Arbeitsjournal für den 26. August 2006.

6.14 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung, Küchentisch.]
Dadurch, daß für den Jungen gestern die Schule ausfiel und er hierwar, war das wirklich nichts, was ‚Arbeitstag’ genannt werden könnte, nicht einmal für den Steuerkram. Keine Zeile an der >>>> siebten Elegie weitergeschrieben. Es bleibt von Tagen, an denen nicht wirklich etwas entsteht, immer ein schales Gefühl. Als wäre man gar nicht gewesen.
Da muß ich heute stoisch durch, damit am Montag, wenn’s zurück nach Bamberg geht, wenigstens die Steuerscheiße steht. Nächsten Freitag kann ich das Zeug dann bei der Steuerberaterin abgeben, und wenigstens das ist dann vom Tisch.
Das >>>> hier beschäftigt mich. Es war immer so: Ich kann Zuspruch bekommen, so viel ich nur will, quäkt ein einziger, werde ich innen unsicher. Also sofern ich an etwas sitze, das mir selbst nicht ganz geheuer ist. Wird gar jemand negativ kritisch, auf den ich große Stücke halte, kann ich radikal alles um-, im literarischen Sinn heißt das: alles wegwerfen. Um 1983/84 hatte ich bereits einmal solch einen Lyrik-Schub, auch damals war’s eine Umbruchphase inkl. Suizidversuch 1982: ins Auto gesetzt, ‚Anlauf’ genommen und voll gasgebend gegen eine Hauswand gebrettert; ich hatte nicht eine einzige Schramme; damals lernte ich die Psychiatrie für zwei Beobachtungswochen von innen kennen, im geschlossenen Haus. Jedenfalls fing ich Gedichte zu schreiben an, stoßweise, wie einer fickt heißt’s im verbotenen Buch. Zeigte sie dem Dichter >>>> Paulus Böhmer. Der hob eine Braue und sagte: „Das Zeug meinst du nicht ernst.“ Als er heimging, nahm ich den ganzen Packen aus dem Leitzordner, treppte meinerseits abwärts und übergab alles der Mülltonne. Manchmal denk ich jetzt: Schade; vielleicht sind Zeilen dabeigewesen, die man heut brauchen könnte. Behalten hab ich nur vier oder fünf Gedichte, >>>> das zum Beispiel, sowie >>>> dieses und noch >>>> das für Romy Schneider. Den nächsten Gedichtschub hatte ich dann erst wieder 16 Jahre später mit den Stadttexten. Auch er war mit einem persönlichen Umbruch verbunden, schaffte es aber immerhin in >>>> SINN & FORM und in den >>>> Literaturboten. Und jetzt häng ich in Elegien. Ein bißchen den Kopf schütteln sollte ich selbst vielleicht. „Ich glaube“, schrieb mir >>>> parallalie gestern, „Deine Gedichte wurzeln in Deiner Prosa.“ Da mag was dran sein; ich habe aber eher den Eindruck, sie wurzeln in tiefen emotionalen Schüben, die sich anders nicht abhalten lassen, wie kleine Bomben auszubrechen. Etwa irritierte mich ein Gespräch mit dem Lyriker >>>> Dieter M. Gräf, das ich vor etwa drei Wochen im LCB führte. Er erzählte, daß er Themen und Bilder suche, und habe er eines gefunden, dann sitze er ein paar Tage an dem Gedicht; danach suche er wieder. So verhielte ich mich, wahrscheinlich, bei Prosa, wenn mir nichts mehr einfiele: Storysuche.

Bevor ich mich wieder an das Buchhaltungszeug setze, will ich jetzt wenigstens ein paar Zeilen Elegie zuwegebringen. Mal sehen, ob sich gleich ein Anschluß findet. Und die kleine Ellis-Korrespondenz für >>>> literaturkritik.de muß am Wochenende durchgesehen werden; man hat sich geeinigt, Leser, und nun soll das Zeug auch erscheinen.

ARGO ist derzeit weit weg.

17 thoughts on “Arbeitsjournal für den 26. August 2006.

  1. Unsicherheit ist zur Abwechslung mal nicht schlecht, ANH, sie wird Sie nicht aus der Bahn werfen.Außerdem sind das ja alles persönliche Urteile und gehören zur jeweiligen Person, dann erst kommen Sie. Dazwischen ist ein Stück (wie ein Schnitt zwischen Du und Ich) Raum, sagen wir das Flüsschen, das vor Ihrem Atelier in Bamberg dahinmurmelt Rufen Sie dem Strom zu: “ich habs gehört, nun nimms mit dir fort!”

    1. Unsicherheit, virylant, ist Teil meines Berufes. Und seit je Teil meiner Person. Auch wenn das nicht immer oder selten so aussieht. Man muß sie überwinden, sonst entsteht kein Werk, das tragfähig wäre.Tatsächlich rauscht man permanent zwischen Selbstzweifel und Hybris hin und her. Wäre dem nicht so, man wäre Angestellter oder Religionsstifter geworden.

    2. Nun gehört sich doch mal eine Lanze für den Angestellten gebrochen: Angestellte sind nicht vor Selbstzweifel und Hybris gefeit, lieber Herbst. Was ihnen fehlen mag, ist der Mut, vielleicht auch das notwendige Talent (vielleicht die dafür notwendig klare Vision), derart entschieden den Weg zu gehen, wie Sie es tun. Ich – selber ein Angestellter – spreche aus Erfahrung. Scheren Sie nicht alle über denselben Kamm.
      (Die Religionsstifter wiederum gehören in eine andere Kategorie als die Angestellten. Und auch da wäre ich mir betr. Selbstzweifel nicht so sicher – denken Sie an die Szene im Garten Getsemane.)

    3. Vereinfachungen. Sind Bilder. Insbesondere in polemisch gefärbten Repliken. Tatsächlich sind Angestellte deutlich abgesicherter als irgend ein Selbstständiger, soweit nicht Vermögen hinter ihm steht. Er hat einen 8-Stunden-Tag, fest definiertes geregeltes Einkommen, eine ebensolche soziale Absicherung und Rentenerwartung im Alter. Der Religionsstifter, auch der aus Nazareth, ist doch wenigstens insoweit sicher (und hybrid), als er predigt. Sonst schwiege er oder verfaßte allenfalls Paralipomena. Oder lebte für sich in Einsiedelei.

    4. Der Genauigkeit halber. Der Nazarener hat nicht gepredigt. Die – von einer sehr dummen oder sehr berechnenden kirchlichen Tradition so genannten – Bergpredigt besteht zu weiten Teilen aus – tja – Paralipomena. Und er hat vor allem Geschichten erzählt, “Gleichnisse” nennen es die Christen und legen damit den irrigen Schluss nahe, man könne diese in einfache Gleichungen – meist moralische – übersetzen. Auch das ist falsch. Die Geschichten sind bei genauerer Betrachtung nicht auf eine Aussage hin aufzulösen.

      Aber es stellt sich mir ohnehin immer wieder die Frage, wenn ich in Die Dschungel von christlicher Religion lese: Sprechen Sie von der Kirche, von Aussagen in der Bibel (die die Kirche sehr gerne aus dem Kontext nimmt und in den eigenen hineinstellt), von eigenen Ehrfahrungen? Mir scheint, als vermischten sich diese Ebenen in Die Dschungel bisweilen. (Vielleicht sind diese Unterscheidungen auch völlig uninteressant für den, der sich nicht intensiv hiermit beschäftigt hat, aber wer’s getan hat, seufzt manchmal, wenn er hier liest.)

    5. Ich kann diese Trennung von Kirche(n) und Christentum nicht nachfühlen. Auch der “Urtext”, der ja selbst permanenter Bearbeitung unterlag, ist für mich bereits Kirche, und zwar spätestens mit der Gemeindebildung. Und es geschieht in Ihrer Kritik – die ich zugleich sehr akzeptiere – sprachlich ja selbst, indem sie von “die Christen” sprechen. Wer wäre das denn, gäbe es nicht eine Kirche, also ihre Form?

      P.S.: Insgesamt entspricht meine Haltung zum Christentum derjenigen Nietzsches, wobei ich den Monotheismus insgesamt im Blick habe, nämlich das M o n o – Theistische, das ich, anders als (wahrscheinlich) Nietzsche, für politisch unheilvoll halte – weshalb sich mir auch kein Aus/Weg in irgend eine Form von ‘Übermensch’ eröffnet – eine Vorstellung, die ich ganz genau so entsetzlich finde wie den des “einzigen Gottes”.

    6. Ich trenne nicht zwischen Kirchen und Christentum. Sondern zwischen diesen und dem ihnen zugrundeliegenden Text. Zur permanenten Bearbeitung, die zweifellos noch immer stattfindet, und sei’s auch nur in Form immer neuer (teils furchtbarer) Übersetzungen z.B. ins Deutsche, sind bereits Bibliotheken vollgeschrieben worden.
      Vielleicht ist meine Position auch völlig absurd: die nämlich den Versuch vertritt, biblische Texte o h n e den uns von der Kirche eingetrichterten Interpretationsansätzen folgend zu lesen.
      Es gibt Textpassagen (sicherlich nicht alle!), die weit über die (vielleicht) intendierte Aussage hinausgehen. Es gibt Passagen, die mich – wie unlängst Ihnen mit dem 13. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther ergangen – berühren, beschäftigen und umtreiben. Die von der Kirche angebotenen Interpretationen vermögen dieses Berührtsein nicht erklären, zerstören es sogar.
      Um es noch einmal anders auszudrücken: Es gibt Bibeltexte, die sich den Absichten der Autoren entziehen: Kunst sind.

      (Ihre Haltung verstehe ich und teile sie teils auch. Nur werfen Sie in Ihrer Polemik auch das Schöne, Vieldeutige über Bord.)

    7. (Das ist nicht ganz wahr). (Nämlich vor allem da nicht, wo ich starke heidnische Elemente, namentlich matriarchale und polytheistische, im Christentum spüre. Ich schreibe ja immer wieder von meiner Faszination gerade in katholischen Kirchen. Ich spüre sie und gehe ihr nach. Auch meine Polemiken sind oft ein umgedrehter Ausdruck dieser Faszination. Einer meiner wichtigsten Lehrer, jemals, war Jesuit. Gruber hieß er und heißt er, hoff ich, immer noch. Es ist fast nicht erklärlich, wie sehr dieser Mann, den ich keine zweieinhalb Jahre lang vielleicht zweimal pro Woche als Lehrer auf dem Abendgymnasium hatte, in mir bis heute ungebrochen nachwirkt. Daß es hier eine Loyola genannte Rubrik gibt, hat, über fünfzehn Jahre nach meiner letzten Begegnung mit diesem Mann, genau damit zu tun.)

    8. Späte Näherungen an eine Diskussion. – Polytheismus, Animismus und andre Vielgöttereien gehören für mich in die Kindheit des Menschen. Echnatons Versuch einen Gott zu etablieren fehlte die gesellschaftliche Grundlage, die Priesterschaft Amun-Re’s und andere spürten Konkurrenz und den Zuwachs an Macht des Pharao, der sich mit Aton legitimierte.
      – Die zu staatlicher Rationalität und Vernunft geronnenen römischen Götter, die in der „Monarchie“ des Augustus zu „Einem“ verschmolzen, wehrten sich unter Diokletian vehement mit allen Mitteln staatlicher Gewalt gegen ihre monotheistischen und polytheistischen Konkurrenten. Diokletian ist gescheitert, wie wir wissen. Denn polizeilich war dem Christentum, was in Roms Zeiten apokalyptisch fühlte, nicht beizukommen. Die polytheistische Subversion (Marienkult, Heilige, Ikonen uvm.) des Christentums war in den folgenden Jahrhunderten einem klugen, politischen Opportunismus der Päpste geschuldet, die sich auch damit ihre ideologische, politische Macht sicherten und sich und ihr Personal ökonomisch versorgten.
      – Erst die merkantil zurechtgeschliffene protestantische Revolte durch Luther, Calvin u.a., und später durch Port Royal, weckte jenen Geist, dem wir die Enzyklopädie verdanken. Ohne den Anspruch eines einzigen Gottes, so meine Meinung, wäre eine Aufklärung nicht möglich gewesen. Die Bibel, Grundwerk dreier Buchreligionen, bereitet diese historisch lange Entwicklung vor. Das zum abstrakten Buchstaben verwandelte Gottesbild JHWH, löst sich in mannigfaltige Textpermutationen auf. Sie stehen heute in alten Klöstern und neuen Bibliotheken. Wir können sie aufschlagen und in ihnen lesen. In dem kleinen marginalen Text – “Soll der Mensch sich für die Wahrheit totschlagen lassen? – des Romanisten Werner Krauss, um den hier angeführten 1Kor 13, 1 gerecht zu werden heißt es: “Die Aufklärung steht dem Christentum ( nach ihrer Meinung) viel näher als die Kirche, die ihre Entfremdung vom Christentum durch Angewiesenheit auf Schlüsselgewalt bekundet. Die Aufklärung sieht sich durch Matthäus Evangelium* vor allem bestätigt: dagegen wird der Opfertod Christi als Verbrechen an der aufgeklärten Menschheit bedauert, nicht aber als Bestandteil seiner Lehre gewertet. Die Initiative Christi besteht in der Anknüpfung an seine pädagogische Praxis.”
      *Bergpredigt

    9. “Ohne den Anspruch eines einzigen Gottes, so meine Meinung, wäre eine Aufklärung nicht möglich gewesen.” Ohne den Anspruch eines einzigen Gottes wäre auch keine moderne Diktatur, wäre auch Hitler nicht möglch gewesen, der seinen Herrschaftsanspruch symbolisch d i r e k t aus der Bibel herleitet. Wie Ernst Bloch in “Erbschaft dieser Zeit” ein- für allemal klargelegt hat. Ohne den einzigen Gott, der ein einziges Volk – säkular gesehen: die Menschheit – über die Natur setzt, wäre, glaube ich tief, auch die Verklappung des Meeres und die Verhunzung von Natur insgesamt nicht denkbar. Zu dieser hat entscheidend auch die Aufklärung beigetragen, die überdies notwendigerweise schließlich selbst wieder mythisch wird.

    10. Lieber ANH, ich habe die “Dialektik der Aufklärung ” gelesen und hätte mir gewünscht, dass die Autoren eine pädogische Praxis entfalten, die Auswege aus dem Dilemma andenkt.

    11. Ich fürchte, Montgelas. Es gibt keinen.

      Neuere Bestandsaufnahmen der Sachlage hat Levi-Strauss vorgelegt. Die Medienwirklichkeit verschränkt sich mit der Dialektik der Aufklärung, die von jener noch nicht den Anflug ontologischer Ahnung hatte und auch nicht haben konnte, auf geradezu totalitäre Weise. Wobei man gegen diese Weise eigentlich nicht mehr opponieren kann, es sei denn mit Al Qaidas Mitteln, die aber nun erst recht kein – jedenfalls kein wünschbarer – Ausweg sind. Man wird vorgehen müssen wie ein japanischer Kämpfer: die Kraft des Gegners in die eigene Bewegung leiten. Ästhetisch gesprochen: ihr nahe kommen. (Wobei wir selbst ein Teil des Gegners s i n d.)

  2. Ha Ha! Man merkt, dass Sie seit mindestens 25 Jahren kein Angestellter mehr waren. unbezahlte Überstunden ohne Ende, real sinkende Einkommen oder sogar unbezahlte Arbeit und Angst vor Jobverlust sind heute die Realität Angestellter.

    1. Also mir ist, Frau M., kein Angestelltenstatus bekannt. Der seit 1981 ohne jede Lohnanhebung bezahlt würde und obendrein noch dafür Umsatzsteuer abführen muß, ohne daß sie dem “Arbeitgeber” als Vorsteuer berechnet werden könnte. Das ist aber exakt der Fall beim Öffentlich Rechtlichen Rundfunk, jedenfalls im Feature-Ressort. Unbezahlte Überstunden ohne Ende haben Freiberufler schon seit jeher, und was Künstler anbelangt, so gibt es so gut wie überhaupt keine Freizeit; jedenfalls wenn es sich um Künstler h a n d e l t. Das at aber auch etwas für sich. Denn was soll “Freizeit” sein, wenn man einen erfüllenden Beruf hat? Freizeit von der Erfüllung? Klingt albern, oder? Und vor einer Angst vor dem Jobverlust steht zumindest Lohnfortzahlung, wenn auch verminderte, durch die Arbeitsämter. Alles Zuwendungen, die es für künstlerische und die meisten anderen freien Berufe nicht gibt.
      Im übrigen finde ich das völlig richtig, daß Angestellte bisweilen auch mal 12 Stunden täglich arbeiten; immerhin bleiben ihnen – anders wiederum als Künstlern – die Wochenenden. Meinetwegen sollen die Leute gern auch 14 Stunden arbeiten; ich selber kenne das seit Jahrzehnten kaum anders. Finde das auch völlig okay; nur ist die Entlohnung i m m e r eine fragliche, rein prinzipiell.
      Der deutlich Vorteil eines freien Berufes ist allerdings, daß man sehr viel mehr und vor allem zu anderen Zeiten sich seinen Kindern zuwenden kann, als das den meisten Angestellten erlaubt ist. Ein Privileg, in der Tat, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

  3. solange… man sich in einem relativ neuem terrain bewegt,sind selbstzweifel immer verständlich und auch fruchtbar,da man selbst sein größter kritiker ist…vielleicht ist es eher das,was andere stimmen wachrufen?sie sind authentisch mit dem ,was sie tun..und manches was man tut,ist nur eine brücke zu anderem…wohin das führen wird,werden sie und wir alle sehen…vielleicht absorbieren sie den zeitgeist früher als andere…oder es führt zu etwas anderem,neuem?….aber ganz sicher hat ihre derzeitige arbeit ihre berechtigung……..zu entstehen:-)…

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