Arbeitsjournal. Sonntag, der 5. August 2007.

5.50 Uhr:
[Auf dem Hegerfeld.]
Mutter-Sohn-Gespräche quasi den ganzen Tag – immer wieder, herumgehend, neu aufnehmend, weitersprechend, in einer vorsichtig nähernden Form heilend; wovon ich nicht geglaubt hätte, daß das so möglich würde; wurde es aber – und wieder ist es ein Kind, daß der Junge da ist, was das möglich macht; er muß gar nichts tun, bekommt auch, glaub ich, kaum was davon mit; vielmehr ist es der Blick des anderen Kindes als Vater, meiner, mein gewandelter, der die Situation und eben auch das Herz nicht völlig ändert, nein, aber modifiziert, moduliert, und es bekommt das Wort „versöhnen“ einen plötzlich ganz anderen, einen völlig konkreten Sinn…
Darüber „hängt“ nun die Arbeit an den Elegien, und auch etwas länger geschlafen hab ich heute früh – was aber auch an meinem blöden linken Fuß liegt, den ich mir gestern angestaucht habe. Ich hab nicht mal eine Ahnung, wobei und warum, plötzlich schwoll er leicht an, und jeder Schritt begann zu schmerzen, und zwar nicht nur leicht. Es ist albern, aber ist; ich humple hier durch die Wohnung wie behindert. Und tatsächlich gibt es gar keinen Grund, keinen Anlaß; ich war nicht mal draußen, bevor das losging, hatte nur die Morgenzigarette auf der Balkonterrasse geraucht und dazu den Pott Kaffee getrunken, war zurück an das Schreibplätzchen, da ging es so spontan los, als wär mir ein metallischer Vorschlaghammer auf den Fußrist geknallt – so absurd, daß ich mich gerade frage, was ich damit womöglich somatisiere. Wir wollen heute einen Auflug machen mit dem Jungen; ich hoffe, ich kriege das hin. Wichtiger ist aber, daß ich am Donnerstag für die Rückfahrt geh- und vor allem schleppfähig bin. Notfalls muß ich morgen zum Arzt.
Immerhin brachte ich das >>>> Achill-Gedicht fertig, und je öfter ich es über den Tag wiederlas, desto besser gefiel es mir. Und ich las viel vor hier, aus den Elegien, aus der AEOLIA. Meine Mutter erzählt, jemand habe ihr >>>> MEERE in VOLLTEXT in den Briefkasten gesteckt, mit an einschlägige Stellen eingeklebten Zettelchen, die quasi als Unterstreichungen dienten; auf einem derer habe „Was ist Wahrheit?“ gestanden, außerdem, irrerweise, „evtl. weitergeben“ – aber eben „jemand“ – nämlich anonym. „Du kannst Dir vorstellen, wie einen das verletzt…“ Ich war fassungslos, aber mit anonymen, bzw. pseudonymen Aktionen diskriminierenden Characters hab ich ja auch in Der Dschungel manche Erfahrung gemacht, daß Menschen so sind, unveränderlich von Diktaturen und Demokratien.

Ich beiße mich seit vorgestern am Einstieg in die Elfte fest, komme über die ersten achtneun Verse einfach nicht hinaus, nicht befriedigend, poetisch befriedigend, hinaus. Aber das macht mich nicht einmal nervös.

9.11 Uhr:
Habe in der Bibliothek dieser Wohnung die Erstausgabe von Ernst Jüngers Heliopolis gefunden – und arbeite nicht, sondern lese auf der Balkonterrasse, lese fasziniert und zugleich erschreckt von dieser poetischen und doch starren, bisweilen gewundenen, aber auch wieder kaltnüchternen Sprache, die so eingenommen ist vom toten Mineral, daß sie etwas fast-Feuriges hat – als glühte das eigentlich Lebendige der Leidenschaften in den eingeschlossenen Mustern und Maserungen der Steine. Und zwar fällt mir als Parallele das große Schneekapitel des Zauberbergs ein, Schönheit und Tod, aber anders als Th. Mann gibt Ernst Jünger seinen Personen nicht eigentlich Eigenheiten, Macken, Ausfälle, Witz, sondern sie selbst sind wie aus Steinen geschnitten. Man habe nur, lautet etwa ein Satz, die Wahl zu verholzen oder zu versteinen… Wie ich selbst ist er von Vulkanen fasziniert, doch von erloschenen… von den sozusagen präparierten Spuren ihres vulkanischen Lebens – vom Obsidian, nicht aber von der sich wälzenden Lava, b e v o r sie zu eben diesem “edlen” Glas, das er bewundert, erstarrt. Aber ich bin erst auf Seite 45.

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