Arbeitsjournal. Sonntag, der 29. Oktober 2006.

4.52/3.52 Uhr:
Das ist jetzt eine Überraschung, diese geschenkte Arbeitsstunde. Ich steh Viertel vor fünf auf, setz Wasser für Kaffee auf, setz mich an den Laptop, guck auf die Systemuhr und bin einen kleinen Moment lang irritiert. Dann will ich sichergehen, guck im Netz nach…klar, Winterzeit, von der Zschorsch neulich sagte, es sei „die eigentliche“, woraufhin ich leise in mich hineinlachen mußte, weil ja auch s i e, sowieso, Definition ist, also gesetzt, nur eben ausgestattet mit etwas, das ich das Alte nenne. Was ein Gefülltes, Angefülltes, Geschichtsgefülltes meint und aus einer solchen Geschichtsfülle seine Autorität bezieht. Am Äquator, fällt mir ein, wäre das möglicherweise anders zu sehen, da dort Sonnenauf- und untergang den Tag genau inmitten teilt, 6 Uhr, 18 Uhr, innert Minuten ist’s hell, innert Minuten ist’s dunkel. Doch täuscht nicht auch dies? Zwar ist es h e u t z u t a g e so, doch nicht dort wurde die Tageszeit definiert, sondern über den sogenannten Nullmeridian von Greenwich, und wegen der Parallaxe hat sich sowieso ein sinnvoller Bezug auf den Sonnenstand g e g e n den Naturablauf vollzogen – imgrunde müßte man sie ständig neu kalibrieren und entweder ihre Absolutheit aufgeben (also die Definition, w a s eine Sekunde, Minute usw. s e i; aber es wird vermittels der Atomuhr das Gegenteil getan), oder aber es wird der (auf das Geschöpf bezogene) geologische Sinn ignoriert, dem die Einführung der Sommerzeit wieder Rechnung getragen hat. So scheint denn im Neuen das Alte „eigentlicher“ auf, als hätte man es beim Alten belassen, das dennoch für unser geschichtsbewußtes Gefühl immer noch Autorität hat. – Eine hübsche „Meditation“ merk ich grad und kapiere, weshalb Descartes dieses Wort titelnd über seine berühmte Schrift gesetzt haben mag.
Nein, ich geh n i c h t wieder ins Bett, um diese Stunde mit Schlaf zu füllen. Ich arbeite. Es wäre fein, schlösse ich heute die Rohfassung der neunten Elegie ab, um morgen, wenn ich wieder nach Bamberg fahre, gleich mit der zehnten weiterzumachen. Ich bin ohnedies in Zeitverzug. Im November wollte ich mit der >>>> ARGO-Überarbeitung beginnen. Nun werd ich noch, schätzungsweise, zwei Wochen brauchen. Es kann gut sein, daß ich dann zwei Wochen lang k a u m etwas in Die Dschungel schreiben werde, weil ich, bevor die Überarbeitung aufgenommen wird, noch einmal >>>> THETIS, >>>> BUENOS AIRES, sowie die Rohfassung von ARGO am Stück lesen will. Damit mir nicht wichtige Details durch die Finger rutschen, was zu Fehlern in ARGO führen könnte. Es g i b t jetzt einen – kleinen – Verlag, der den Mammut definitiv herausbringen will, aber ich sag noch nicht, welcher es ist, da weiterhin andere – große – Verlage im Spiel sind, deutlich finanzstark, und es muß mir auch darum gehen, meine Familie ernähren zu können; bei dem kleinen Verlag fiele ARGO dafür, jedenfalls erstmal, aus (‚ernähren’ ist selbstverständlich als ein w e i t e s Wort gemeint). Bis Februar hab ich Zeit, mich zu entscheiden. Sie mir zu geben, ist von dem kleinen Verlag ausgesprochen fair. In jedem Fall ist die Edition von ARGO. ANDERSWELT für den Herbst 2008 avisiert. Zuvor, im Frühjahr 2008, sollte das projektierte Sonderheft >>>> der horen erscheinen – ein fetter Materialband mit Auszügen, Arbeitsmaterialien. literaturwissenschaftlichen Aufsätzen, Kritiken usw. zum ANDERSWELT-Projekt.
Wiederum wird es im n ä c h s t e n Jahr, 2007, wahrscheinlich gleich d r e i Buch-Publikationen geben: die LIEBESGEDICHTE, deutsch und französisch, bei >>>> dielmann; unter dem projektierten Titel KYBERNETISCHER REALISMUS erstmals eine Auswahl theoretischer Schriften bei >>>> tisch7, sowie die BAMBERGER ELEGIEN in der Buchreihe der Concordia , wobei das noch sehr ungesichert ist und davon abhängt, ob sie und welcher Verlag sie gegebenenfalls übernimmt und vor allem ihren Vertrieb sichert.
Aussichten also, Leser, auch außerhalb des Netzes

5.26 Uhr:
Auf >>>> diese Diskussion möchte ich wieder hinweisen; >>>> serner hat unerwarteterweise noch reagiert, und zwar >>>> so. Ich führte die Auseinandersetzung mit ihr gern weiter und wüßte auch gerne Sie dabei.

8.28 Uhr:
Die Rohfassung der neunten Elegie ist abgeschlossen. Wie bei fast jeder andren ist das Ende urplötzlich da: mit einem Mal steht da ein Satz. Und beschließt.
Zeitgleich wurde mein Junge wach. Und ebenfalls zeitgleich tritt Katangas Sohn in die Küche. Der Tag beginnt, und aus der entrückten elegischen Stimmung steigt wieder Zukunft: als ein gutes helles, gemeinsames Sonntagsfrühstück.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 29. Oktober 2006.

  1. An diesem Oktobertag immer An diesem Oktobertag genieße ich es, verspätet aufzustehen und doch vermeintlich in der Zeit zu sein. Ganz hübsch eben in den Nachrichten: “Wir haben wieder Normalzeit”. Da fühlt man sich doch gleich geborgen!
    Das nur zum Beginn dieses Tageseintrages, jetzt gleich zum Schluss: lesend kann ich dabei sein, aber ich hab wohl mit der >>falschen Seite begonnen, da stolperte gleich ich so über die Sprache, dass ich gar nicht weitermochte. Jetzt muss ich mich mit meinen Vorurteilen herumschlagen, weil ich mich auch bei den späteren Seitengestaltungen an die gestrige Bastelstundendiskussion erinnert fühlte, >>hier und >>hier, wie hübsch doch alles mit WordPress wird!

    Was mir aber in den Zusatzminuten im Bett einfiel, b e v o r ich hierherkam: die Verständnisschwierigkeiten mit den Texten hier liegen in der Schwierigkeit, Umgang finden mit jemandem, der so gar keine D i s t a n z zu sich zu kennen scheint, wo Leben und Werk alles in einem ist, keine Trennung stattfindet. Vor allem sich so offenbart, also nicht im Geheimen agiert, und damit den (meinetwegen auch teilnehmenden) Beobachter ständig a n r ü h r t. In den ganz frühen Achzigern kam ich in Wien mit Resten des Aktionismus in Berührung, das darf man sich auch ruhig physisch vorstellen, und in Ausstellungen war ich mit der Kunst der Sechziger und Siebziger konfrontiert, wo nicht nur mit Worten, sondern mit dem eigenen Körper gearbeitet wurde, auch >>so. Eine noch komplettere Einbindung der Person ins Werk. Sich leben=sich arbeiten=Sein, das kann man auch >>n i c h t überleben.

    1. Ist aber, ConAlma, dieses Angerührtsein nicht gerade auch nötig? Ist nicht die intellektuelle Beobachtungs- und Beurteilungsfähigkeit aus dem ‘reinen’Kopf gerade herauszunehmen und mit der Emotion-selber zu verbinden, ohne dabei aber Intellektualität zu desavouieren? Also sie in etwas zurückzubinden, das uns tatsächlich angeht und nicht in kritischer Distanz, die etwa vom Körper absieht, einfach abgehandelt werden kann? Einmal ganz unabhängig davon, daß ich, wie Sie wissen, der Überzeugung bin, daß es bei einem Künstler sowieso nicht anders geht – so ist dies doch auch für seine, übrigens sehr auf ihn wirkenden, Rezipienten wichtig, die n i c h t notwendigerweise selbst Künstler sind und das auch gar nicht sein sollten (sonst wäre alldas wahrlich allzu selbstreferentiell).
      Interessant aber ist der Gedanke, daß dem, sagen wir mal lax, Gemeinleser die Distanz der Autors einen Zugang ermöglicht, weil sich dann b e i d e in der Distanz zu den Objekten und Themen finden. Das scheint mir einleuchtend zu sein, aber nicht den Ausweg zeigen zu können: es sei denn, man nähme an, es sei einzig die gemeinsame Erfahrung und der gemeinsame W i l l e zur Entfremdung, also Affirmation mit dem Gegebenen, was eine Kommunikation ermögliche. Daß ich mich einer solch pessimistischen Meinung nicht anschließen mag, sondern mit allen Waffen, die mir zur Verfügung stehen, gegen sie wehren werde, ist Ihnen, glaube ich, klar.
      Mir läge im übrigen, wäre ich Bildender Künstler, die Einbeziehung des eigenen Körpers ins Werk ebenfalls, und sei es ‘nur’ über den Ausdruck von Aktion in den Bildern. Es kommt nicht von ungefähr, daß mich – im Bild – neben Anselm Kiefer vor allem nachhaltig Arnulf Rainer beschäftigt hat und immer weiterbeschäftigt. Nur läßt sich ein Pendant dazu für die Literatur allenfalls abstrakt finden; was an ihrer semantischen Konkretheit liegt und daran, daß man, w e n n, immer auch andere Personen mit hineinzieht. Es wurde ja nicht grundlos eines meiner besten Bücher verboten. Wenn aber Literatur K r a f t behalten soll (wozu es, denke ich, keine Notwendigkeit gibt, wohl aber meinen Willen), dann m u ß sie sich aus der Distanziertheit befreien. Dazu gehört das Persönliche. Und wer immer von dieser Kraft etwas abbekommen möchte, muß sich darauf einlassen; sonst spielt er – wenn er Belletristk liest – im Sandkasten. Wie anders das ästhetisch aussehen und wirken kann, wird ja andeutungsweise aus der noch immer nicht beendeten >>>> Vergana-Diskussion deutlich. Interessanterweise an einem geradezu klassisch-streng aufgebauten, formal hochkonservativen Text. Wie mir überhaupt einiges scheinbar-Reaktionäre in meinen und anderer Dichter Arbeiten das Zeug dafür zu haben scheint, Berührtheiten zu entflammen, die sich gerne verstecken wollen. Mein Rückgriff auf Homer hat solch einen Grund – wie der mir nicht unähnlich vorkommende, scheinbar (mit Goethe gesprochen) barbarische Rückgriff Kleists auf Penthesilea, worüber ich >>>> hier gesprochen habe.

      Was nun >>>> Serner anbelangt, sehe ich die Sprachunschönheiten auch, aber das wiederum darf mich nicht verleiten, diese Autorin nicht ernst zu nehmen. Auch ihre Sprachhaltung ist in eine Dichtung, die lebensfähig bleiben will, aufzusaugen und zu ihr einzuformen. Was bedeutet, daß man die Argumente sehr ernst nimmt.
      Und was, abschließend, zu Recht meint, man könne es auch nicht überleben, dem ist zu entgegnen: unsere wichtigste Lebensquelle, Erotik, hält ganz dieselbe Gefahr für uns bereit. Wollten wir deshalb – entsagen?

    2. Ja ja ja Mir jedenfalls.

      Würde gern verweilen, muss aber anderes tun. Doch auch dort wird vieles von hier einfließen. Und dann wieder zurückfließen.

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