Arbeitsjournal. Freitag, der 18. August 2006.

7.39 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Erst um halb sieben hoch, dann gleich an die sechste Elegie; lief sofort. Ich hätte sie heute gern in der Rohfassung fertig, aber sie läuft wie ein Fluß weiter und weiter. Sehr konkret kommt jetzt Bamberg hinein, eigentlich unwillentlich erst, aber imgrunde mit basalem Recht. Morgen geht’s wieder nach Berlin, am Montag ist Einschulung meines Jungen in die zweite Klasse, da will ich dasein, am Mittwoch hat er die erste Stunde seines „Instrumentenkarussels“ der Musikschule, das möchte ich ebenfalls erleben. Außerdem hat mir das Finanzamt gleich noch die Steuer für 2005 aufgedrückt, das muß ebenfalls getan sein. So bange ich nun ein wenig um den ‚Anschluß’ an die siebte Elegie; als ich die fünfte schrieb, in Berlin, merkte ich, wie sehr mir dieser Bamberger Standort fehlt. Ich hab das gestern abend bei einem Bier Zschorsch gegenüber ausgedrückt, fand ein, glaub ich, gutes Bild dafür: „Es ist“, sagte ich, „als füllte ich eine Feldflasche mit Bamberg ab und als nähme ich in Berlin, an den Elegien schreibend, immer wieder Schlucke daraus. Aber irgendwann ist die Feldflasche leer, dann muß ich wieder hierher zurück. Oder kann an den Elegien nicht weiterschreiben.“ Bamberg nimmt mir alles, was ich in den großen Städten so liebe, was mich begeistert, was meine Gedanken herumwildern läßt und meiner Romanästhetik ihre Modernität verleiht – dafür gibt mir das Städtchen eine Besinntheit, die es erlaubt, momenthaft-stehend einen Strich unter alles zu ziehen, um poetisch eine nicht Summe, nein, aber Zwischensumme zu berechnen. In Berlin ist das ausgeschlossen.
Hier meditieren Katecheten in weiten Gebäuden,
milden Gebäuden machtloser Schönheit, bergan, Missionen,
die nichts mehr wollen und sich endlich zum Schlafen legten,
lauschend, doch immer noch streng. (Deshalb ist kein Kitsch hier.)
Und, C., sie schmecken dem warmen Glaubensverlust nach, wie ich’s tu.

Sechste Bamberger Elegie.

10.48 Uhr:
Die Jungens schlafen noch immer. Die Sonne bricht durch. Seit Tagen habe ich im firefox-Browser >>>> Pauli ersten Konrintherbrief geöffnet und mag und mag ihn nicht schließen. Nein, Leser, ich bin n i c h t gläubig, schon gar nicht monotheistisch. Aber etwas daran faßt mich an. Es mag am katholischen Bamberg liegen; und eines ist klar: eine protestantische Stadt erreichte so etwas nicht in mir. (Bombays Jama Masjid hat es erreicht, auch die Moschee in Córdoba, ein Jainttempel bei Udaipur, hier das Gewölbe von St. Michael, die Außenfassade San Domenicos in Noto auf Sizilien und einige andere sakrale Gebäude mehr, sei’s innen, sei’s außen.)
(Anders nicht läßt Tintoretto Maria in der oberen Pfarre
auffahrn zum Sohn und sitzt ihm heidnisch zur Seite,
ganz zerküßt ist ihr gütiger Fuß, wundervoll menschlich.)

Wie oben.

12.26 Uhr:

22.27 Uhr:
Weit gekommen mit der >>>> sechsten Elegie, aber sie wächst und wächst. Also werd ich sie heute kaum noch zuende bekommen, zumal die Jungs früh aufmüssen, damit wir den 9.09er ICE nach Berlin erreichen. Kleiner Spaziergang mit Zschorsch und den Jungens erst >>>> zum Tintoretto in der Oberen Pfarre (meine Fotografie wurde nichts, und mit Blitz mag ich nicht fotografieren bei Kunst), danach zu St. Michaels floristischen Malereien (sämtliche in der Bibel erwähnten Pflanzen zieren filigran die hohen Gewölbedecken), dann hinab durch den Terrassengarten (wilde Pflaumen gepflückt) und zurück in die kleine Stadt.
Indisch gekocht sodann, zweierlei Dal, Reis, mit Kumin versetzter Joghurt usw., Zschorsch aß mit, dann war es schon 22 Uhr. Den Tintoretto zu s e h e n, nachdem mir Zschorschs Erzählung bereits solche Fantasien gemacht, war wichtig. Es sind zwar keine Taue gezeigt, die zögen, aber die beiden Maria hebenden Engel haben’s wirklich nicht leicht: sie s t e m m e n die Frau, man kann sie geradezu hören. Solch ein Widerstand ist! Das ganze Bild schwitzt vor Anstrengung, und a l l e stemmen, wenigstens seelisch, mit: sogar der Nazarener ist herabgekommen, schwebt massiv über der Mutter, zeigt uns das Stigma seines rechten Fußes sohleninwärts: ein fast wundloses, nahezu aseptisches Loch.
Ein paar Elegiezeilen noch, vielleicht, dann geh ich schlafen. Ah, in St. Michael gab’s etwas, das mich außerdem beeindruckt hat: Luzifers Fall unter Gabriel. Die einzige Figur, er, die körperlich wirkt. So schwarz sie auch ist, oder w e i l sie es ist.

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