„Blogger“. Zur Ideologie. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (72).

Es ist nämlich etwas anderes, ob jemand ein Weblog – sei es politischer, sei es ästhetischer Natur – f ü h r t, und zwar mit derselben Gewissenhaftigkeit, die er (sie), sagen wir, seinen Patienten angedeihen läßt (sofern er/sie Arzt ist), ja ob er/sie ein medizinisches Weblog unterhält, worin Diagnosen besprochen und therapeutische Überlegungen diskutiert werden, oder ob jemand „Blogger“ ist. Man kann das gar nicht scharf genug trennen, soll nicht abermals einer jener Vereinfachungen auf den Leim gegangen werden, der die Sachverhalte wie Vögel fängt, um sie dem schnellen Verzehr zuzuführen. Vorbei ist’s dann nämlich mit dem Gezwitscher, der – aus anderer Perspektive – Gesang war. Sehr wahrscheinlich rührt d a h e r mein prinzipielles Unbehagen, das jetzt sogar in meinen Traum ging, also unbewußt weiterarbeitet und dann sogar Bilder findet, um die innere Spannung ausgleichen zu können. Die allzu schnelle Handlichkeit des Begriffs, der das darunter Befaßte ideologisch zurichtet – ganz gleich, ob ablehnend oder zustimmend -, ist von reichlichem Übel. Man ist nicht Blogger, sondern unter anderem damit befaßt, eine Ästhetik zu entwickeln, die traditionelle Literatur (also in Form des Buches oder, weiter, als Printmedium) mit den medialen Möglichkeiten des Netzes verbindet und zugleich über künstlerische Produktivitätsmodi und -notwendigkeiten nachdenkt. (Oder, das betrifft jetzt andere als mich, nämlich politische „Blogger“: man ist sehr bewußt dabei, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, die sich nicht in die Zwänge der Ökonomie einbinden lassen will und auch nicht die Filter politisch gebundener Chefredaktionen durchlaufen muß – eine für die neuere Zeit sehr wichtige Funktion dieses Mediums, und zwar auf allen Seiten der politischen Spektren. So würde ich den Teufel tun und >>>> Henryk M. Broder, den ich so wenig mag wie ‚seine’ >>>>Achse des Guten“, einen Blogger nennen. Vielmehr ist er ein ernstzunehmender und nicht selten gefährlicher Journalist mit enorm spitzer Feder, der vermittels seiner Netzpräsenzen sehr genau und sehr klug Meinung zu machen versteht (und auch über einiges im klassischen Sinn ‚aufklärt’); ob mir diese Meinung nun gefällt, hat mit der Grundtatsache nichts zu tun. Die ist zu akzeptieren und nicht durch vereinfachende und verkleinernde Begriffsbildungen wie Blogger zu vertuschen.
Tatsächlich läuft in dem Begriff „Blogger“ einiges Unprofessionelle, ja Pubertäres mit: als wären Erstsemester auf Professorenstellen losgelassen. Woran ja etwas ist, aber eben nicht in jedem Fall. Gerade dieses ‚nicht in jedem Fall’ wird im Begriff Blogger egalisiert, so wie schon die Begriffsbildung selbst eine Egalisierung darstellt, die aus dem Web-Logbuch – das sich durchaus als strenge Aufzeichnung darüber verstehen läßt, welche Gedankenkurse einer übers Webmeer kreuzt und wo er welches Land fand; eines der poetischsten Logbücher, übers Unbekannte der französischen Autobahn surfend, >>>> hat Julio Cortázar mit seiner Frau Carol Dunlop geschrieben – etwas achtrangig Amateurhaftes macht, und viele „Blogger“ machen dabei auch mit, ihren persönlichen Wert aus etwas ziehend, das a n s i c h gar nichts ist – so, wie Kreti und Pleti, kaum daß der technische Umstand es hergibt, ihre Gedänkelchen zwischen Buchdeckel pressen lassen, wofür sie gerne Geld bezahlen, eine Art Blutzoll, der Eitelkeit zu entrichten… na gut, solln sie… womit sie aber andererseits die Flußbetten der Literatur verschlammen, und das sollen sie eigentlich n i c h t. Weil nun für den Blutzoll, den das Web erhebt, kaum mehr die Haut geritzt werden muß, ist solche Selbstverlegerei so außerordentlich wohlfeil, und gleichberechtigt stehen wenige Dichterinnen und Dichter, wenige Zeitanalysten und Innen, Außen wie Oben im strömenden Zeitgeist, werden dann allesamt „Blogger“ genannt, und schon ist der an sich revolutionären Entwicklung die Spitze weggebrochen.

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15 thoughts on “„Blogger“. Zur Ideologie. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (72).

  1. kreti und pleti mir gefällt gerade dieser gedanke, dass alle mitmachen können auf gleicher augenhöhe. viele meiner künstlerkollegen sind vor allem damit beschäftigt sich von der masse abzuheben – abzugrenzen. alle geben sich gebildet und profesoral und merken nicht, dass sie immer noch pubertieren.
    für mich sind bogs wertfrei, es gibt gute und schlechte – dumme und weniger dumme – böse und gewalttätige mag ich nicht – ausgrenzende auch nicht – aber an sonsten? lieb ich sie.

    1. Na ja. Nur sind die Leute prinzipiell verschieden groß, rein körperlich, mein’ ich, und das mit derselben Höhe der Augen wischt fast immer bloß an ihnen herum. Es ist n i c h t jeder Künstler, und nicht jeder hat auch was zu sagen, die/der schreibt. Es ist doch interessant, daß jemand, der nicht Oboe zu spielen gelernt hat, k a u m auf den Gedanken verfiele, sich in einem Orchester zu bewerben. “In Sachen” Literatur scheint das ganz anders zu sein, als wären Sprache und Stilistik nicht mindestens ebenso zu lernen. Und genaues Hinsehen. Und Denken. Verzeihen Sie schon, aber in diesen Belangen bin und bleibe ich vollständig undemokratisch. Andere mögen das anders halten, zeitgeistiger, die ertragen ja auch Pop; ich für meinen Teil und besonders Die Dschungel grenzen sich ab. Demokratie ist in der Tagespolitik absolut nötig; in der Kunst hat sie hingegen so wenig zu suchen wie in den Wissenschaften. Stellen Sie sich einmal die Schrecken vor, die dadurch entstünden, wenn über ärztliche Medikation abgestimmt würde und nicht nach Kenntnis entschieden.

    2. Wie kommen Sie denn darauf, dass Blogs etwas mit Literatur oder Kunst im weitesten Sinne zu tun haben (müssen)? Mehr als eine (einfache)Kommuniaktionsform, bei der es qualitativ und inhaltlich verschiedene Ebenen gibt, ist es zumindest für mich nicht.

    3. orchestrale augenhöhe Lustig, das mit der Augenhöhe… Hatten wir das nicht kürzlich – in ganz anderem (oder vielleicht doch auch gar nicht so anderem?) Kontext an einer österreichischen Hotelbar, morgens gegen vier Uhr dreißig? Da hab ich auch für Augenhöhe plädiert, sehr, und würde es in der Literatur auch tun, allerdings im Sinne der Oboe: je nach Orchester, sind die Ansprüche verschieden.
      Es ging doch im Ursprungstext um die Subsummierung in etwas, das als Gruppe erscheint, wohlmöglich, vermutlich, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber gar keine ist/sein kann. Um die Verwischung ging es von Differenzen und Gewolltem/Nicht-Gewolltem, durch ein Etikett – “Blogger” – das mal eben so aus dem Ärmel in die Medien geschüttelt wird. So jedenfalls hab ich das gelesen, nicht als Plädoyer gegen die Vielfalt der Bloggereien, sondern als Ärger über ein ungewolltes Eingetütet werden. Stellt sich die Frage, mir jedenfalls immer wieder bei ähnlichen Geschehnissen, ob man diesen (solche) Effekt(e), dem (denen) man sich ohnhin nicht entziehen kann, da die Damen und Herren PrintundsonstwieMedien die Dinge nun einmal schreiben, wie es ihnen genehm ist, und bennen, wie es ihnen griffig erscheint, ob man also solche Effekte so irrsinnig ernst nehmen, ob man so viel Energie in sie stecken sollte. Was könnte die Absicht sein? Oder ist das zu realpolitisch gedacht?

    4. @C. Araxe. Das ist selbstverständlich richtig. Aber interessiert mich nicht. Auch Kneipenpalaver ist eine Form der Kommunikation, der ich nicht nachgehe. Tatsächlich ist Die Dschungel von ihrem ganzen Anfang an mit klar ausgedrückter ästhetischer Zielbeschreibung gewachsen, die “Kleine Theorie des Literarischen Bloggens” zeichnet das seit fast drei Jahren Schritt für Schritt nach. Die Dschungel ist ein ästhetisches, das heißt an Ästhetik ausgerichtetes Publikationsorgan. Dem muß niemand folgen; aber wenn ich engeladen werde, an etwas anderem in diesem Umfeld teilzunehmen, dann gehe ich ebenso davon aus, daß meine Haltung bekannt ist, wie wenn ich an einem Podiumsgespräch teilnehmen soll. Deswegen w e r d e ich ja gerade eingeladen. Dies voraussetzend, messe ich das, wofür ich eingeladen werde, genau an der Dschungelhaltung. Man m u ß mich nicht einladen, gewiß nicht, aber w e n n man das tut, sollte man sich hierüber im klaren sein.
      Ein Weblog ist eine Form der Öffentlichkeit und unterliegt entsprechenden Gesetzen, ebenso wie ein Roman den Gesetzen der verschiedenen Roman-Theorien, dem “Stand des Materials” (Adorno) sowie stilistischen Grundbedingungen unterworfen ist und an ihnen kritisiert wird.

    5. @euka-pirates (herrlichen Neids auf dieses Pseudonym!). Pragmatisch gesehen ist der Einwand richtig. NUR. Seit ich Die Dschungel schreibe (und seit viele andere da mittun), ist immer e i n e der Perspektiven, das Pragmatische herumzudrehen und etwas daraus zu wringen, das über künstlerische Prozesse Aukunft geben kann. Nicht immer gelingt das, aber ‘wir’ nehmen hier gerne das Wort beim Wort. Manchmal sind auf diese Weise ausgesprochen spannende Diskussionen entstanden, die dann wieder Niederschlag in einem primärliterarischen Text fanden. Ich habe vorhin die Handwerksaufgabe, die ich mir aus der Situation herausfeile, in dem in Rede stehenden Weblog, >>>> dort nachzulesen, notiert. Das wird vielleicht witzige Irritationen zur Folge haben. Mal sehen. Noch einmal ein schönes Adorno-Wort: “exakte Fantasie”. (Er würde sich vor moralischem Knirschen rumdrehen im Grab, bekäm er diesen meinen Mißbrauch jetzt mit. Lacht.)

    6. palaver als erstes: ich liebe palaver (und halte es nicht für literatur – wie ich nichts von mir für kunst halte) und gute musik liebe ich auch, nur wieso wieder diese unterteilung //pop// klassik// gut und schlecht – kunst und …? es gibt gute und schlechte – durchdachte und lieblose – fade und grandiose musik. aber… ich kann es nicht verstehen.

    7. Sie m ü s s e n es auch nicht verstehen. Aber falls es Sie interessiert, so habe ich an mehrerlei Stellen und ausführlich argumentiert, weshalb ich nachdrücklich an der Unterscheidung von E und U festhalte. Im übrigen ist “Klassik” keine Wertung, sondern die leider ziemlich unscharfe, nämlich ‘populäre’ (sic!) Kategorisierung eines speziellen Musiktyps. Der Begriff ‘Klassik’ wertet also nicht, es fällt ja auch ziemlich viel Schund darunter. Die Dschungel allerdings werten, wie Se gerade merken, s c h o n.
      Einen kleinen Einblick in den hier vertretenen ästhetischen Konservatismus finden Sie >>>> dort.

    8. e und u ich habe ja nichts gegen das werten. nur sie wollen ja gar nicht urteilen – sie hören kein pop – sie beteiligen sich nicht am palaver – sie grenzen sich aus – vorverurteilen heisst nicht werten.

      den auch e und u sind wertfrei – es gibt von beidem – tops und flops.

    9. Woher wissen Sie (meinen Sie zu wissen), daß ich nicht hörte? Ich hör ja immer wieder, dem ist gar nicht zu entgehen. Und selbstverständlich gibt es bei E a u c h Unfug, g a n z selbstverständlich. Aber E will etwas anderes als Entertainment, und das von allem Anfang an. Dabei mißglückt das meiste, keine Frage. Das Problem beim Entertainment besteht darin, daß es, i s t es eines, eben n i c h t mißglückt, sondern industriell auf den Erfolg, also den Markt zugearbeitet wird. E hat andere Produktionskategorien, die wichtig sind. Der Absatz gehört nicht dazu. Insofern ist vieles, das heutzutage unter E läuft, eigentlich ebenfalls U.

    10. Sehen Sie, das meinte ich. Kaum fällt ein Reizwort (Bloggen), prasselt es Kommentare.

      Bei sich bleiben – auch wenn dieses (S)Ich im Vorfeld, im Auftrag, nicht erkannt wird, man sich nicht einmal die Mühe macht, es herauszufinden (daran können über Nacht auch schönste Jobträume scheitern, weil sich die Gegenseite nicht die Mühe des “wen habe ich vor mir” gemacht hat) – und gegen ein: ach, Sie, machen Sie mal! zu bestehen im eigenen Anspruch.

      Die Spaltung dann: ja, aufrechte Möglichkeit, fruchtbringend! Im weitesten Sinn könnte dies auch Lebensübung sein

      Gestern, —->E: U ohne Unfug. ästhetisch und geglückt.

    11. als wüßten wir Gewagt, finden Sie nicht?, und gleichzeitig doch auch sehr einfach, fast zu einfach, will mir scheinen:

      “Bei s/ich bleiben” setzt so etwas wie ein ein/deutiges Ich voraus und klingt für mich, als wüßten wir in einem definitiven Sinne, wer wir sind, sein wollen, können usw, durchaus auch örtlich, im übrigen, also: wo wir sind, denn wie sonst könnten wir bei uns bleiben, wenn wir das nicht wüßten?

      Oder ist das ganz und gar esotherisch gemeint? Aber eigentlich – selbst dann…

      Wo bleibt in diesem “Bei s/ich bleiben” die Verunsicherung, also das Leben? Das Sich-Reiben mit der Angst, die es mit sich bringt, aber auch der Lust und der Vielfalt? Wo bleiben das Verlorensein, die Zwischenorte und die Kraft, die aus ihnen wächst oder wachsen kann?

    12. Ich und Selbste Sie haben Recht, freilich, ich war verkürzt, habe all die —>Selbste beiseite geschoben; doch in diesem Zusammenhang ging es ja um die Absichten der eigenen Weblog-Präsenz – Blog ungleich Blog – und wie sie (nicht) gesehen wird. Ein Ausschnitts-Ich, das allerdings in der Vielschichtigkeit eines Tuns dann als solches erkannt werden sollte. Wenn …

    13. Gewrungenes Ja… Das sind gute Zitate, so komm ich viel besser mit 😉

      Und noch zu vorhin ein Kurzes:
      Ganz gar wunderbares Bild, mußte SOFORT zum Griffel greifen, um mir das gewrungene Pragmatische, das schließlich Auskünfte gibt, so recht vor Augen zu führen…

      Schöne Seite, hier.

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