Arbeitsjournal. Dienstag, der 16. Januar 2007.

6 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Den Wecker auf eine Stunde n a c h der gewohnten Zeit gestellt, ich mußte schlafen, schlief gestern schon bei der Geliebten, nachdem der Junge zu Bett begebracht war, auf dem Sofa ein. Obwohl ich noch hatte arbeiten wollen. Ging einfach nicht. Also heute erst um 5.30 Uhr hoch. Hier ist unbedingt klarschiff zu machen, weil meine Elisabeth heute kommt; sie muß mit ihrem Sauger und Wischtuch ja irgendwie durch. Selbst die Küche ist zugewachsen mit Papieren, Büchern, Typoskripten. In der Arbeitswohnung bin ich zur Zeit nicht, weil bekanntlich dort während meiner Bamberger Zeit kein Internetanschluß steht; dies auch nicht bei der Geliebten. Übers Mobilchen ins Netz zu gehen, ist mühsam und käme auch zu teuer. Also der Küchentisch, noch und noch.
Auf >>>> meinen gestrigen Eintrag (18.08 Uhr) gab es gleich zwei Reaktionen. Der Profi rief an, teilte mir sein tiefes Amusement mit, meinte allerdings gleich zu Beginn: „Daß du dir damit keine Freunde machst, weißt du selbst.“ Die andere Reaktion kam per Mail von UF: „…ich spare mir auch den kommentar über taktisches kalkül.“
Nun ist‘s gerade das, was ich meiden will: taktisch zu sein; einmal abgesehen davon, daß bereits derart viel Holz verbrannt ist, daß sich aus dem kokelnden Haufen eh kein Haus bauen läßt; jedenfalls würde es drinnen furchtbar stinken, und alles wäre kaum irgend stabil. UF begann mit: „bei den abgabemodalitäten kann ich mir das ergebnis vorstellen“, womit er die Chancen meint, den Döblin-Preis auch zu bekommen.
Aber darum kann es ja nicht gehen, mein Verhalten kalkulierend auszurichten, und es kann auch nicht angehen, daß Juries nach Beliebtheit der teilnehmenden Autoren entscheiden; Grundlage sollte alleine der Text sein. Ich selber habe es nie anders gehalten, und wenn ein definitiver Feind einen großen Roman schreibt, dann werde ich das auch sagen und vertreten. Das gilt auch für akute Streits. Nach wie vor halte ich >>>> Gerd-Peter Eigners „Brandig“ für eines der ganz-großen deutschsprachigen Bücher der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ob Eigner mich nun ein Arschloch nennt oder nicht. Auch seine drei anderen Romane gehören in jedem Fall zu den interessantesten im deutschsprachigen Raum. Mit >>>> Marcus Braun, dem ich aus persönlichen Gründen gram bin, halte ich das ganz ebenso; daß ich ihn als literarische Stimme überaus schätze, wird von meinem Groll nicht beschränkt, und ich werde alles tun, was ich kann, um seinen Namen bekanntzumachen. – Genau diese Haltung erwarte ich auch von meinen Gegnern. Bringen Sie sie nicht auf, kann da eigentlich nichts als Verachtung in mir sein – was etwas Schlimmeres als bloße Gegnerschaft ist.
Nun weiß ich selbst: das hilft einem moralisch, nicht faktisch. Aber d i e s e meine Moral – sie ist letztlich Arbeitsethos und nur bedingt soziale Kategorie – laß ich mir nicht korrumpieren.

Ich werd heute mit dem zweiten Endspurt beginnen, dem fürs Berlin-Stipendium. Bei d e r Bewerbung will ich die gesamten Erstkorekturen auf dem ARGO-Weg von EF zur ZF vorgenommen und übertragen haben; das dann vorliegende Typoskript wird die Grundlage für die Überarbeitung sein, die schließlich die ZF ergibt: Sämtliche Arbeitsnotate und Fußnoten müssen eingearbeitet sein, EA Richter muß in den Text implantiert sein, ein weiterer (die ZF abschließender) Korrekturgang muß vollzogen sein. Allerdings werd ich ‚zwischendurch‘ zu den >>>> BAMBERGER ELEGIEN zurückkehren und das lektoratsfähige Typoskript herstellen; noch bin ich mir uneins, ob ich die Elegien im unerbittlichen Hexameter belasse oder nicht doch hier und dort aus dem Korsett ausbrechen werde. Das Lektorat mit >>>> Dielmann ist für den März avisiert. Es wäre gut, könnten wir uns dazu zwei bis vier Tage zurückziehen; vielleicht läßt seine Arbeit es zu, daß er für diese Zeit nach Bamberg kommt.

Wegen der Stromboli-Dichtung bekam ich gestern ebenfalls die Bestätigung: die Sache stehe, es gehe derzeit ‚nur‘ noch um Sponsoren. Damit habe ich allerdings immer noch keine Daten für die Reise und kann also keinen Flug buchen. Letztlich kann mir das egal sein, da ja nicht ich die Reise bezahle.

An die Arbeit komm ich heute erst später, wegen Elisabeth, wegen eines Fußpflegetermins, der außerordentlich dringend ist. Wegen meines Jungen. Und weil ich wegen des Widerspruchs gegen die einstweiligen Verfügungen zum Buchverbot nun endlich die nötigen Unterlagen heraussuchen muß. Mein Anwalt drängt und ist schon ein wenig verstimmt darüber, daß ich mein Zeug nicht beibringe. Aber ich hatte wirklich keine Luft, und seit meiner Trennung vor nun bald fünf Jahren habe ich in meinen persönlichen Papieren keinerlei Ordnung mehr. Das hängt mir nun, da sich alles konsolidiert, wie dauernde Nachbeben an. Wirklich habe ich lebensstrukturell einzig meine Arbeit aufrechterhalten können, alles andere ging halb den Bach, einen F a l l, herunter. Ohne die Freunde wäre ich m i t heruntergegangen. Sozial wird von meinem Leben später einmal d a s bleiben: Freunde.
Das hat sich übrigens schon früh abgezeichnet; auf Familie war, von meiner Großmutter abgesehen, n i e Verlaß, auf Freunde immer. Und manchmal sind diese Freunde ganz fremde Menschen gewesen, von denen sich sowas nicht ahnen ließ. Einige meiner Leser gehören unterdessen dazu.
Denen besonders, aber auch allen anderen, einen Guten Morgen.

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