Sonnabend, der 22. April 2006.

6.44 Uhr:
[Britten, Zweite Suite für Cello solo.]Alexandra kam herüber gestern abend, ich hatte Weißfisch in einer leichten CurrySauce, Spinat mit indischen Gewürzen (Cardamom, Cumin, ein wenig Garam Masala) sowie Wildreis zubereitet; eine Caprese dazu, für die ich das frische Basilikum verwandte, das ich zusammen mit einem Topf Rosmarin tags auf dem Markt besorgt hatte und das nun mit dem Rosmarin vor meinem Studio auf dem HolzPlateau’chen steht und sich bereits jetzt sichtbar wohlfühlt. Der Junge, der außer Fischstäbchen Fisch nicht mag, bekam eine Möhrensuppe. Alexandra brachte zwei der LabradorWelpen mit, „man kann gar nicht von ihnen lassen“, sagte ich, „wenn die einen anschaun“. Sie: „Einen braunen h ä t t e ich noch…“ Aber zum einen g e h t das in der Villa Concordia laut Hausordnung mit der Haltung nicht, zum anderen würde es n a c h dem BambergJahr für den Hund eher traurig in Berlin. Adrian fragt gar nicht erst, guckt nur manchmal auf mit so einem Blick, der dem der Welpen nicht ganz unähnlich ist. „Die Tiere fressen dich arm!“ warnte am Telefon der Profi. „Die werden riesig!“ Also, Leser, nehmen Sie das nur so als Morgengedanken.
Bin erst um halb sieben auf, nachdem um halb vier mein Junge aus dem Bett fiel, KAWUMM machte es, ich saß halb senkrecht im Bett, der Junge weinte, ich hob ihn ins Bett wieder hinein, jetzt wußte ich jedenfalls, weshalb es da oben dieses Metallgitter gibt. Offenbar war das Kind mit der Stirn aufgekommen, die es sich nun weinend hielt; dabei wachte es aber nicht etwa auf, nein, dies alles geschah während seines dauerhaften Schlafes, der Junge öffnete nicht einmal die Augen – hörte unvermittelt zu weinen auf und schlief einfach weiter. Bin mal gespannt, was er nachher erzählen wird, das er geträumt habe; ich sag erstmal nichts.

Nun geht die erste BambergWoche vorüber, getan hab ich ein paar Kleinigkeiten; am Montag will ich aber loslegen: Schreiben während der Rückfahrt von Berlin nach Bamberg im ICE, dann mich um den hoffentlich endlich freigeschalteten DSL-Anschluß kümmern (die Geräte, auch der T-Com-Splitter, sind unterdessen hier eingetrudelt), aber auch um die drei Computer in der Bibliothek; man scheint mich hier jetzt für einen Experten zu nehmen, jedenfalls habe ich für Montag um 12 einen Termin mit dem hiesigen ComputerWart – und um 15 Uhr einen weiteren, anderen, mit dem Direktor des Coburger Gymnasiums, der >>>> hieran interessiert ist. Und ein, sagen wir mal, ‚Liebesbrief’ kam:Sehr geehrter Herr Herbst,
bitte kommen Sie zu einem Gespräch am 26. April 2006 um 15 Uhr in unser Sekretariat. Herr Goldmann möchte sich gerne mit Ihnen kurz über die >>>> Hausordnung des Hauses unterhalten, zu der Sie einige Anmerkungen schrieben.
Mit besten Grüßen
i.V.*

[*) 20.52 Uhr im Link.]


Ich frag mich, was das soll. Man sieht sich täglich mehrere Male persönlich; wozu da die Schriftform? Ein bißchen albern ist auch, daß man sonstige Nachrichten aus dem Sekretariat per Email zugeschickt bekommt. Da scheut der Amtsschimmel offenbar ziemlich orientierungslos im Büro herum und sieht vor lauter Aufregung den Hafer nicht, weshalb die Stallburschen in den sowieso engen Raum noch Pfade einzäunen, die der Gaul nun entlangläuft. Seltsam.

Gut finde ich >>>> diese Diskussion, vor allem auch, daß sie sich in Der Dschungel verselbständigt hat und das Thema a l s Thema lebendig hält. Ich diskutiere deshalb nur sehr zurückgenommen mit, um nicht dominant oben draufzuschlagen. Außerdem bin ich innerlich ohnedies sehr bei Lakshmi und deshalb momentan nur noch sehr locker mit dem Themenkomplex assoziiert, theoretisch sozusagen; zur Praxis drängt mich nichts. Ich fühle Tulpen — jaja, der Satz mag Ihnen kryptisch vorkommen, aber das ist in der Ordnung so, Sie werden, wenn Sie sich auf ihn einlassen, Fantasien genug entwickeln.
Darüber – über die Hintergründe des Satzes – sprachen gestern abend auch Alexandra und ich. „Wenn Männer einmal lieben…“, sagt sie und daß ein solch liebendes Geworfensein gemeinhin Frauen zugesprochen werde, „aber Frauen sind anders, sie kommen mit Trennungen von Männern, die sie lieben, sehr viel leichter klar.“ „Sie sind“, sage ich, „im Wesen pragmatisch.“ „Ja“, sagt sie. Hier wirkt ein zweiter, tief in der Natur verwurzelter Zusammenhang; auch den hat das Patriarchat verdreht umgedreht: nicht nur den Frauen abgesprochen, Sexualität sei für sie nicht so wichtig (was ein restloser Humbug ist und patriarchale G e w a l t, vielen Frauen das zu indoktrinieren), sondern auch das ‚Romantische’ i h n e n zugesprochen. Doch die Sehnsuchtslieder, wenn man freilich von Sapho absieht, kamen fast durchweg von Männern; Sapho aber war Lesbierin und die eigentliche Wirkbewegung außer Kraft: wie schütze ich meine Kinder? Männer zogen/ziehen im Zweifelsfall weiter und lassen ihre Kinder zurück bei den Frauen. Sicher gibt es auch Frauen, die ihre Kinder zurücklassen, aber es sind, schon aus sozialen Gründen, sehr wenige. „Im Zweifel sind es immer w i r, die die Karre aus dem Dreck ziehen“, sagte U., ich erinnere mich gut, schrieb in Der Dschungel auch schon darüber, „deshalb lassen wir uns nie g a n z auf eine Liebesobsession ein, sondern halten uns immer einen Fluchtweg frei.“
Vieles, was das Patriarchat verbrach und verbricht, hat Ursachen möglicherweise in Notwehr; das ist nicht mehr bewußt, und die Folgen haben sich gleichsam ontologisch chronifiziert, aber schon Cato sagte: „Wären sie (die Frauen) uns gleichgestellt, sie wären überlegen.“ Und >>>> Apollonia, eine d o m i n a n t e Frau, spricht von einem bis in die Gegenwart wirkenden heimlichen Matriarchat, das von den Männern, so sie nicht Machthaber sind, internalisiert worden ist. Heimlichkeit scheint überhaupt das Spielfeld zu sein, auf dem Frauen geradezu perfekt agieren; möglicherweise findet sich auch hier ein Grund für das Buchverbot, das mich traf. Und w i e d e r: „Wieso müssen Sie immer so genau hinsehen? Weshalb es auch noch beschreiben?“ fragte mich seinerzeit die Regisseurin, die nach Lektüre des verbotenen Buches dieses kurze Filmportrait über mich drehte. „Wieso behalten Sie die Dinge nicht einfach bei sich?“ Weil die Haltung des M a n n e s die Offenheit ist. Daß Diplomatie und Jurisprudenz eine andere Sprache sprechen, macht sie, in d i e s e r terminologischen Metaphorik, weiblich – a u c h ein Gedanke, der eines Paralipomenons wert ist. Mal sehen.
Bitte verstehen Sie, daß ich von weiblich und männlich hier als von Wirkprinzipien spreche, es sind Ideen wie Yin und Yang, die in der Wirklichkeit in solch ‚reiner’ Prägung kaum vorkommen, aber dennoch in der Wirklichkeit ihre physischen, physiologischen und psychologischen Wurzeln haben. Tatsächlich m i s c h t Natur, aber sie verwendet einen begrenzten Formenkanon. Ganz so, wie es Grundfarben gibt, aus denen sich alle übrigen Farben bilden. Und gleich ein Gedanke hinterher: Daß etwas aus anderem zusammengesetzt sei, heißt nicht, es sei weniger: als Phänomen i s t es, und zwar nicht minder denn ein anderes. Wer sich das bewußt hält, gerät auch nicht auf das nächste NotwehrErzeugnis: die ontologische Scheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem (von Substanz und Akzidenz). Das Mischlingskind ist ganz genau so und ganz genau so umfassend Mensch wie jedes andere Kind, >>>> zwischen den Subjekten a l s Subjekten gibt es keinen Unterschied des Wertes.

21.34 Uhr:
[Der Junge schläft. Das Wehr rauscht bis hierher. Fledermäuse huschen nervös zwischen Laternenschein und tintendunkler Regnitz.]

Letzter gemeinsamer Tag dieser ersten Bambergwoche. Wir sind gemeinsam durchs Städtle gelaufen, mein Junge und ich, haben das zweite Emil-Buch abgeholt und dies und das, auch schon für die Rückreise, besorgt, nachmittags holte ihn wieder sein neuer Freund zum Spielen ab; da lief ich noch einmal um Mitbringsel für Lakshmi und für den Profi, aber es war schon zu spät: vieles wird hier sehr früh geschlossen. So schaute ich noch nach Mails, formulierte an Dschungeltexten herum, schrieb einen Terminplan und eine Liste derjenigen Dinge, die noch aus Berlin hierherzubringen sind, durchblätterte meine Textdateien, doch eher unstet alles als konzentriert. Dann kam der Junge zurück, es mußte schon gepackt werden, gekocht werden, derweil stromerte er noch mit anderen Jungen über die Mauer, wir aßen, wir duschten, es ging für ihn vergleichsweise früh zu Bett, da wir morgen bereits kurz nach acht aus der Villa müssen. Vierzig Seiten Emil II lasen wir, im Bett, aber d o c h. Er nölte, als ich Schluß damit machte, aber war innert zweier Minuten tief eingeschlafen.
Um 9.09 Uhr wird der ICE gehen, gegen zwei werden wir in der Berliner Kinderwohnung sein. Seine Mama wird nach dem Job zu uns kommen; ob er danach bereits wieder bei ihr oder noch einmal bei mir schlafen wird, ist ungewiß; unser Telefonat war heute ein Weniges schmerzlich distanziert;; vielleicht nahm Lakshmi die Erwähnung Alexandras falsch auf. Bin deshalb beklommen und richtungslos verstört. Es wird Zeit, daß ich energisch in meine Arbeit zurückfinde.

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