Prokrustes Bett. 29. 6. 2007. montgelas.

In Hessen, so macht die heutige FAZ auf ihrer ersten Seite auf, soll die Schöpfungslehre gleichwertig, wenn ich das richtig interpretiere, neben Darwins Evolutionstheorie im Biologieunterricht an den Schulen von Bad Karlshafen bis Neckarsteinach gelehrt werden. Mit Kreationismus habe das nichts zu tun, denn parallel dazu, so die Hessische Schulministerin Karin Wolff, werde im Fach Religion Darwins Entwicklungstheorie als Lernstoff angeboten werden. „Schöpfungslehre und Evolutionstheorie miteinander in der Schule in Verbindung zu bringen sei jedoch alles andere als verwerflich, sondern vielmehr dringend geboten.“ Frau Wolff hat offenbar entschieden sich nicht zum Affen machen zu lassen und zieht es stattdessen vor als Nachkommin Evas ihren Ursprung in Adams Rippe zu sehen. Ich traute meinen Augen nicht als ich das las. Und frage mich wann das geozentrische Weltbild und die „Erde ist eine Scheibe – Theorie“ in Geographie oder Astronomie wieder fröhliche Urständ feiern. Vorstellbar ist auch, dass der Sexualkundeunterricht, unter der Losung „Kein Sex vor der Ehe“, statt über Verhütung, über die “massenhaften Gefahren” von Petting, Masturbation und vorehelicher Vögelei „aufklärt“. Adieu Aufklärung! Schon Horkheimer und Adorno fickten dich ins Knie. Haben sie doch ungewollt dem „Schlaf der Vernunft“ durch ihre durchaus nachvollziehbaren Denkfiguren, angesichts des Genozids, die Tür einen Spalt breit geöffnet. Wer die Aufklärung kritisiert muss in Kauf nehmen, dass auf diesen Zug auch andere aufspringen. Gespenster, wie Goya sie malte.
Lange Zeit fuhren sie als blinde Passagiere mit, heute lümmeln sie bereits in den Polstern der ersten Klasse. Dort entwerfen sie, während die Lok und anhängende Wagen unbekannten Orten zustreben, -Zeit ist kostbar! – schon einmal die neuen Betten für uns. Design: Prokrustes. Sobald sich eine Gelegenheit bietet werden sie sich nicht scheuen, der deutsche Michel schläft derweil tief in der 2. Klasse, Zugführerfunktionen wahrzunehmen. Den Bettenbau allerdings haben sie dann schon längst an ihre Subs delegiert.

“Wie ich sehe, ist die Freiheit etwas zu groß, – das wollen wir gleich zu ihrer Zufriedenheit abändern!” (Er hackt ihr die Beine ab.)

9 thoughts on “Prokrustes Bett. 29. 6. 2007. montgelas.

  1. Schwarze Khmer in Hessen… “Die Kreation ist immer eine Kreation ‘aus dem Nichts’, sie bedingt eine radikale Vernichtung des vorangehenden symbolischen Universums, die Öffnung eines reinen, leeren Raumes, in welchen sich die neue symbolische Ordnung einfügen soll. In diesem Sinne waren die Roten Khmer Pol Pots die kreativsten Politiker: Ihre Herrschaft bedeutete den Versuch eines Beginns aus dem Nichts, des Erschaffens eines neuen Menschen durch die radikale Ausradierung der gesamten geschichtlichen Tradition.”

    (Slavoj Zizek: Der erhabendste aller Hysteriker. Lacans Rückkehr zu Hegel. Wien/Berlin 1991, S 94)

  2. Holla, Herr Herbst! Was für ein heiliger Zorn. Ich würde mit dem Ereifern zumindest warten, bis man genauer weiss, in welcher Form diese gleichwertige Vermittlung geschehen soll. Nein, ich will hier wahrlich keine Debatten zwischen Kreationisten und Darwinisten anzetteln. Aber mir scheint eine solche Vermittlung doch eine taugliche Anleitung zum Denken zu sein. Ich möchte Ihnen nur ein kleines Beispiel geben für hochintelligente Bücher beider Fraktionen, deren Lektüre in jedem Fall lohnt, ganz gleich, welcher Ansicht (oder Glauben) man selbst eher anhängt.

    1) Richard Dawkins: “The Blind Watchmaker” (Why the evidence of evolution reveals a universe without design)
    2) Rav Dovid Brown: “Mysteries of the Creation” (A cosmology derived from Tanach [“Altes Testament”] and Chazal [“Mündliche Überlieferung, Talmud”]

    Letzteres setzt eine intellektuelle (ja, ja!) Tradition fort, die bereits mit dem berühmten “Kuzari” (Rabbi Yehuda haLevi, 12 Jhd.) einen markanten Vorgänger hat.

    Ich finde diese Beleuchtung beider “Traditionen” wichtig, weil auch der Philosoph einräumen muss, dass die Anfangsfrage der “creatio ex nihilo”, eben noch immer nicht zu beantworten ist. Lass die Kinder DENKEN, dann wissen sie irgendwann auch, ein Leben mit SINN zu füllen, das möglicherweise von sich aus keinen hat.

    1. es geht aber doch wohl um den inhalt dieser vermittlung, und nicht um die form. von der form her läßt sich jeder humbug formschön vermitteln. über die form allein, also die “warenästhetik”, läßt sich leben wohl schwerlich mit SINN füllen, es spiegelte ihn lediglich vor als lebenslüge. ich denke, Grimms märchen sind da immer noch geeigneter, um die phantasie der kinder zu beflügeln. oder schickt sie meinethalben in die sixtinische kapelle.

    2. @turmsegler & montgelas. …das möglicherweise von sich aus keinen hat…
      Ein wunderbarer Satz, hinter den ich mich sofort stelle – auch mit der (einer möglichen) Haltung, was keinen habe, zu füllen. NUR: Dies ist nicht Naturwissenschaft. Daß auch genealogisch, wie in der Moral, bislang keine Letztbegründung gegeben wurde und vielleicht auch gar nicht gegeben werden k a n n, sondern sich “die letzte Frage” in einen Glaubens-String einwickelt und einwickeln muß, mag ich gar nicht bestreiten; doch was tun wir mit allen Zeiten v o r den rund 5000 Jahren, die sich aus dem Alten Testament als, sagen wir, monotheistisches Erdalter errechnen? Gab es die Eiszeit nicht, nicht die Dinosaurier? Es gibt eine nahezu lückenlose deterministische Kette rückwärts bis zum Big Bang… was d e n auslöste, das wissen wir nicht, und ich würde niemals bestreiten wollen, daß e r göttliche Handlung gewesen… Was i c h an der von Ihnen, montgelas, berichteten Entwicklung problematisch finde, ist einerseits d a s. Andererseits, daß ich sie deutlich in Zusammenhang mit den zur Zeit mal nicht brandenden, aber doch schwelenden Glaubenskriegen der Gegenwart sehe. Poetisch möchte ich dem die Schöpfungsgeschichte der Maori entgegenhalten, auch das Popul Vuh, die Bhagavadgita usw. Christliche Schöpfungsgeschichte im Unterricht (als zu benotendes Fach, das möglicherweise auch im Abitur abgenommen wird) braucht unbedingte Korrektive durch Schöpfungsgeschichten anderer Ethnien; sonst geht es, politisch, hier rein um Macht-Wiedergewinnung qua Manipulation. Im übrigen werden religiöse Belange in der Schule durch den Religionsunterricht abgedeckt, und das ist auch gut so; i h n als Pflichtfach zu definieren, dagegen hätte ich nichts, weil das eben a u c h bedeutete: sich seiner Herkünfte und seiner Kultur innezuwerden – ein gutes Korrektiv gegen die kapitalistische Demokratie, die letztlich alles auf ihren Tausch- und Unterhaltungswert hierarchisiert und damit profaniert, banalisiert und billig zuhanden macht. Aber Religion, und dann nur eine einzige, als Erkenntnisdisziplin ausgeben zu wollen hingegen, das finde ich in der Tat skandalös (wenn es mir auch eine logische Entwicklung aus dem Pragmatismuswahn zu sein scheint, in dem sich die Aufklärung, montgelas, schließlich fetischisiert hat).

      NB, turmsegler, war es nicht m e i n heiliger Zorn, da ich nicht montegelas b i n. Aber willkommen aus dem Urlaub zurück.

    3. Sollte der hessische Plan umgesetzt werden, wünsche ich jedem Bio-Lehrer mindestens einen Schüler pro Klasse vom Format der vorangegangenen Schreiber – und der Lehrer wird den Tag verfluchen, an dem beschlossen wurde, Kreationismus und Darwinismus gleichzeitig zu unterrichten… Auch bei den dazugehörigen Elternabenden würde ich gerne Mäuschen spielen. Gegenseitige Zerfleischung ist da vorprogrammiert. Da muss man sich als Lehrer ganz warm anziehen. Wenn das gelingt (meine eigenen Schulerinnerungen sprechen eher dagegen), könnte es sogar ausnahmsweise mal spannend werden in der Schule!

  3. Tatsächlich habe ich am gerade ausgegangenen Schabbat einige Gespräche geführt, unter anderem mit einem Religionslehrer unserer Gemeinde. Es gibt zumindest zwei Strömungen in der heutigen jüdisch-religiösen Betrachtung zu diesem Thema. Die haredische Fraktion hält fest am Zeitbegriff und Wortsinn der Schöpfungsgeschichte. Ja, sagen diese: 6000 Jahre; und die Dinosaurier hat es nicht gegeben, sie sind eine Erfindung, die ausgestellten Skelette ein Fake. Nun ja, das ist auch eine Sichtweise. Froh war ich, zu hören, dass meine Ansicht, die ich für eher ungewöhnlich hielt, hier im jüdischen Religionsunterricht sogar besprochen wird. “Deine Augenblicke füllen Äonen”, heisst es im Tanach. Und die 6000 Jahre sind nicht als 6000 Jahre unseres Zeitbegriffes zu sehen. Zweitens: Schöpfergott und Evolutionsgeschichte schliessen einander nicht aus; vielmehr könne die Evolutionsgeschichte die tatsächliche Ausprägung der Schöpfung sein, wobei der Schöpfungsbericht in Genesis lediglich die Stufen des Entwicklungsprozesses symbolisch beschreibt.

    Dies ist für mich besonders interessant vor dem Hintergrund meiner früheren Arbeit als Entwickler evolutionärer Softwaresysteme, also Software die mit evolutionären Methoden selbständig Lösungswege für bestimmte Problemstellungen findet. Hier wird bewiesen, dass die Werkzeuge der Evolutionstheorie funktionieren und zwar sehr effizient. Aber ich habe dabei auch immer gefunden, dass diesen “Ökosystemen” (hier Software) und deren Entwicklung eine Richtung gegeben wurde. Das geschieht häufig durch die Gestaltung der Umgebung, in der diese Systeme sich evolutionär entwickeln.

    Ich finde diese Frage hochspannend: Dawkins meint in seinem Buch beweisen zu können, dass das Universum und alle offenbare Welt “ohne Design” ist. Das nun glaube ich nicht. Ich bin überzeugt, dass es so etwas wie ein Design gibt. Welcher Methoden aber sich bspw. ein Schöpfergott bedient – nun, mögen es Evolutionsprozesse sein, warum denn nicht.

    Worauf will ich hinaus? Die eigentliche Frage ist mir noch immer die nach dem SINN. Gäbe es keinen, müsste man ihn erfinden.

    Evolutionslehre und Schöpfungsgeschichte in diesem Sinne gemeinsam im Religions- oder Ethik-Unterricht zu lehren, bringt unseren Kindern wesentliches bei: Ignoranz und Verachtung eines anderen Standpunktes sind keine tauglichen Mittel. Der Beweis der Evolutionstheorie ist KEIN Gottes-Gegenbeweis. Überhaupt kommt es weder auf Gottesbeweise noch Gegenbeweise an. Sondern auf die Konsequenzen aus der Beantwortung der Frage, »» WAS FÜR UNS ZÄHLT.

    1. @turmsegler. Zum Religiösen. Nahezu vollkommen einverstanden. Jetzt wird das “Design” zu einer Frage von Traditionen, in die man sich stellt – oder in die man gestellt wird und die man dann annimmt. (An sich, fällt mir gerade auf, hätte ich dieses Thema lieber unter >>>> LOYOLA rubriziert als hier im TAGEBUCH. Egal. Nein, nicht egal. Aber es ist der Fall, was der Fall ist.)
      Gerade, wenn Sie – und mit und vor Ihnen eine jüdische Auslegungslehre – den biblischen/thorischen Zeitbegriff als einen symbolischen auffassen, gehe ich da mit, nur daß ich dieses Symbolische für eine kreative Kraft des Künstlerischen halte und religiöse Schöpfungsgeschichten als Kunst-selber auffasse. Da ich einen emphatischen Kunstbegriff habe, ist das keine Reduzierung, sondern im Gegenteil Bekräftigung ihrer Dignität. Ich hab an anderen Stellen vorgeschlagen, daß es sich dem – für den westlichen Kapitalismus berechtigten Vorwurf des Islams, wir hätten keinen Gott – sehr wohl mit dem Ausruf begegnen läßt: Aber ja haben wir den! Wir haben – K u n s t. (Hätten wir sie denn nur… und würfen diese Tradition nicht zugunsten unseres Entertainments (sic) ständig vermittels marktbarer Egalisierung von E und U übern Haufen…)

      Und auch da haben Sie recht: Gottesbeweise oder die Versuche, “Gott zu widerlegen”, sind Unfug. Nur, daß eben, >>>> WAS FÜR UNS ZÄHLT, offenbar je so Verschiedenes ist… da schon ein allgemeines “Uns” eine kaum solide Basis der Verständigung darstellt. Das ist banal, aber diese Banalität w i r k t.

    2. … da schon ein allgemeines “Uns” eine kaum solide Basis der Verständigung darstellt.

      Ja, ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die Vokabel “wir” immer weniger nutzbar wird. Ich frage mich, ob die Vereinzelung ein Phänomen unserer Zeit ist, oder ob es schon länger so ist oder schon immer so war.

      Was das Göttliche an der Kunst betrifft, sehe ich es nur ein wenig demütiger. Der Künstler verändert, rekombiniert das göttliche Alphabet. Das ist ein Thema aus dem “Alphabet des Juda Liva”. Was ich erzähle, geschieht, sagt dort der Erzähler. Er ist der Richtungsgeber im Prozess. Aber dieser entfaltet sich dann noch immer in einer Art, die einem anderen “Design” folgt.

      Und dass wir keinen Gott haben? Ach, tausende. Sie tragen Markennamen und Schablonenumrisse. Zu anderen Zeiten bezeichnete man sie ehrlicher – als Götzen.

    3. @turmsegler Es gibt einen Grund, weshalb der Streit zwischen Evolutionisten und Kreationisten vor allem von fundamentalistisch christlicher Seite blutig geschürt wird. Es geht ja nicht nur die wörtliche Auslegung der Bibel auf dem Spiel. Die Evolutionstheorie greift das Zentrum des christlichen Glaubens an, nämlich die Lehre, Gott sei ein gnädiger Gott. Das ist unvereinbar mit einer Theorie, die vom Überleben des Stärkeren ausgeht. Hier ist das Judentum dem Christentum zweifellos voraus, wir sprachen ja darüber. Was die Christen in diesem Kampf jedoch völlig vergessen, ist, sich ein Vorbild an der Gnade ihres Gottes zu nehmen. Bei jedem neuen wissenschaftlichen Fund, der die Evolutionstheorie wahrscheinlicher macht, strömt ihnen kalter Schweiss aus dem Nacken. Darwin und alles, was danach kam, hat das Christentum tief verwundet. Christen sind verletzte Tiere, die um ihr Überleben kämpfen. Der Verstand ist ihnen ausgegangen, es bleibt ihnen nur die Gewalt (sei sie verbal oder physisch – für beides gibt es Beispiele).

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