B.L.’s 14.10. – ein „weil“ will kein „weile!“, aber ein „warum“

21:39
Es bimmelt das Telefon, ich denk’, sie sitzt unten vorm Fernseher mit den endlich angepaßten Kopfhörern, denn es ist still im Haus, also antworte ich. Natürlich war es für sie um diese Zeit (und am Wochenende sowieso), ich gehe nachschauen und bescheid sagen, da liegt sie tatsächlich schon im Bett und liest. Es bimmelt das Telefon, ich denk’, ich sollte antworten. Ich antworte. Und gebe ihre Auskunft des Zubettliegens und des Morgenzurückrufens dem Hörer zurück. Es bimmelt das Telefon, und ich mache das alles und schreib’ das dann auf. Was ist dabei für mich gewonnen? Nichts! Das ist ja das Fiese an diesem Tagebuch, daß man immer versucht ist, nicht sich in der Situation zu schildern, sondern den Finger auf den Andern zu zeigen. Das ist eine große Gefahr. Von mir ist darin nur als Anrufbeantworter die Rede. Dabei wollte ich das gar nicht betonen. Ich komme mir auch nicht als ein solcher vor. Oder ich spreche meinethalben von meinen Vermutungen darüber, was sie wohl in diesem Moment tun wird. Aber wieso ich hier in meinem Zimmer sitze, davon sage ich dadurch nichts. Also warum sitze ich hier? Zum einen, weil ich zu nichts Lust habe heute. Weil ich müde bin, und lieber die Zeit damit verbringe, mit der Mouse auf irgendwelche Bälle auf dem Bildschirm zu ballern. Weil ich noch keinen Tagebucheintrag habe. Weil unzufrieden bin mit meiner Unentschlossenheit, aufwendige Themen anzugehen wie: Celan, Korea und den Artikel in der gestrigen Zeitung über die Hypothesen, wie es in Zukunft zugehen würde, wäre plötzlich der Mensch nicht mehr auf Erden. Nein, das schaffe ich jetzt wirklich nicht, das alles aufzubereiten und zu hinterfragen. Da hilft dann wieder das Tagebuch: man schreibt, was man hätte machen wollen, um dann sich damit zu begnügen, zu schreiben, das man etwas hätte machen wollen können. Und warum sitze ich hier? Immer noch? Weil ich nicht fertig bin. Weil ich keine Lust habe, den Fernseher einzuschalten (wie gestern Abend, um Sean Connery in einem Verne’sch angehauchten 19. Jahrhundert das Böse in irgendeiner sibirischen Todesfabrik mit Menschenautomaten zu bekämpfen, in die auch noch Comicfiguren aus dem 20. Jahrhundert platzen). Weil ich niemanden sehen will. Weil mir genau das passiert, was —–> ANH sich nicht erlauben will und kann gegenüber seinem Sohn. Und als ich’s las, da waren gleich wieder so Phantasien bei mir, die mich doch noch als Vater sahen. Aber es ist eine hundsgemeine Sentimentalität von mir! Der ich dennoch gelegentlich verfalle. Wohl deshalb habe ich mich wieder den Kindern meines Geistes gewidmet: All das Geschriebene peu à peu z.T. abtippen und dann ausdrucken. Ansonsten mal wieder ein Blutstropfen auf dem linken Unterarm (Katerkralle) und dem Hund zwei Zecken herausgedreht. Das Abendessen recht schal: Reis von vor drei Tagen zu einem Omelett verarbeitet, dazu Erbsen. Ich glaube, morgen Abend werde ich mal wieder kochen müssen!

4 thoughts on “B.L.’s 14.10. – ein „weil“ will kein „weile!“, aber ein „warum“

    1. Nicht immer, Frau Alma. (Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (74).) Ist es eine Falle. Ins Werk eingegliedert und als dessen Part auch bewußt geschrieben, ist das Tagebuch auch eine Chance. Gelegentliche Beiläufigkeiten gehören dazu, weil auch sie Prozesse, sei es des Denkens, sei es der sonstigen Arbeitsumstände nicht nur dokumentieren, sondern auch auf Bewegungsgeber abtasten. Zudem ist es ein riesiges Reservoir für Themen. Und es verschafft Nähe zum Leser, eine Art poetischer corporate identity, wie sie Autoren v o r Netzzeiten unbekannt gewesen ist.

      [Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (73).
      72 <<<<]
    2. Dennoch ist richtig, was ConAlma schreibt. Ich verstehe den Ausdruck “Falle” so, wie man sich morgens nur noch gewisser Traumfetzen erinnert, während die anderen Trauminhalte sich hartnäckig und meistens erfolgreich dem Erinnern entziehen wollen. Auch für solche Traumfetzen gilt, daß sie uns in dem Moment, in dem wir uns an sie erinnern, am besten die Blößen bedecken, die wir uns nicht zeigen können oder wollen. Insofern leben wir immer gern mit unserer betriebsinternen Identität, die wir auch gern besingen. Und die uns singen läßt. Morgens, wie in Japan, wenn die Flagge des Ich in den kommenden Tag sich erhebt. Richtig ist auch, daß “vor Netzzeiten” eine solche Form des Hissens nicht möglich war. Nun ja, Laurence Sterne machte sich immer fein raus, bevor er an den Schreibtisch ging… dies also eine Art Vorform dazu. Oder meinethalben Müller von Itzehoe, seinen Helden (und sich natürlich) selbst feiernd mit eigens herausgegebenen Gazetten über die Befindlichkeit des Alter Ego. Als solcher schließe ich auch hier! Sic!

    3. Freilich, werter Herbst, da wo der unbedingte Wille zum Werk waltet, da kann ich das so sehen (und bewundern, in seiner Konsequenz und Offenheit). Ich dachte (so unbescheiden/selbstmitleidig) aus einem Leben heraus, das kein Werk, nur einen –>Zettelkasten vor sich hat, mit plötzlich veränderten Koordinaten, wo ein Halterahmen abhanden kam und sich alltenhalben die Fallen offenbaren. Guten Morgen!

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