Kinderbücher ODER Der rosarote Kulturverrat.

Zunehmend verschiebt sich Zensur, die per definitionem etwas ist, das allein vom Staat ausgeübt werden kann, ins Privatrecht; dem geht die Privatisierung weiter Bereiche der Öffentlichen Hand voraus und parallel. Auch die Zensurinstanz wird nunmehr, so läßt sich dieser Prozeß analysieren, damit privatisiert. Es handelt sich also, wie Die Dschungel bereits anderswo schrieben, um ein soziologisches und damit letztlich ökonomisches Phänomen. Was dabei allerdings besonders alarmiert, ist, wie sich das als eine political correctness tarnt, die tatsächlich nichts anderes unternimmt, als längst als falsch erkannte und sehr allmählich überwundene moralische Normen qua Internalisierung den Menschen wieder aufzuzwingen. Von zwei Fällen ist hier zu berichten.

1.
Ein Kinderbuchautor gerät mit der Lektorin eines bekannten Kinderbuchverlages in Streit. Und zwar deshalb, weil in seinem Buch ein Zwölfähriger in einer Bibliothek stöbert und dabei mit einem älteren Herrn ins Gespräch kommt, der ihm dies und das empfiehlt. Schließlich möchte der ältere Herr unten im Café noch einen Kuchen essen und lädt den Jungen, der der Einladung folgt, dazu ein.
Verdikt: Das muß gestrichen werden, weil Kinder nicht mit Fremden mitgehen dürfen.
Des weiteren küßt derselbe Zwölfjährige eine Zehn- oder Elfjährige, in die er sich gerade verliebt (und sie sich in ihn), auf den Mund.
Verdikt: Das muß gestrichen werden, weil sich Kinder nicht küssen dürfen. Jedenfalls darf davon nicht geschrieben werden, denn es hängt der Verdacht der Kinderpornografie daran.

2.
Der Vater will für die beiden Jungs eine DVD besorgen, um abends gemeinsam zu schauen. Er wählt „Der rosarote Panther“ mit Peter Sellers, inszeniert von Blake Edwards. Sagt der Angestellte der Videothek: „Wenn Sie Glück haben, sehen Sie noch die unzensierte Fassung.“ Da ist der Vater nahe daran, die seine, statt sie ebenfalls zu zensieren, zu verlieren: „Was bitte kann an diesem Film anstößig sein?“ „Ich weiß es auch nicht“, beteuert der Angestellte und schaut zum Himmel, der hier eine nicht allzuniedrige Decke ist. „Aber das ging bei uns heute über den Ticker.“ „Ja ist der Gorilla“ (es handelt sich um Kostüme) „n a c k t herumgelaufen?!“

[Eine ähnliche Geschichte dreht sich um „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“. Bei Michael Ende ist Lukas ein Pfeifenraucher, der ganz wunderbar mit dem rauchenden Schlot Emmas, der Lokomotive, aber auch den rauchenden Drachen korrespondiert. Es handelt sich um eine bildliche Leitmotivik. Nun werden Zeichentrickrechte in die USA verkauft, wo man nichts Eiligeres zu tun hat, als Lukas um seine Pfeife zu zensieren. Der Clou kommt aber n u n: Die Deutschen kaufen eben diese Zeichentrickfilme auf und strahlen sie, von Lukas’ Pfeife gereinigt, im Fernsehen aus. Wir schlagen deshalb vor, auch die klassische Literatur ähnlichen Prozeduren zu unterziehen, etwa Onkel Toby – Tristam Shandy’s Onkel – die Tonpfeife zu nehmen. Und auch Sherlock Holmes sollte besser zahnpflegenden Kaugummi kauen. Ganz so, wie aus „Der Zauberberg“ jede Zigarre zu streichen ist.

9 thoughts on “Kinderbücher ODER Der rosarote Kulturverrat.

    1. Und Arno Schmidt durft’ sich anno 61 in der noch heute als links geltenden Anderen Zeitung um die (ich zitiere wörtlich) “Weiße Rasse” sorgen … : böserböser Arno !

      (Phh! – : Die political correctness von heute ist der Faschismus von morgen.)

  1. in einem buch, das der autor “abgelegt” hat (frei nach doderer), hat kein anderer auch nur irgendetwas herumzudoktern oder herauszustreichen oder umzuschreiben. derartige manipulationen (und dazu gehören auch “sanfte” anpassungen an die “neue” rechtschreibung”) gehören in die schublade “kriminelle aktivitäten”.

    1. Da empfehle ich wärmstens die Lektüre von Jasper Ffordes >>>Der Fall Jane Eyre, genial. Wie überhaupt alle weiteren Abenteuer der Agentin Thursday Next. Nicht nur die Tatsache, dass Jane Eyre als Geisel genommen wird und die Handlung des Romans auf dem Spiel steht, auch die Machenschaften der Chrono-Garde und diverser anderer Protagonisten in dem Buch… am besten lesen. Und süchtig werden…

  2. Zensur a) ich lieh, weil ich nur den 2. band besitze, den ersten Band von Jim Knopf aus der Bibliotheks aus. dort heisst China jetzt ‘Mandala’.

    b) Ich mag grade sehr die serie ‘Kmapfstern Galactica’, nicht nur weil da alle rauchen und saufen. der alki ist ja noch der ‘Böse’ aber einen Pilotin zündet sich immer wieder einen Zigarre an. Im US-TV. UNd jede US-serie erfindet ihr e eigene umscreibung für F***, bei Firefly flucht alles Chinesisch, bei Farscape heisst es ‘frell’ bei Galactica ‘frak(ed)’.

    Die Zensur erzeugt sozusagen NOCH mehr ‘böse’ Worte.

    (Puh, dei buchstaben sind hier immer noch winzig, ich glaub wir müssen echt mal im CSs schauen…) der text ist so klein,. dass ich ihn nicht korrekturlesen KANN.

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