Arbeitsjournal. Sonnabend, den 16. September 2006. Hall in Tirol. Sprachsalz.

Guten Morgen, Leser, es ist 10.11 Uhr, die Nacht war lang, und ich habe keinen Handschlag gearbeitet. Doch ist dieses Beisammensein mit Kollegen, die zu Freunden werden, mit Lektoren, bei denen sich ähnliches abzeichnet, obwohl man über Jahre gegeneinander höchst mißtrauisch war… ist diese Stimmung insgesamt so sehr ruhig, so schaukelnd, möchte ich sagen, im Wind, daß es absurd wäre, meinen preußischen Arbeitsgeist das stören zu lassen.
Die Lesung der VERGANA gestern, der ich >>>> das Engelsgedicht voranstellte, hat sich als gute Wahl herausgestellt; und jemand, der mir wichtig ist, hörte erstmals zu. Und was die Vergana ist, begriff er und sagt’ es. So landeten wir denn alle nachts in der >>>> Diana-Bar, einer Berühmtheit offenbar unter den ihren, extrem teuer, aber dann… wissen Sie, der Wirt, „Herr Franz“, ist ein maniac geistiger Getränke, streng wie ein Künstler – und ebenso unerbittlich gegen die Nichtwissenden – schenkt er aus und verschenkt Achtung wie Mißgunst. Es kam denn, weil >>>> Robert Schindel Whisky wollte, aber sich nicht auskannte, zu einem kleinen Wortwechsel, ich orderte einen Ardbeg, ließ Schindel probieren, er orderte dann auch, und Herr Franz wurd’s zufrieden. Wohlgemerkt, die Getränkepreise zehren schon mal schnell das Honorar für drei Lesungen auf. Aber ich mocht’ auch nicht klein sein und mich nicht auf meine karge ökonomische Wahrheit zurückwerfen lassen – das ist, wie wenn Sie mit einer Frau essen gehen und sich den Stolz nicht nehmen wollen, die Rechnung zu bezahlen, auch wenn zuhaus der Gerichtsvollzieher droht. Wirklich eine Frage des Stolzes und des Geschlechtsspiels. Hier war es eine des stolzen Wissens und Genießens. Also bitt ich Herrn Franz um eine Beratung. „Sie kennen die Linie, die ich bevorzuge, Ardbeg, Talisker, peated bitte, gerne Muschelmerg, gerne viel Rauch, und der Whisky darf auch wie gutes Olivenöl beißen. Kennen Sie etwas, das ich vielleicht noch nicht kenne?“ Herr Franz sieht mich an, überlegt eine halbe Sekunde, dann geht ein drohendes Lächeln über sein Gesicht, und er beugt sich hinter sich tief tief hinab, holt eine Flasche…ja: ‚herauf’ und gießt ein. Kein weitres Wort, er stellt die Flasche vor mich hin, das Etikett aber von mir gewandt, dann wendet er sich anderen Gästen zu. Ich probiere, will noch gar nicht sehen, der Whisky ist abenteuerlich weit in den Geschmacksnuancen. Ich bin betört, bin neugierig, natürlich, und dreh die Flasche dann. Es ist ein Gordon & Macphail, Connoisseurs Choice, Islay, 1977. Momentlang schluck ich metaphorisch: Na, das wird meine 100-Euro-Grenze, die ich mir wohlweislich für diesen Ausflug in die Diana-Bar gesetzt hatte, sprengen… s e h r sprengen. Aber ich wollt’ ja nicht klein sein, lächle also und denke ‚Inschallah!’ (Zu Herrn Franzens Mißfallen haben wir zudem Bier geordert, ein Sakrileg in diesem Haus, auch wenn ich’s mit der Bemerkung, das sei für die Grundlage, ins Humorige ziehe; „statt Brot“, sag ich.) Doch als später die Rechnung kommt… meine Damen und Herren… 40 Euro… bin ich baff. „Da stimmt doch etwas nicht“, sag ich zu Herrn Franz, „das ist ein 30jähriger Whisky gewesen, vorher war’s ein Ardbeg, jeweils 4 cl….“ Herr Franz guckt streng. Dann sagt er: „Es sind m e i n e Preise.“ Ich versteh endlich, lächle ihn an: „Haben Sie eine Karte?“ „Selbstverständlich habe ich die.“ Aber sein Gesichtsausdruck bleibt unerbittlich. – Großartig war das, menschlich, in der Haltung, im gegenseitigen Stolz.

Dann sitzen wir alle wieder an der Hotelbar, ein Hunger kommt, ich ergatter die letzte Gulaschsuppe, die andren futtern Würstchen, es wird weitergetrunken, wir plaudern, gegenseitige Hochachtung, auch und gerade vor der Arbeit des andern, bestimmt jeden Ausdruck. Gegen halb drei bin ich im Bett, steh aber schon um sieben auf, weil ich Rainer Weiss, der zum Flughafen muß, noch verabschieden möchte, treff im Frühstücksraum >>>> José F. A. Oliver, der mich gestern abend, kaum war er angereist, so herzlich begrüßte, „ich kenne Ihre Bücher, ich freu mich, Sie endlich zu sehen“, und wir beginnen zu plaudern zu plaudern zu plaudern. Auch das wird nun Freundschaft werden, ich bin da ganz sicher. Verzeihen Sie mir deshalb, daß ich Sie in diesen Tagen so vernachlässige und Die Dschungel Die Dschungel sein lasse. Und bei mir, immer, Fotografien der Geliebten, des Sohnes… es ist, sag ich Ihnen, so ein gutes Gefühl, sich entschieden zu haben, ein Zuhause zu haben.
Ach ja, ein Gedicht hab ich gestern noch zu schreiben versucht. Vielleicht stell ich’s nachher ein. Weiß noch nicht. Ich müßte es vorher durcharbeiten, will aber nicht hier am Schreibtisch sitzen. Um eins ist meine nächste Lesung. Ich werde es wagen, werde die Elegien vortragen. Und für heute abend, für die Festveranstaltung, wo sechs oder sieben Autoren, unter anderem ich, nochmals je etwa 12 Minuten lesen werden, zwischen den Gängen des Menüs, hab ich mich für Liebesgedichte entschieden. Welche, weiß ich noch nicht genau.
Ich fühl mich, Leser, so wohl.

15.39 Uhr:
[Parkhotel Hall in Tirol.]
Also die Lesung der Elegien hat, glaub ich, n i c h t funktioniert. Jedenfalls verhaltene Reaktion bei den neuen Freunden. Und der Satz: „Dazu habe ich Dir noch einiges zu sagen.“ Voller Kollegalität dabei, die bei mir nicht meine übliche Abwehr provoziert, sondern, seltsam, Neugier.
Sò, ich misch mich wieder unter die Leute.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, den 16. September 2006. Hall in Tirol. Sprachsalz.

  1. Wohlfühlen Ja, ein Abend in der Dianabar, gut, dass Herr Franz noch ist, oft schon sah es aus, er könne bald nicht mehr sein. Er sieht einen an, oft so schelmisch, und weiß nach zwei Worten, welches Getränk passt. Bei mir griff er noch nie daneben.

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