Arbeitsjournal. Sonntag, der 27. August 2006.

7.31 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung, Küchentisch.]
Mit Seelenkater erwacht. Habe gestern abend einen großen Fehler mit meinem Jungen gemacht. Es brach einfach aus mir heraus. „Kann ich heut wieder bei der Mama schlafen?“ Nachdem er grad einmal bei mir gewesen war. Vielleicht hat er auch recht, vielleicht spürt er, daß diese Trennung eigentlich ohne Grundlage ist unterdessen, daß es nicht mehr darauf ankommt, die Sphären so streng wie bisher auseinanderzuhalten. Aber so ist es ja nicht, ist ja nur ein unterliegender seelischer Zustand, der sich grad erst entwickelt und in keiner Weise robust ist. Für den Jungen, vielleicht, ‚kommt es schon nicht mehr drauf an’, für seine Eltern aber sehr wohl, und das k a n n ein Bub von sechs objektiv noch nicht nachvollziehen. Aber das war mir in dem Moment noch nicht klar, und ich wurde böse vor Trauer. Und weinte. Ihm wurde schlecht. Die Mama nahm ihn beiseite, ihn tröstend, mit ihm sprechend. Ich ging hinaus auf die Straße, um mir die Erregung wegzurauchen. Kam mir wie ein Ersatz vor, der dann dasein muß, wenn es bei der Mama nicht geht. Ersatzzuhause.
Später versöhnten wir uns, schon, aber der Riß bleibt. „Es ist wohl so“, sagte ich später zu ihr, „ein Mann wird niemals die Mutter sein können, er kann sich anstrengen, wie er will, liebevoll sein, wie er will, bieten, gerade auch emotional, was immer er will. Er wird es nicht sein für das Kind.“ Darauf sie, sehr ruhig: „Aber ohne den Vater geht es halt auch nicht.“
Das beschäftigte mich den Abend, die Nacht, jetzt. Versuche, mich in die Kinderseele hineinzuversetzen, die zerschnittene, der die innere runde Elternrepräsentanz zerschnitten wurde und die darauf angewiesen ist, zwischen diesen Sphären gerdezu zu surfen, und zwar nicht als Spiel, sondern hochachtsam darauf bedacht, nicht eine von beiden zu verletzen. Was muten wir Eltern unseren Kindern zu! wenn wir uns trennten. Und doch, beide, da sind fürs Kind. Immer wieder deshalb in mir die Frage, ob es nach einer Trennung nicht besser ist, ein Elternteil verschwindet g a n z. Bis das Kind, eines Tages, sich selbst aufmacht, um das Verschwundene zu suchen und in sein Leben willentlich zu integrieren.
Ich weiß es nicht. Prokle an einem Gedichtchen darüber herum, das ganz schlicht sein soll, ganz kindlich, hinter dem aber auch die volle Katastrophe von Kindern steht, die in getrennten Elternhäusern aufwachsen.
Sonst pausiert alles, auch die Siebte. Die Steuerordnung, die so dringende, ist in Verzug; auch heute werd ich nicht viel weiterkommen, und morgen früh geht’s wieder nach Bamberg.

21.35 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung, Küchentisch.]
Auf welch seltsame Wege sich die Dinge bisweilen begeben! Meine große Sorge und Niedergeschlagenheit wegen des Vorfalls gestern abend dreht sich heute herum in einen völlig unerwarteten Anflug von guter Klarheit. Daß das Kind weinte, führt zur Besinnung der Eltern, die sanft miteinander sprechen. Und von Zukunft sprechen. Und von den Ängsten. Und von den Fragen. Vorsichtig, zögerlich, tastend. Aber mit einem Mal sind über dem Weg Lichter angegangen, schimmernde, schummrige, aber Lichter, und man sieht ihn. Und weiß wieder, man wird ihn gehen miteinander.
An der Steuer hab ich rein nichts getan, außer daß ich mich entschloß, nun d o c h morgen ein paar der Unterlagen zur Bearbeitung mit nach Bamberg zu nehmen. Dabei fand ich einen Hefter, auf dem nicht nur „Rechnungen“ stand, sondern es waren auch welche darinnen, die ich bislang völlig übersehen hatte. Jedenfalls war ich fürs Zusammenpacken der Papiere kurz in der Arbeitswohnung, schaute mich um, dachte: Das da nimmst du mal wieder von der Wand, dieses hier von der Lampe usw. Klarheit herstellen im Raum; das ist – ich kenne es von meinen Schreibtisch-Aufräumaktionen zur Genüge – ein symbolischer Akt der Herstellung innerer Klarheit. Außerdem hab ich an der siebten Elegie was getan, und es läuft ganz wie bislang. Sogar fügen sich vereinzelte Skizzen und bislang Fragment gebliebene Strophen ein. Mein Junge hat mich heute tatsächlich einmal im Carom geschlagen.
Jetzt surf ich noch ein wenig herum, schreibe vielleicht auch noch ein paar wenige Elegie-Zeilen und geh dann schlafen. Den 6.42er ICE ab Gesundbrunnen will ich morgen früh erwischen. Wäre gut, bekäme ich die siebte Elegie im Zug als Rohfassung fertig; ich möchte noch diese Woche mit der Concordia-Leitung wegen eines Buchprojektes sprechen: wo könnten die Stücke besser verlegt werden als in der dortigen Reihe? Danach Steuer, dann unbedingt Pettersson. Das Ding fängt an zu drängen. Am Donnerstag reise ich nach Berlin zurück, um dort zu sein, wo ich derzeit wirklich gebraucht werde, immer dringender gebraucht werde, wie ich weiß. Es ist ein Balanceakt, da ich es mir, zumal in der jetzigen Situation, nicht leisten kann, abermals in totale existentielle Not zu geraten. Also darf das Stipendium nicht gefährdet werden, zugleich aber auch nicht, was sich in Berlin abspielt. >>>> Kaum spreche ich in den Elegien von der vorübergehenden Flaute, kommt schon neuer Wind auf, und zwar heftig. Aber er ist erwartet, Schiff und Köter harrten längst zum Sprung.

P.S.: Auf des >>>> Steppenhunds Beitrag habe ich, bezüglich Tristan, >>>> dort geantwortet.

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