Mahnungen und Rechnungen, die neu eingetrudelt sind, bleiben erst mal wieder ungeöffnet. Bis Geld auf dem Konto ist, das mir mich ihnen zu stellen erlaubt.)

13.16 Uhr:
Die >>>> Kritik ist fertig. Ein Brot ist gegessen. Eine Stunde geschlafen wird. (Klamme Finger, sogar in die rechten Zehen kriecht die Kälte. Wenn ich zulasse, daß das rein psychisch ist, dann ist’s nicht schlimm. Eine reine Frage der Gewöhnung. Bin offenbar von dem Wochenende in der Kinderwohnung verzärtelt.)

14.30 Uhr:
Zu schlafen versucht. Keine Chance. Gedanken an ****** waren plötzlich wieder präsent, außerdem habe ich leichte Kopfschmerzen – wohl weil ich der Kälte wegen trotz der Raucherei nicht lüfte. Ich krieg ja, wenn ich nicht heize, die dann ins Zimmer strömende Kälte nicht mehr heraus, die sich zu der ohnedies in jeder Tasse, die ich anfasse, hockenden Kälte addierte. Andererseits habe ich bei geschlossenem Fenster noch n i e schlafen können (ein alter Streitumstand zwischen nahezu allen meinen Geliebten und mir), weil ich sofort das Gefühl bekomme, eingesperrt zu sein. Möglicherweise ist das eine verbliebene Nachwirkung der zweieinhalb Tage Einzelhaft, die ich mit fünfzehn mal absaß. A u c h eine Geschichte, die erzählt werden sollte; noch gab kein Text dafür Gelegenheit. Jedenfalls will ich, wenn ich schon im Literaturbetrieb dauernd „verliere“, wenigstens bei d e m erfolgreich sein, was ich selbst in der Hand halte, nämlich meiner Arbeit und den persönlichen Vornahmen, die nicht von anderer Leute Wille, sondern rein meiner eigenen Leistungskraft abhängig sind. Und deshalb heize ich stur, lachen Sie ruhig darüber, weiterhin nicht. Hab jetzt d r e i Pullover an. Was meinen mir nötigen Mittagsschlaf anbelangt, so werde ich wie nach dem Sport anstreben müssen, ihn aus Erschöpfung wiederzuerlangen. Dummerweise fällt auch das Laufen bei diesem Wetter aus, und ein Sportstudio kann ich momentan nicht bezahlen. Ich denke, wenn ich es schaffe, täglich wieder um 4.30 Uhr aufzustehen, kommt er von selbst zurück.
Hab heute abend mal wieder einen BDSM-Blinddate, den ich auf nach dem Billard mit Eisenhauer legen könnte. Ich mag aber nicht. Werde also absagen. Dauernd stelle ich mir vor, wie das wäre, ginge ich auf das „Familienleben ohne körperliche Berührung“ e i n: und sehe mich geduckt schleichen von Zimmer zu Zimmer, ein geschlagener Hund, der es nicht wagt, seinen Schwanz zu heben, sondern ihn zwischen die Schenkel geklemmt hält. Dann überkommt mich ein von furchtbarer Sehnsucht durchdrungener Ekel.

0.24 Uhr:
Komme gerade nachhaus und finde >>>> eine sehr lange Diskussion in Der Dschungel vor, die mich ausgesprochen interessiert, ja bewegt; ich habe nur kurz hineingelesen, aber will und darf mich jetzt nicht einlassen, sonst schaff ich >>>> mein morgiges DTs nicht. Bitte verzeihen Sie, ich lese morgen genauer und werde danach reagieren. Es ist meinerseits jetzt keine Ignoranz, das nicht zu tun.
Billard mit Eisenhauer; er hatte Lektorinnenbesuch, auch davon will ich noch sprechen. Danach Essen mit dem Profi. Wie immer ein inniges Gespräch, nicht ohne Spott, nicht auch ohne kluges Geraderücken seinerseits. Aber es ist spät, wenn ich jetzt zu erzählen anfange, wird es eins und mein Vorsatz, wieder Abeitsstruktur zu gewinnen, geht den Bach runter. Nur soviel, daß es saukalt ist und mir die ungeheizte Wohnung momentan geradezu erhitzt vorkommt. Schlafen Sie gut, liebe Leser.

[P.S.: Ich befürchte, krank zu werden. Niesen tu ich schon, husten auch. G a r nicht gut.]