B.L.’s 6.9. – in Schweiß gebadet

21:13
Fürchterlicher Gedanke heute Nachmittag: Ich sei schon bei meiner Zeugung ein Fehler gewesen! Zwar habe ich immer gedacht, daß da in meiner Hinsicht etwas schief gelaufen ist, aber so habe ich es mir noch nicht formuliert. Und diese Formulierung kam einer Katastrophe gleich. Gleich kam der Gedanke daran, daß es kein Hochzeitsbild meiner Eltern gibt: Nur ihn gibt fotografisch als Bräutigam, sie war zu dem Zeitpunkt hochschwanger, denn ich wurde zwei Wochen nach der Hochzeit geboren. Und sie war immer noch 19 Jahre alt, meine Mutter. Ich also als eine ungewollte Verlegenheit. Wegmachen ging wohl nicht, weil mein Vater sicher die noch neun Jahre zuvor verblutete Mutter im Kopf hatte, wegen einer Abtreibung (wir sind im Jahr ’45, und der Krieg ist zu Ende, und die Ehemänner kehren heim (auch wenn ihr Mann dann doch nicht heimkehrte: verschollen beim Rückzug vor den Russen in Küstrin an der Oder)): irgendein Ostarbeiter, der auf dem Hof damals hatte arbeiten müssen. Und so komme ich mir fast als Kind dieses Ostarbeiters vor. Ich weiß nicht, was an den wenigen Gerüchten ist, die ich mal hörte: die SS habe die Ostarbeiter im Dorf dann irgendwann in einer Scheune zusammengetrieben, wo heute der Friedhof ist: und dann draufgefeuert oder Feuer angelegt – ich weiß nicht, wen ich da noch fragen könnte.
All dies im Zusammenhang auch mit der „Akzeptanz meiner selbst“ und damit, daß gestern doch wieder gestritten wurde im Eheleben: ein Vorwurf meinerseits gebiert dann immer zwei Vorwürfe ihrerseits. Als wäre jede Kritik von vornherein vergebens. Du mußt dich drein finden. Nein, finde mich nicht darin.
Auch im Zusammenhang damit, daß seit der Abtreibung Mitte der neunziger Jahre die Verhältnisse zwischen uns eine Zäsur erfahren haben: Alle Leichtigkeit des Sexuellen war plötzlich nicht mehr da. Und dabei war gerade das Sexuelle zwischen uns ein wesentliches Bindemittel.
Manchmal weint man dann auch ein bißchen. Kann vorkommen. Daß ich jetzt hier darüber schreibe, heißt, ich habe eine gewisse Schwelle doch wieder überschritten. Wichtig ist auch das.

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