Arbeitsjournal. Donnerstag, der 27. September 2007.

7.34 Uhr:
[Arbeitswohnung. Stille. Das weit geöffnete Oberfenster mir links im Rücken. In Ferne übt jemand Horn. Das tut er seit Wochen jeden Morgen ab kurz vor sieben, immer dasselbe Stück, das an die Horn-Passagen aus Mahler III, Satz 3 erinnert; möglicherweise werden eben sie tatsächlich einstudiert. Auch bisweilen ein Flugzeug höre ich, auf oder von seinem Weg nach oder von Tegel.]
Sitze ein wenig stumpf hier, starre die kybernetische Seite an und brüte, ohne eigentlich zu brüten. Leichter Kopfschmerz, es war wohl zuviel Alkohol gestern. Außerdem treibt mich >>>> das um. Man könnte es einen gehaltenen Raptus nennen, wobei für Zorn Triebenergie gesetzt werden müßte. Dazu dann zwei Ideen für Gedichte, die ich aber nicht ins Wort bekomme. Das ist kein ein inhaltliches, sondern ein entschieden formales Problem. Am nächsten käme der Idee des einen Gedichts, das DIE INNEREN WERTE heißen soll, statt seines Textes die Abbildung eines geöffneten menschlichen Körpers einzufügen. Etwa So:

Die inneren Werte.

Aber das griffe zu kurz, ich müßte noch einen anatomischen Schnitt durch das Gehirn hinzufügen; gut wäre auch eine Formel, die die physikalischen Vorgänge beschreibt. Schon drängen sich aber auch wieder psychologische Überlegungen mit hinein, die alle etwas damit zu tun haben, wie bestimmt man ist. Ich sage hier bewußt nicht „vorbestimmt“, weil darin schon eine Fremdabsicht läge, von der ich gar nicht ausgehe; vielmehr habe ich ein n-fach determiniertes Wirkungsnetz und -gefüge im Sinn, zu dem auch gehört, wie Triebenergie auf Fremdreize reagiert, die allerdings sämtlichst Stimuli s i n d, niederhaltende und schürende. Genau das hätte ich gern in dem Gedicht drin, das aber k u r z sein soll – weshalb ich vorhin unter Haiku nachlas, eine Form, die ich bislang noch gar nicht gekostet habe, die mir auch immer recht nichtssagend gewesen ist, jedenfalls in den europäisierten Modellen. Wir können hier ja die dem Haiku eigene Mehrfachbedeutung durch Wortklang und -höhe nicht einmal imitieren, das sind poetologisch viel deftigere Probleme, als sie sich beim Nachbilden eines Hexameters stellen, weil wir nicht lange und kurze Silben, sondern „nur“ betonte und unbetonte kennen.

Sie sehen, ich bin etwas wirr. Das Beste wird sein, ich schaffe erst mal wieder Ordnung auf diesem erneut völlig verratzten Schreibtisch.Und dann müßte ich endlich darangehen, die bislang eingegangenen Texte der >>>> ANNO-Anthologie zu lesen und mir zu überlegen, wie ich denn nun die Rahmengeschichte angehen soll. Außerdem muß ich zumindest die erste Heidelberger Vorlesung schreiben. Und ARGO ist wiederaufzunehmen. Und ganz plötzlich hatte ich die Lust, >>>> MELUSINE WALSER anzugehen und diesen extrem unmoralischen Roman in einem Rutsch niederzuschreiben, den ich dann unter Pseudonym einreichen wollte, unter einem Frauennamen am besten; und ich müßte mir eine Autorin aussuchen, die dann auch für mich auftreten würde – bis man die kleine Bombe irgendwann platzen läßt, bei einer Gelegenheit, zu der überhaupt niemand mit so etwas rechnet. Der Roman muß in kurzen Sätzen geschrieben sein, ganz knapp, fast nur darstellend, über-konkret. Und ganz so, als wäre er tatsächlich nicht von mir. Ein Reiz ergäbe sich aus der angenommenen weiblichen Autorschaft und dem präzisen Stil.

Tasten. Tasten. Den latte macchiato trinken. Nachdenken und spüren.

20.47 Uhr:
[Am Terrarium.]
Das war heute entschieden nicht mein Tag, auch wenn er ein wenig hat für Die Dschungel herausspringen lassen, auch wenn mich MW dann so beschäftigte, daß ich >>>> noch einmal anders den Romananfang schrieb (auf den vorigen hab ich unter dem Beitrag verlinkt). Letztlich war es ein Tag, der nicht weiß, worauf ich hinauswill; schließlich wußte ich’s selber nicht… doch schon, sicher weiß ich es, aber das war nicht unter der Haut, sondern lag als abstraktes Wissen vor mir am Schreibtisch und, ja, langweilte sich nach Art der Kinder, die quengeln.
Seltsam, ich bin mir ganz sicher, ich könnte das Buch jetzt in einem Rutsch hinunterschreiben. Aber ich weiß auch, welche anderen Texte Vorrang haben, daß auch mal wieder in Sachen Schulden und Gläubiger gehandelt werden muß; der Brief von der Finanzamts-Eintreibungs-Beamtin war nicht ohne Drohung und schwenkte sogar schon den Hausdurchsuchungsbefehl incl gewaltsamer Türöffnung… für den Fall, daß ich nicht dasei am 15. 10., wenn sie mich besuchen kommen will, als würden nicht ständig m i c h Leute versetzen, sondern umgekehrt. Ich spiele mit dem Gedanken, den Drohbrief einzuscannen und dann in Die Dschungel zu stellen. Hab mir auch schon eine kleine Gegenrede dazu notiert.

Ansonsten setzt mir ich weiß nicht was von gestern abend zu & nach; das hat was von Kater, ohne daß ich mich wirklich erinnern kann, zu viel getrunken zu haben. Aber schon nach dem letzten Bar-Besuch hatte der eine Cocktail enorme Nachwirkungen… ich geb zu, noch ein Bier auf ihn gekippt zu haben – aber nur, um ihn, bzw. meinen Magen, zu beruhigen. Und heute bekam ich wieder den ganzen Tag lang diesen Matsch nicht aus dem Blut. Aber wie immer, wenn mich solche Zustände nicht plagen… nein, das wär zuviel gesagt, sondern flächig piesacken – als reichte einem ständig jemand eine lasche Hand -, ruft dann mein Körper seine ganz speziellen, am Ende, wenn sie austreten, opaken Antikörper ins Feld, um Adern und Venen von dem depressiven Befall zu säubern: testosterone Antikörper, die sehr vernehmlich sagen: nix da! hier wird gelebt! Wenn sie das deutlich genug und mehrfach gesagt haben, schlaf ich mehrfach am Tag für ein kurzes ein. Danach steh ich jedesmal auf, um mir als erstes einen Espresso zu machen, und versuche weiterzuarbeiten. So daß der Kreislauf von vorn beginnt.
All das ist imgrunde nicht der Rede wert; aber gerade, d a ß es nicht der Rede wert ist, peinigt. Und macht’s, wird man sich drüber klar, nun ganz besonders ätzend.

23.53 Uhr:
Ich bin dabei, unentwegt Gedichtanfänge und -fortsetzungen (etwa >>>> hierzu) zu schreiben. Selten, daß ich das nachts noch kann. Es ist, als wäre ich gerade erst aufgewacht. Andererseits, ich wache heute für den Abend bis ich-weiß-noch-nicht-wann allein über die Babies. So geben sie den Anlaß.
Es sind immer ganze Zeilen, bisweilen (für mich) auratische Sätze, auch zweidrei Doppelstrophen; daneben zwei Korrespondenzen, aus deren einer ich zitieren möchte, doch erst, wenn ich sicher bin, die Leserin hat sie bereits gelesen.
Es ist still, doch draußen regnet es Fäden. Bisweilen trete ich auf den nassen Balkon, um zu rauchen.

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